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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.Sachbedeutung ihrer Gegenstände viel unabhängiger als die
Poesie, indem die Einbildungskraft bei ihr eher an der
Form, bei der Poesie eher an der Sache weiterspinnt. Der
gute Battista Mantuano in seinem 1) Festkalender hatte einen
andern Ausweg versucht; statt Götter und Halbgötter der
heiligen Geschichte dienen zu lassen, bringt er sie, wie die
Kirchenväter thaten, in Gegensatz zu derselben; während
der Engel Gabriel zu Nazareth die Jungfrau grüßt, ist
ihm Mercur vom Carmel her nachgeschwebt und lauscht
nun an der Pforte; dann berichtet er das Gehörte den
versammelten Göttern und bewegt sie damit zu den äußer-
sten Entschlüssen. Andere Male2) freilich müssen bei ihm
Thetis, Ceres, Aeolus u. s. w. wieder der Madonna und
ihrer Herrlichkeit gutwillig unterthan sein.

Sannazaro's Ruhm, die Menge seiner Nachahmer,
die begeisterte Huldigung der Größten jener Zeit -- dieß
Alles zeigt, wie sehr er seinem Jahrhundert nöthig und
werth war. Für die Kirche beim Beginn der Reformation
löste er das Problem: völlig classisch und doch christlich zu
dichten, und Leo sowohl als Clemens sagten ihm lauten
Dank dafür.

Zeitgeschicht-
liche Dichtung.
Endlich wurde in Hexametern oder Distichen auch die
Zeitgeschichte behandelt, bald mehr erzählend bald mehr
panegyrisch, in der Regel aber zu Ehren eines Fürsten oder
Fürstenhauses. So entstand eine Sphorcias, eine Borseis,
eine Borgias, eine Triultias u. s. w., freilich mit gänzlichem
Verfehlen des Zweckes, denn wer irgend berühmt und un-
sterblich geblieben ist, der blieb es nicht durch diese Art
von Gedichten, gegen welche die Welt einen unvertilgbaren
Widerwillen hat, selbst wenn sich gute Dichter dazu her-
geben. Ganz anders wirken kleinere, genreartig und ohne
Pathos ausgeführte Einzelbilder aus dem Leben der berühmten

1) De sacris diebus.
2) Z. B. in seiner achten Ecloge.

3. Abſchnitt.Sachbedeutung ihrer Gegenſtände viel unabhängiger als die
Poeſie, indem die Einbildungskraft bei ihr eher an der
Form, bei der Poeſie eher an der Sache weiterſpinnt. Der
gute Battiſta Mantuano in ſeinem 1) Feſtkalender hatte einen
andern Ausweg verſucht; ſtatt Götter und Halbgötter der
heiligen Geſchichte dienen zu laſſen, bringt er ſie, wie die
Kirchenväter thaten, in Gegenſatz zu derſelben; während
der Engel Gabriel zu Nazareth die Jungfrau grüßt, iſt
ihm Mercur vom Carmel her nachgeſchwebt und lauſcht
nun an der Pforte; dann berichtet er das Gehörte den
verſammelten Göttern und bewegt ſie damit zu den äußer-
ſten Entſchlüſſen. Andere Male2) freilich müſſen bei ihm
Thetis, Ceres, Aeolus u. ſ. w. wieder der Madonna und
ihrer Herrlichkeit gutwillig unterthan ſein.

Sannazaro's Ruhm, die Menge ſeiner Nachahmer,
die begeiſterte Huldigung der Größten jener Zeit — dieß
Alles zeigt, wie ſehr er ſeinem Jahrhundert nöthig und
werth war. Für die Kirche beim Beginn der Reformation
löste er das Problem: völlig claſſiſch und doch chriſtlich zu
dichten, und Leo ſowohl als Clemens ſagten ihm lauten
Dank dafür.

Zeitgeſchicht-
liche Dichtung.
Endlich wurde in Hexametern oder Diſtichen auch die
Zeitgeſchichte behandelt, bald mehr erzählend bald mehr
panegyriſch, in der Regel aber zu Ehren eines Fürſten oder
Fürſtenhauſes. So entſtand eine Sphorcias, eine Borſeïs,
eine Borgias, eine Triultias u. ſ. w., freilich mit gänzlichem
Verfehlen des Zweckes, denn wer irgend berühmt und un-
ſterblich geblieben iſt, der blieb es nicht durch dieſe Art
von Gedichten, gegen welche die Welt einen unvertilgbaren
Widerwillen hat, ſelbſt wenn ſich gute Dichter dazu her-
geben. Ganz anders wirken kleinere, genreartig und ohne
Pathos ausgeführte Einzelbilder aus dem Leben der berühmten

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[256/0266] Sachbedeutung ihrer Gegenſtände viel unabhängiger als die Poeſie, indem die Einbildungskraft bei ihr eher an der Form, bei der Poeſie eher an der Sache weiterſpinnt. Der gute Battiſta Mantuano in ſeinem 1) Feſtkalender hatte einen andern Ausweg verſucht; ſtatt Götter und Halbgötter der heiligen Geſchichte dienen zu laſſen, bringt er ſie, wie die Kirchenväter thaten, in Gegenſatz zu derſelben; während der Engel Gabriel zu Nazareth die Jungfrau grüßt, iſt ihm Mercur vom Carmel her nachgeſchwebt und lauſcht nun an der Pforte; dann berichtet er das Gehörte den verſammelten Göttern und bewegt ſie damit zu den äußer- ſten Entſchlüſſen. Andere Male 2) freilich müſſen bei ihm Thetis, Ceres, Aeolus u. ſ. w. wieder der Madonna und ihrer Herrlichkeit gutwillig unterthan ſein. 3. Abſchnitt. Sannazaro's Ruhm, die Menge ſeiner Nachahmer, die begeiſterte Huldigung der Größten jener Zeit — dieß Alles zeigt, wie ſehr er ſeinem Jahrhundert nöthig und werth war. Für die Kirche beim Beginn der Reformation löste er das Problem: völlig claſſiſch und doch chriſtlich zu dichten, und Leo ſowohl als Clemens ſagten ihm lauten Dank dafür. Endlich wurde in Hexametern oder Diſtichen auch die Zeitgeſchichte behandelt, bald mehr erzählend bald mehr panegyriſch, in der Regel aber zu Ehren eines Fürſten oder Fürſtenhauſes. So entſtand eine Sphorcias, eine Borſeïs, eine Borgias, eine Triultias u. ſ. w., freilich mit gänzlichem Verfehlen des Zweckes, denn wer irgend berühmt und un- ſterblich geblieben iſt, der blieb es nicht durch dieſe Art von Gedichten, gegen welche die Welt einen unvertilgbaren Widerwillen hat, ſelbſt wenn ſich gute Dichter dazu her- geben. Ganz anders wirken kleinere, genreartig und ohne Pathos ausgeführte Einzelbilder aus dem Leben der berühmten Zeitgeſchicht- liche Dichtung. 1) De sacris diebus. 2) Z. B. in ſeiner achten Ecloge.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/266>, abgerufen am 23.04.2024.