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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.alle Gebildeten jener Zeit war: als die concentrirteste Form
des Ruhmes. Niemand hinwiederum war damals so mächtig,
daß ihm nicht ein witziges Epigramm hätte unangenehm
werden können, und auch die Großen selber bedurften für
jede Inschrift, welche sie setzten, sorgfältigen und gelehrten
Beirathes, denn lächerliche Epitaphien z. B. liefen Gefahr,
in Sammlungen zum Zweck der Erheiterung aufgenommen
zu werden 1). Epigraphik und Epigrammatik reichten ein-
ander die Hand; erstere beruhte auf dem emsigsten Studium
der antiken Steinschriften.

In Rom.Die Stadt der Epigramme und der Inscriptionen in
vorzugsweisem Sinne war und blieb Rom. In diesem
Staate ohne Erblichkeit mußte jeder für seine Verewigung
selber sorgen; zugleich war das kurze Spottgedicht eine
Waffe gegen die Mitemporstrebenden. Schon Pius II. zählt
mit Wohlgefallen die Distichen auf, welche sein Haupt-
dichter Campanus bei jedem irgend geeigneten Momente
seiner Regierung ausarbeitete. Unter den folgenden Päpsten
blühte dann das satirische Epigramm und erreichte gegen-
über von Alexander VI. und den Seinigen die volle Höhe
des scandalösen Trotzes. Sannazaro dichtete die seinigen
allerdings in einer relativ gesicherten Lage, Andere aber
wagten in der Nähe des Hofes das Gefährlichste (S. 113).
Auf acht drohende Distichen hin, die man an der Pforte
der Bibliothek angeschlagen 2) fand, ließ einst Alexander die
Garde um 800 Mann verstärken; man kann sich denken,
wie er gegen den Dichter würde verfahren sein, wenn der-
selbe sich erwischen ließ. -- Unter Leo X. waren lateinische
Epigramme das tägliche Brod; für die Verherrlichung wie

1) Lettere de' principi, I, 88. 91.
2) Malipiero, ann. veneti, Arch. stor. VII, I, p. 508. Am Ende
heißt es, mit Bezug auf den Stier als Wappenthier der Borgia:
Merge, Tyber, vitulos animosas ultor in undas;
Bos cadat inferno victima magna Jovi!

3. Abſchnitt.alle Gebildeten jener Zeit war: als die concentrirteſte Form
des Ruhmes. Niemand hinwiederum war damals ſo mächtig,
daß ihm nicht ein witziges Epigramm hätte unangenehm
werden können, und auch die Großen ſelber bedurften für
jede Inſchrift, welche ſie ſetzten, ſorgfältigen und gelehrten
Beirathes, denn lächerliche Epitaphien z. B. liefen Gefahr,
in Sammlungen zum Zweck der Erheiterung aufgenommen
zu werden 1). Epigraphik und Epigrammatik reichten ein-
ander die Hand; erſtere beruhte auf dem emſigſten Studium
der antiken Steinſchriften.

In Rom.Die Stadt der Epigramme und der Inſcriptionen in
vorzugsweiſem Sinne war und blieb Rom. In dieſem
Staate ohne Erblichkeit mußte jeder für ſeine Verewigung
ſelber ſorgen; zugleich war das kurze Spottgedicht eine
Waffe gegen die Mitemporſtrebenden. Schon Pius II. zählt
mit Wohlgefallen die Diſtichen auf, welche ſein Haupt-
dichter Campanus bei jedem irgend geeigneten Momente
ſeiner Regierung ausarbeitete. Unter den folgenden Päpſten
blühte dann das ſatiriſche Epigramm und erreichte gegen-
über von Alexander VI. und den Seinigen die volle Höhe
des ſcandalöſen Trotzes. Sannazaro dichtete die ſeinigen
allerdings in einer relativ geſicherten Lage, Andere aber
wagten in der Nähe des Hofes das Gefährlichſte (S. 113).
Auf acht drohende Diſtichen hin, die man an der Pforte
der Bibliothek angeſchlagen 2) fand, ließ einſt Alexander die
Garde um 800 Mann verſtärken; man kann ſich denken,
wie er gegen den Dichter würde verfahren ſein, wenn der-
ſelbe ſich erwiſchen ließ. — Unter Leo X. waren lateiniſche
Epigramme das tägliche Brod; für die Verherrlichung wie

1) Lettere de' principi, I, 88. 91.
2) Malipiero, ann. veneti, Arch. stor. VII, I, p. 508. Am Ende
heißt es, mit Bezug auf den Stier als Wappenthier der Borgia:
Merge, Tyber, vitulos animosas ultor in undas;
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[264/0274] alle Gebildeten jener Zeit war: als die concentrirteſte Form des Ruhmes. Niemand hinwiederum war damals ſo mächtig, daß ihm nicht ein witziges Epigramm hätte unangenehm werden können, und auch die Großen ſelber bedurften für jede Inſchrift, welche ſie ſetzten, ſorgfältigen und gelehrten Beirathes, denn lächerliche Epitaphien z. B. liefen Gefahr, in Sammlungen zum Zweck der Erheiterung aufgenommen zu werden 1). Epigraphik und Epigrammatik reichten ein- ander die Hand; erſtere beruhte auf dem emſigſten Studium der antiken Steinſchriften. 3. Abſchnitt. Die Stadt der Epigramme und der Inſcriptionen in vorzugsweiſem Sinne war und blieb Rom. In dieſem Staate ohne Erblichkeit mußte jeder für ſeine Verewigung ſelber ſorgen; zugleich war das kurze Spottgedicht eine Waffe gegen die Mitemporſtrebenden. Schon Pius II. zählt mit Wohlgefallen die Diſtichen auf, welche ſein Haupt- dichter Campanus bei jedem irgend geeigneten Momente ſeiner Regierung ausarbeitete. Unter den folgenden Päpſten blühte dann das ſatiriſche Epigramm und erreichte gegen- über von Alexander VI. und den Seinigen die volle Höhe des ſcandalöſen Trotzes. Sannazaro dichtete die ſeinigen allerdings in einer relativ geſicherten Lage, Andere aber wagten in der Nähe des Hofes das Gefährlichſte (S. 113). Auf acht drohende Diſtichen hin, die man an der Pforte der Bibliothek angeſchlagen 2) fand, ließ einſt Alexander die Garde um 800 Mann verſtärken; man kann ſich denken, wie er gegen den Dichter würde verfahren ſein, wenn der- ſelbe ſich erwiſchen ließ. — Unter Leo X. waren lateiniſche Epigramme das tägliche Brod; für die Verherrlichung wie In Rom. 1) Lettere de' principi, I, 88. 91. 2) Malipiero, ann. veneti, Arch. stor. VII, I, p. 508. Am Ende heißt es, mit Bezug auf den Stier als Wappenthier der Borgia: Merge, Tyber, vitulos animosas ultor in undas; Bos cadat inferno victima magna Jovi!

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/274>, abgerufen am 25.04.2024.