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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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4. Abschnitt.auf der Verflechtung beider beruht sein gelehrtes Anacho-
retenleben in Vaucluse und anderswo, seine periodische Flucht
aus Zeit und Welt 1). Man würde ihm Unrecht thun,
wenn man aus seinem noch schwachen und wenig entwickelten
Vermögen des landschaftlichen Schilderns auf einen Mangel
an Empfindung schließen wollte. Seine Beschreibung des
wunderbaren Golfes von Spezzia und Porto Venere z. B.,
die er deßhalb am Ende des VI. Gesanges der "Africa"
einlegt, weil sie bis jetzt weder von Alten noch von Neuern
besungen worden 2), ist allerdings eine bloße Aufzählung.
Aber derselbe Petrarca kennt doch bereits die Schönheit
von Felsbildungen und weiß überhaupt die malerische Be-
deutung einer Landschaft von der Nutzbarkeit zu trennen 3).
Bei seinem Aufenthalt in den Wäldern von Reggio wirkt
der plötzliche Anblick einer großartigen Landschaft so auf
ihn, daß er ein längstunterbrochenes Gedicht wieder fort-
setzt 4). Die wahrste und tiefste Aufregung aber kömmt
Berg-
besteigung.
über ihn bei der Besteigung des Mont Ventoux unweit
Avignon 5). Ein unbestimmter Drang nach einer weiten
Rundsicht steigert sich in ihm aufs Höchste, bis endlich das
zufällige Treffen jener Stelle im Livius, wo König Philipp
der Römerfeind den Hämus besteigt, den Entscheid giebt.

1) Epist. famil. VII, 4, p. 675. Interea utinam scire posses,
quanta cum voluptate solivagus ac liber, inter montes et
nemora, inter fontes et flumina, inter libros et maximorum
hominum ingenia respiro, quamque me in ea, quae ante sunt,
cum Apostolo extendens et praeterita oblivisci nitor et prae-
sentia non videre.
Vgl. VI, 3, p. 665.
2) Jacuit sine carmine sacro. -- Vgl. Itinerar. syriacum, p. 558.
3) Er unterscheidet im Itinerar. syr. p. 557, an der Riviera di Le-
vante: colles asperitate gratissima et mira fertilitate
conspicuos.
Ueber das Gestade von Gaeta vgl. de remediis
utriusque fort. I,
54.
4) De orig. et vita, p. 3: subito loci specie percussus.
5) Epist. famil. IV, 1, p. 624.

4. Abſchnitt.auf der Verflechtung beider beruht ſein gelehrtes Anacho-
retenleben in Vaucluſe und anderswo, ſeine periodiſche Flucht
aus Zeit und Welt 1). Man würde ihm Unrecht thun,
wenn man aus ſeinem noch ſchwachen und wenig entwickelten
Vermögen des landſchaftlichen Schilderns auf einen Mangel
an Empfindung ſchließen wollte. Seine Beſchreibung des
wunderbaren Golfes von Spezzia und Porto Venere z. B.,
die er deßhalb am Ende des VI. Geſanges der „Africa“
einlegt, weil ſie bis jetzt weder von Alten noch von Neuern
beſungen worden 2), iſt allerdings eine bloße Aufzählung.
Aber derſelbe Petrarca kennt doch bereits die Schönheit
von Felsbildungen und weiß überhaupt die maleriſche Be-
deutung einer Landſchaft von der Nutzbarkeit zu trennen 3).
Bei ſeinem Aufenthalt in den Wäldern von Reggio wirkt
der plötzliche Anblick einer großartigen Landſchaft ſo auf
ihn, daß er ein längſtunterbrochenes Gedicht wieder fort-
ſetzt 4). Die wahrſte und tiefſte Aufregung aber kömmt
Berg-
beſteigung.
über ihn bei der Beſteigung des Mont Ventoux unweit
Avignon 5). Ein unbeſtimmter Drang nach einer weiten
Rundſicht ſteigert ſich in ihm aufs Höchſte, bis endlich das
zufällige Treffen jener Stelle im Livius, wo König Philipp
der Römerfeind den Hämus beſteigt, den Entſcheid giebt.

1) Epist. famil. VII, 4, p. 675. Interea utinam scire posses,
quanta cum voluptate solivagus ac liber, inter montes et
nemora, inter fontes et flumina, inter libros et maximorum
hominum ingenia respiro, quamque me in ea, quæ ante sunt,
cum Apostolo extendens et præterita oblivisci nitor et præ-
sentia non videre.
Vgl. VI, 3, p. 665.
2) Jacuit sine carmine sacro. — Vgl. Itinerar. syriacum, p. 558.
3) Er unterſcheidet im Itinerar. syr. p. 557, an der Riviera di Le-
vante: colles asperitate gratissima et mira fertilitate
conspicuos.
Ueber das Geſtade von Gaeta vgl. de remediis
utriusque fort. I,
54.
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5) Epist. famil. IV, 1, p. 624.
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[296/0306] auf der Verflechtung beider beruht ſein gelehrtes Anacho- retenleben in Vaucluſe und anderswo, ſeine periodiſche Flucht aus Zeit und Welt 1). Man würde ihm Unrecht thun, wenn man aus ſeinem noch ſchwachen und wenig entwickelten Vermögen des landſchaftlichen Schilderns auf einen Mangel an Empfindung ſchließen wollte. Seine Beſchreibung des wunderbaren Golfes von Spezzia und Porto Venere z. B., die er deßhalb am Ende des VI. Geſanges der „Africa“ einlegt, weil ſie bis jetzt weder von Alten noch von Neuern beſungen worden 2), iſt allerdings eine bloße Aufzählung. Aber derſelbe Petrarca kennt doch bereits die Schönheit von Felsbildungen und weiß überhaupt die maleriſche Be- deutung einer Landſchaft von der Nutzbarkeit zu trennen 3). Bei ſeinem Aufenthalt in den Wäldern von Reggio wirkt der plötzliche Anblick einer großartigen Landſchaft ſo auf ihn, daß er ein längſtunterbrochenes Gedicht wieder fort- ſetzt 4). Die wahrſte und tiefſte Aufregung aber kömmt über ihn bei der Beſteigung des Mont Ventoux unweit Avignon 5). Ein unbeſtimmter Drang nach einer weiten Rundſicht ſteigert ſich in ihm aufs Höchſte, bis endlich das zufällige Treffen jener Stelle im Livius, wo König Philipp der Römerfeind den Hämus beſteigt, den Entſcheid giebt. 4. Abſchnitt. Berg- beſteigung. 1) Epist. famil. VII, 4, p. 675. Interea utinam scire posses, quanta cum voluptate solivagus ac liber, inter montes et nemora, inter fontes et flumina, inter libros et maximorum hominum ingenia respiro, quamque me in ea, quæ ante sunt, cum Apostolo extendens et præterita oblivisci nitor et præ- sentia non videre. Vgl. VI, 3, p. 665. 2) Jacuit sine carmine sacro. — Vgl. Itinerar. syriacum, p. 558. 3) Er unterſcheidet im Itinerar. syr. p. 557, an der Riviera di Le- vante: colles asperitate gratissima et mira fertilitate conspicuos. Ueber das Geſtade von Gaeta vgl. de remediis utriusque fort. I, 54. 4) De orig. et vita, p. 3: subito loci specie percussus. 5) Epist. famil. IV, 1, p. 624.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/306>, abgerufen am 28.03.2024.