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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.ein bloß schriftlich eingesandtes Werk 1). Ja wie man
Briefe mit imaginären Adressen nach allen Gegenden der
Welt componirte als Exercitium, als Formulare, auch wohl
als Tendenzschriften, so gab es auch Reden auf erdichtete
Anlässe 2), als Formulare für Begrüßung großer Beamten,
Fürsten und Bischöfe u. dgl. m.

Verfall der
Eloquenz.
Auch für die Redekunst gilt der Tod Leo's X. (1521)
und die Verwüstung von Rom (1527) als der Termin des
Verfalls. Aus dem Jammer der ewigen Stadt kaum ge-
flüchtet, verzeichnet Giovio 3) einseitig und doch wohl mit
überwiegender Wahrheit die Gründe dieses Verfalls:

"Die Aufführungen des Plautus und Terenz, einst
eine Uebungsschule des lateinischen Ausdruckes für die vor-
nehmen Römer, sind durch italienische Comödien verdrängt.
Der elegante Redner findet nicht mehr Lohn und Anerken-
nung wie früher. Deßhalb arbeiten z. B. die Consistorial-
advocaten an ihren Vorträgen nur noch die Proömien aus
und geben den Rest als trüben Mischmasch nur noch stoß-
weise von sich. Auch Casualreden und Predigten sind tief
gesunken. Handelt es sich um die Leichenrede für einen
Cardinal oder weltlichen Großen, so wenden sich die Testa-
mentsexecutoren nicht an den trefflichsten Redner der Stadt,
den sie mit hundert Goldstücken honoriren müßten, sondern

1) Und zwar keines von den bessern. Das Bemerkenswertheste ist die
Floskel am Schlusse: Esto tibi ipsi archetypon et exemplar,
teipsum imitare etc.
2) Briefe sowohl als Reden dieser Art schrieb Alberto di Ripalta, vgl.
die von ihm verfaßten Annales Placentini, bei Murat. XX,
Col. 914, s.
wo der Pedant seinen literarischen Lebenslauf ganz
lehrreich beschreibt.
3) Pauli Jovii Dialogus de viris literis illustribus, bei Tira-
boschi, Tom. VII, Parte IV.
-- Doch meint er noch wohl ein
Jahrzehnd später, am Schluß der Elogia literaria: Tenemus ad-
huc,
nachdem das Primat der Philologie auf Deutschland überge-
gangen, sincerae et constantis eloquentiae munitam arcem etc.

3. Abſchnitt.ein bloß ſchriftlich eingeſandtes Werk 1). Ja wie man
Briefe mit imaginären Adreſſen nach allen Gegenden der
Welt componirte als Exercitium, als Formulare, auch wohl
als Tendenzſchriften, ſo gab es auch Reden auf erdichtete
Anläſſe 2), als Formulare für Begrüßung großer Beamten,
Fürſten und Biſchöfe u. dgl. m.

Verfall der
Eloquenz.
Auch für die Redekunſt gilt der Tod Leo's X. (1521)
und die Verwüſtung von Rom (1527) als der Termin des
Verfalls. Aus dem Jammer der ewigen Stadt kaum ge-
flüchtet, verzeichnet Giovio 3) einſeitig und doch wohl mit
überwiegender Wahrheit die Gründe dieſes Verfalls:

„Die Aufführungen des Plautus und Terenz, einſt
eine Uebungsſchule des lateiniſchen Ausdruckes für die vor-
nehmen Römer, ſind durch italieniſche Comödien verdrängt.
Der elegante Redner findet nicht mehr Lohn und Anerken-
nung wie früher. Deßhalb arbeiten z. B. die Conſiſtorial-
advocaten an ihren Vorträgen nur noch die Proömien aus
und geben den Reſt als trüben Miſchmaſch nur noch ſtoß-
weiſe von ſich. Auch Caſualreden und Predigten ſind tief
geſunken. Handelt es ſich um die Leichenrede für einen
Cardinal oder weltlichen Großen, ſo wenden ſich die Teſta-
mentsexecutoren nicht an den trefflichſten Redner der Stadt,
den ſie mit hundert Goldſtücken honoriren müßten, ſondern

1) Und zwar keines von den beſſern. Das Bemerkenswertheſte iſt die
Floskel am Schluſſe: Esto tibi ipsi archetypon et exemplar,
teipsum imitare etc.
2) Briefe ſowohl als Reden dieſer Art ſchrieb Alberto di Ripalta, vgl.
die von ihm verfaßten Annales Placentini, bei Murat. XX,
Col. 914, s.
wo der Pedant ſeinen literariſchen Lebenslauf ganz
lehrreich beſchreibt.
3) Pauli Jovii Dialogus de viris literis illustribus, bei Tira-
boschi, Tom. VII, Parte IV.
— Doch meint er noch wohl ein
Jahrzehnd ſpäter, am Schluß der Elogia literaria: Tenemus ad-
huc,
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[236/0246] ein bloß ſchriftlich eingeſandtes Werk 1). Ja wie man Briefe mit imaginären Adreſſen nach allen Gegenden der Welt componirte als Exercitium, als Formulare, auch wohl als Tendenzſchriften, ſo gab es auch Reden auf erdichtete Anläſſe 2), als Formulare für Begrüßung großer Beamten, Fürſten und Biſchöfe u. dgl. m. 3. Abſchnitt. Auch für die Redekunſt gilt der Tod Leo's X. (1521) und die Verwüſtung von Rom (1527) als der Termin des Verfalls. Aus dem Jammer der ewigen Stadt kaum ge- flüchtet, verzeichnet Giovio 3) einſeitig und doch wohl mit überwiegender Wahrheit die Gründe dieſes Verfalls: Verfall der Eloquenz. „Die Aufführungen des Plautus und Terenz, einſt eine Uebungsſchule des lateiniſchen Ausdruckes für die vor- nehmen Römer, ſind durch italieniſche Comödien verdrängt. Der elegante Redner findet nicht mehr Lohn und Anerken- nung wie früher. Deßhalb arbeiten z. B. die Conſiſtorial- advocaten an ihren Vorträgen nur noch die Proömien aus und geben den Reſt als trüben Miſchmaſch nur noch ſtoß- weiſe von ſich. Auch Caſualreden und Predigten ſind tief geſunken. Handelt es ſich um die Leichenrede für einen Cardinal oder weltlichen Großen, ſo wenden ſich die Teſta- mentsexecutoren nicht an den trefflichſten Redner der Stadt, den ſie mit hundert Goldſtücken honoriren müßten, ſondern 1) Und zwar keines von den beſſern. Das Bemerkenswertheſte iſt die Floskel am Schluſſe: Esto tibi ipsi archetypon et exemplar, teipsum imitare etc. 2) Briefe ſowohl als Reden dieſer Art ſchrieb Alberto di Ripalta, vgl. die von ihm verfaßten Annales Placentini, bei Murat. XX, Col. 914, s. wo der Pedant ſeinen literariſchen Lebenslauf ganz lehrreich beſchreibt. 3) Pauli Jovii Dialogus de viris literis illustribus, bei Tira- boschi, Tom. VII, Parte IV. — Doch meint er noch wohl ein Jahrzehnd ſpäter, am Schluß der Elogia literaria: Tenemus ad- huc, nachdem das Primat der Philologie auf Deutſchland überge- gangen, sinceræ et constantis eloquentiæ munitam arcem etc.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/246>, abgerufen am 19.04.2024.