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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.von Dingen, über welche man sich seit dem Alterthum noch
nicht wieder ausgesprochen hatte. Sodann hört sich die
Sprache hier besonders gerne selber zu -- gleichviel ob die
lateinische oder die italienische. Freier und vielseitiger als
in der historischen Erzählung oder in der Oration und in
den Briefen bildet sie hier ihr Satzwerk, und von den ita-
lienischen Schriften dieser Art gelten mehrere bis heute als
Muster der Prosa. Manche von diesen Arbeiten wurden
schon genannt oder werden noch angeführt werden ihres
Sachinhaltes wegen; hier mußte von ihnen als Gesammt-
gattung die Rede sein. Von Petrarca's Briefen und Trac-
taten an bis gegen Ende des XV. Jahrhunderts wiegt bei
den Meisten auch hier das Aufspeichern antiken Stoffes
vor, wie bei den Rednern; dann klärt sich die Gattung ab,
zumal im Italienischen, und erreicht mit den Asolani des
Bembo, mit der Vita Sobria des Luigi Cornaro die volle
Classicität. Auch hier war es entscheidend, daß jener antike
Stoff inzwischen sich in besondern großen Sammelwerken,
jetzt sogar gedruckt abzulagern begonnen hatte und dem
Tractatschreiber nicht mehr im Wege war.

Lateinische Ge-
schichtschrei-
bung.
Ganz unvermeidlich bemächtigte sich der Humanismus
auch der Geschichtschreibung. Bei flüchtiger Vergleichung dieser
Historien mit den frühern Chroniken, namentlich mit so
herrlichen, farbenreichen, lebensvollen Werken wie die der
Villani wird man dieß laut beklagen. Wie abgeblaßt und
conventionell zierlich erscheint neben diesen Alles was die
Humanisten schreiben, und zwar z. B. gerade ihre näch-
sten und berühmtesten Nachfolger in der Historiographie
von Florenz, Lionardo Aretino und Poggio. Wie un-
ablässig plagt den Leser die Ahnung, daß zwischen den
livianischen und den cäsarischen Phrasen eines Facius, Sa-
bellicus, Folieta, Senarega, Platina (in der mantuanischen
Geschichte), Bembo (in den Annalen von Venedig) und
selbst eines Giovio (in den Historien) die beste individuelle
und locale Farbe, das Interesse am vollen wirklichen Her-

3. Abſchnitt.von Dingen, über welche man ſich ſeit dem Alterthum noch
nicht wieder ausgeſprochen hatte. Sodann hört ſich die
Sprache hier beſonders gerne ſelber zu — gleichviel ob die
lateiniſche oder die italieniſche. Freier und vielſeitiger als
in der hiſtoriſchen Erzählung oder in der Oration und in
den Briefen bildet ſie hier ihr Satzwerk, und von den ita-
lieniſchen Schriften dieſer Art gelten mehrere bis heute als
Muſter der Proſa. Manche von dieſen Arbeiten wurden
ſchon genannt oder werden noch angeführt werden ihres
Sachinhaltes wegen; hier mußte von ihnen als Geſammt-
gattung die Rede ſein. Von Petrarca's Briefen und Trac-
taten an bis gegen Ende des XV. Jahrhunderts wiegt bei
den Meiſten auch hier das Aufſpeichern antiken Stoffes
vor, wie bei den Rednern; dann klärt ſich die Gattung ab,
zumal im Italieniſchen, und erreicht mit den Aſolani des
Bembo, mit der Vita Sobria des Luigi Cornaro die volle
Claſſicität. Auch hier war es entſcheidend, daß jener antike
Stoff inzwiſchen ſich in beſondern großen Sammelwerken,
jetzt ſogar gedruckt abzulagern begonnen hatte und dem
Tractatſchreiber nicht mehr im Wege war.

Lateiniſche Ge-
ſchichtſchrei-
bung.
Ganz unvermeidlich bemächtigte ſich der Humanismus
auch der Geſchichtſchreibung. Bei flüchtiger Vergleichung dieſer
Hiſtorien mit den frühern Chroniken, namentlich mit ſo
herrlichen, farbenreichen, lebensvollen Werken wie die der
Villani wird man dieß laut beklagen. Wie abgeblaßt und
conventionell zierlich erſcheint neben dieſen Alles was die
Humaniſten ſchreiben, und zwar z. B. gerade ihre näch-
ſten und berühmteſten Nachfolger in der Hiſtoriographie
von Florenz, Lionardo Aretino und Poggio. Wie un-
abläſſig plagt den Leſer die Ahnung, daß zwiſchen den
livianiſchen und den cäſariſchen Phraſen eines Facius, Sa-
bellicus, Folieta, Senarega, Platina (in der mantuaniſchen
Geſchichte), Bembo (in den Annalen von Venedig) und
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[238/0248] von Dingen, über welche man ſich ſeit dem Alterthum noch nicht wieder ausgeſprochen hatte. Sodann hört ſich die Sprache hier beſonders gerne ſelber zu — gleichviel ob die lateiniſche oder die italieniſche. Freier und vielſeitiger als in der hiſtoriſchen Erzählung oder in der Oration und in den Briefen bildet ſie hier ihr Satzwerk, und von den ita- lieniſchen Schriften dieſer Art gelten mehrere bis heute als Muſter der Proſa. Manche von dieſen Arbeiten wurden ſchon genannt oder werden noch angeführt werden ihres Sachinhaltes wegen; hier mußte von ihnen als Geſammt- gattung die Rede ſein. Von Petrarca's Briefen und Trac- taten an bis gegen Ende des XV. Jahrhunderts wiegt bei den Meiſten auch hier das Aufſpeichern antiken Stoffes vor, wie bei den Rednern; dann klärt ſich die Gattung ab, zumal im Italieniſchen, und erreicht mit den Aſolani des Bembo, mit der Vita Sobria des Luigi Cornaro die volle Claſſicität. Auch hier war es entſcheidend, daß jener antike Stoff inzwiſchen ſich in beſondern großen Sammelwerken, jetzt ſogar gedruckt abzulagern begonnen hatte und dem Tractatſchreiber nicht mehr im Wege war. 3. Abſchnitt. Ganz unvermeidlich bemächtigte ſich der Humanismus auch der Geſchichtſchreibung. Bei flüchtiger Vergleichung dieſer Hiſtorien mit den frühern Chroniken, namentlich mit ſo herrlichen, farbenreichen, lebensvollen Werken wie die der Villani wird man dieß laut beklagen. Wie abgeblaßt und conventionell zierlich erſcheint neben dieſen Alles was die Humaniſten ſchreiben, und zwar z. B. gerade ihre näch- ſten und berühmteſten Nachfolger in der Hiſtoriographie von Florenz, Lionardo Aretino und Poggio. Wie un- abläſſig plagt den Leſer die Ahnung, daß zwiſchen den livianiſchen und den cäſariſchen Phraſen eines Facius, Sa- bellicus, Folieta, Senarega, Platina (in der mantuaniſchen Geſchichte), Bembo (in den Annalen von Venedig) und ſelbſt eines Giovio (in den Hiſtorien) die beſte individuelle und locale Farbe, das Intereſſe am vollen wirklichen Her- Lateiniſche Ge- ſchichtſchrei- bung.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/248>, abgerufen am 19.04.2024.