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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.die beiden Hauptbedingungen der Fortdauer und Weiter-
bildung für die neulateinische Poesie vorhanden: ein allsei-
tiges Entgegenkommen bei den Gebildeten der Nation und
ein theilweises Wiedererwachen des antiken italischen Ge-
nius in den Dichtern selbst, ein wundersames Weiterklingen
Ihr Werth.eines uralten Saitenspiels. Das Beste was so entsteht ist
nicht mehr Nachahmung sondern eigene freie Schöpfung.
Wer in den Künsten keine abgeleiteten Formen vertragen
kann, wer entweder schon das Alterthum selber nicht schätzt
oder es im Gegentheil für magisch unnahbar und unnach-
ahmlich hält, wer endlich gegen Verstöße keine Nachsicht
übt bei Dichtern, welche z. B. eine Menge Sylbenquanti-
täten neu entdecken oder errathen mußten, der lasse diese
Literatur bei Seite. Ihre schönern Werke sind nicht ge-
schaffen um irgend einer absoluten Kritik zu trotzen, sondern
um den Dichter und viele Tausende seiner Zeitgenossen zu
erfreuen 1).

Geschichtliches
Epos.
Am wenigsten Glück hatte man mit dem Epos aus
Geschichten und Sagen des Alterthums. Die wesentlichen
Bedingungen einer lebendigen epischen Poesie werden be-
kanntlich nicht einmal den römischen Vorbildern, ja außer
Homer nicht einmal den Griechen zuerkannt; wie hätten sie
sich bei den Lateinern der Renaissance finden sollen. Indeß
möchte doch die Africa des Petrarca im Ganzen so viele
und so begeisterte Leser und Hörer gefunden haben als
irgend ein Epos der neuern Zeit. Absicht und Entstehung
des Gedichtes sind nicht ohne Interesse. Das XIV. Jahr-
hundert erkannte mit ganz richtigem Gefühl in der Zeit
des zweiten punischen Krieges die Sonnenhöhe des Römer-
thums, und diese wollte und mußte Petrarca behandeln.
Wäre Silius Italicus schon entdeckt gewesen, so hätte er

1) Für das Folgende s. die Deliciae poetarum italor.; -- Paul.
Jovius, elogia; -- Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri
temporis;
-- die Beilagen zu Roscoe, Leone X, ed. Bossi.

3. Abſchnitt.die beiden Hauptbedingungen der Fortdauer und Weiter-
bildung für die neulateiniſche Poeſie vorhanden: ein allſei-
tiges Entgegenkommen bei den Gebildeten der Nation und
ein theilweiſes Wiedererwachen des antiken italiſchen Ge-
nius in den Dichtern ſelbſt, ein wunderſames Weiterklingen
Ihr Werth.eines uralten Saitenſpiels. Das Beſte was ſo entſteht iſt
nicht mehr Nachahmung ſondern eigene freie Schöpfung.
Wer in den Künſten keine abgeleiteten Formen vertragen
kann, wer entweder ſchon das Alterthum ſelber nicht ſchätzt
oder es im Gegentheil für magiſch unnahbar und unnach-
ahmlich hält, wer endlich gegen Verſtöße keine Nachſicht
übt bei Dichtern, welche z. B. eine Menge Sylbenquanti-
täten neu entdecken oder errathen mußten, der laſſe dieſe
Literatur bei Seite. Ihre ſchönern Werke ſind nicht ge-
ſchaffen um irgend einer abſoluten Kritik zu trotzen, ſondern
um den Dichter und viele Tauſende ſeiner Zeitgenoſſen zu
erfreuen 1).

Geſchichtliches
Epos.
Am wenigſten Glück hatte man mit dem Epos aus
Geſchichten und Sagen des Alterthums. Die weſentlichen
Bedingungen einer lebendigen epiſchen Poeſie werden be-
kanntlich nicht einmal den römiſchen Vorbildern, ja außer
Homer nicht einmal den Griechen zuerkannt; wie hätten ſie
ſich bei den Lateinern der Renaiſſance finden ſollen. Indeß
möchte doch die Africa des Petrarca im Ganzen ſo viele
und ſo begeiſterte Leſer und Hörer gefunden haben als
irgend ein Epos der neuern Zeit. Abſicht und Entſtehung
des Gedichtes ſind nicht ohne Intereſſe. Das XIV. Jahr-
hundert erkannte mit ganz richtigem Gefühl in der Zeit
des zweiten puniſchen Krieges die Sonnenhöhe des Römer-
thums, und dieſe wollte und mußte Petrarca behandeln.
Wäre Silius Italicus ſchon entdeckt geweſen, ſo hätte er

1) Für das Folgende ſ. die Deliciæ poetarum italor.; — Paul.
Jovius, elogia; — Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri
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[252/0262] die beiden Hauptbedingungen der Fortdauer und Weiter- bildung für die neulateiniſche Poeſie vorhanden: ein allſei- tiges Entgegenkommen bei den Gebildeten der Nation und ein theilweiſes Wiedererwachen des antiken italiſchen Ge- nius in den Dichtern ſelbſt, ein wunderſames Weiterklingen eines uralten Saitenſpiels. Das Beſte was ſo entſteht iſt nicht mehr Nachahmung ſondern eigene freie Schöpfung. Wer in den Künſten keine abgeleiteten Formen vertragen kann, wer entweder ſchon das Alterthum ſelber nicht ſchätzt oder es im Gegentheil für magiſch unnahbar und unnach- ahmlich hält, wer endlich gegen Verſtöße keine Nachſicht übt bei Dichtern, welche z. B. eine Menge Sylbenquanti- täten neu entdecken oder errathen mußten, der laſſe dieſe Literatur bei Seite. Ihre ſchönern Werke ſind nicht ge- ſchaffen um irgend einer abſoluten Kritik zu trotzen, ſondern um den Dichter und viele Tauſende ſeiner Zeitgenoſſen zu erfreuen 1). 3. Abſchnitt. Ihr Werth. Am wenigſten Glück hatte man mit dem Epos aus Geſchichten und Sagen des Alterthums. Die weſentlichen Bedingungen einer lebendigen epiſchen Poeſie werden be- kanntlich nicht einmal den römiſchen Vorbildern, ja außer Homer nicht einmal den Griechen zuerkannt; wie hätten ſie ſich bei den Lateinern der Renaiſſance finden ſollen. Indeß möchte doch die Africa des Petrarca im Ganzen ſo viele und ſo begeiſterte Leſer und Hörer gefunden haben als irgend ein Epos der neuern Zeit. Abſicht und Entſtehung des Gedichtes ſind nicht ohne Intereſſe. Das XIV. Jahr- hundert erkannte mit ganz richtigem Gefühl in der Zeit des zweiten puniſchen Krieges die Sonnenhöhe des Römer- thums, und dieſe wollte und mußte Petrarca behandeln. Wäre Silius Italicus ſchon entdeckt geweſen, ſo hätte er Geſchichtliches Epos. 1) Für das Folgende ſ. die Deliciæ poetarum italor.; — Paul. Jovius, elogia; — Lil. Greg. Gyraldus, de poetis nostri temporis; — die Beilagen zu Roscoe, Leone X, ed. Bossi.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/262>, abgerufen am 29.03.2024.