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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.bald dialogischen Eclogen seit Petrarca das Hirtenleben
schon beinah völlig 1) conventionell, als Hülle beliebiger
Phantasien und Gefühle behandelt ist, wird bei späterm
Anlaß wieder hervorzuheben sein; hier handelt es sich nur
um die neuen Mythen. Deutlicher als sonst irgendwo ver-
räth es sich hier, daß die alten Götter in der Renaissance
eine doppelte Bedeutung haben: einerseits ersetzen sie aller-
dings die allgemeinen Begriffe und machen die allegorischen
Figuren unnöthig, zugleich aber sind sie auch ein freies,
selbständiges Element der Poesie, ein Stück neutrale Schön-
heit, welches jeder Dichtung beigemischt und stets neu com-
binirt werden kann. Keck voran ging Boccaccio mit seiner
imaginären Götter- und Hirtenwelt der Umgebung von
Florenz, in seinem Ninfale d'Ameto und Ninfale fiesolano,
welche italienisch gedichtet sind. Das Meisterwerk aber
möchte wohl der Sarca des Pietro Bembo 2) sein: die
Werbung des Flußgottes jenes Namens um die Nymphe
Garda, das prächtige Hochzeitsmahl in einer Höhle am
Monte Baldo, die Weissagung der Manto, Tochter des
Tiresias, von der Geburt des Kindes Mincius, von der
Gründung Mantua's, und vom künftigen Ruhme des Vir-
gil, der als Sohn des Mincius und der Nymphe von Andes,
Maja, geboren werden wird. Zu diesem stattlichen huma-
nistischen Rococo fand Bembo sehr schöne Verse und eine
Schlußanrede an Virgil, um welche ihn jeder Dichter be-
neiden kann. Man pflegt dergleichen als bloße Declamation
gering zu achten, worüber als über eine Geschmackssache,
mit Niemanden zu rechten ist.

1) Die glänzenden Ausnahmen, wo das Landleben realistisch behandelt
auftritt, werden ebenfalls unten zu erwähnen sein.
2) Abgedruckt bei Mai, Spicilegium romanum, Vol. VIII. (Gegen
500 Hexameter stark.) Pierio Valeriano dichtete an dem Mythus
weiter; sein "carpio" in der Deliciae poet. ital. -- Die Fresken
des Brusasorci am Pal. Murari zu Verona stellen den Inhalt des
Sarca vor.

3. Abſchnitt.bald dialogiſchen Eclogen ſeit Petrarca das Hirtenleben
ſchon beinah völlig 1) conventionell, als Hülle beliebiger
Phantaſien und Gefühle behandelt iſt, wird bei ſpäterm
Anlaß wieder hervorzuheben ſein; hier handelt es ſich nur
um die neuen Mythen. Deutlicher als ſonſt irgendwo ver-
räth es ſich hier, daß die alten Götter in der Renaiſſance
eine doppelte Bedeutung haben: einerſeits erſetzen ſie aller-
dings die allgemeinen Begriffe und machen die allegoriſchen
Figuren unnöthig, zugleich aber ſind ſie auch ein freies,
ſelbſtändiges Element der Poeſie, ein Stück neutrale Schön-
heit, welches jeder Dichtung beigemiſcht und ſtets neu com-
binirt werden kann. Keck voran ging Boccaccio mit ſeiner
imaginären Götter- und Hirtenwelt der Umgebung von
Florenz, in ſeinem Ninfale d'Ameto und Ninfale fieſolano,
welche italieniſch gedichtet ſind. Das Meiſterwerk aber
möchte wohl der Sarca des Pietro Bembo 2) ſein: die
Werbung des Flußgottes jenes Namens um die Nymphe
Garda, das prächtige Hochzeitsmahl in einer Höhle am
Monte Baldo, die Weiſſagung der Manto, Tochter des
Tireſias, von der Geburt des Kindes Mincius, von der
Gründung Mantua's, und vom künftigen Ruhme des Vir-
gil, der als Sohn des Mincius und der Nymphe von Andes,
Maja, geboren werden wird. Zu dieſem ſtattlichen huma-
niſtiſchen Rococo fand Bembo ſehr ſchöne Verſe und eine
Schlußanrede an Virgil, um welche ihn jeder Dichter be-
neiden kann. Man pflegt dergleichen als bloße Declamation
gering zu achten, worüber als über eine Geſchmacksſache,
mit Niemanden zu rechten iſt.

1) Die glänzenden Ausnahmen, wo das Landleben realiſtiſch behandelt
auftritt, werden ebenfalls unten zu erwähnen ſein.
2) Abgedruckt bei Mai, Spicilegium romanum, Vol. VIII. (Gegen
500 Hexameter ſtark.) Pierio Valeriano dichtete an dem Mythus
weiter; ſein „carpio“ in der Deliciæ poet. ital. — Die Fresken
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[254/0264] bald dialogiſchen Eclogen ſeit Petrarca das Hirtenleben ſchon beinah völlig 1) conventionell, als Hülle beliebiger Phantaſien und Gefühle behandelt iſt, wird bei ſpäterm Anlaß wieder hervorzuheben ſein; hier handelt es ſich nur um die neuen Mythen. Deutlicher als ſonſt irgendwo ver- räth es ſich hier, daß die alten Götter in der Renaiſſance eine doppelte Bedeutung haben: einerſeits erſetzen ſie aller- dings die allgemeinen Begriffe und machen die allegoriſchen Figuren unnöthig, zugleich aber ſind ſie auch ein freies, ſelbſtändiges Element der Poeſie, ein Stück neutrale Schön- heit, welches jeder Dichtung beigemiſcht und ſtets neu com- binirt werden kann. Keck voran ging Boccaccio mit ſeiner imaginären Götter- und Hirtenwelt der Umgebung von Florenz, in ſeinem Ninfale d'Ameto und Ninfale fieſolano, welche italieniſch gedichtet ſind. Das Meiſterwerk aber möchte wohl der Sarca des Pietro Bembo 2) ſein: die Werbung des Flußgottes jenes Namens um die Nymphe Garda, das prächtige Hochzeitsmahl in einer Höhle am Monte Baldo, die Weiſſagung der Manto, Tochter des Tireſias, von der Geburt des Kindes Mincius, von der Gründung Mantua's, und vom künftigen Ruhme des Vir- gil, der als Sohn des Mincius und der Nymphe von Andes, Maja, geboren werden wird. Zu dieſem ſtattlichen huma- niſtiſchen Rococo fand Bembo ſehr ſchöne Verſe und eine Schlußanrede an Virgil, um welche ihn jeder Dichter be- neiden kann. Man pflegt dergleichen als bloße Declamation gering zu achten, worüber als über eine Geſchmacksſache, mit Niemanden zu rechten iſt. 3. Abſchnitt. 1) Die glänzenden Ausnahmen, wo das Landleben realiſtiſch behandelt auftritt, werden ebenfalls unten zu erwähnen ſein. 2) Abgedruckt bei Mai, Spicilegium romanum, Vol. VIII. (Gegen 500 Hexameter ſtark.) Pierio Valeriano dichtete an dem Mythus weiter; ſein „carpio“ in der Deliciæ poet. ital. — Die Fresken des Bruſaſorci am Pal. Murari zu Verona ſtellen den Inhalt des Sarca vor.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/264>, abgerufen am 28.03.2024.