Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

der zu rühmenden Großen nach irgend einem Schema3. Abschnitt.
z. B. der Cardinaltugenden gepriesen, und nur mit großer
Mühe entdeckt man bei ihm und Andern die wenigen zeit-
geschichtlichen Elemente von Werth, welche wirklich darin
sind. Die Rede eines Professors und Literaten von Pia-
cenza z. B. für den Empfang des Herzogs Galeazzo Maria
1467 beginnt mit C. Julius Caesar, mischt einen Haufen
antiker Citate mit solchen aus einem eigenen allegorischen
Werk des Verfassers zusammen, und schließt mit sehr in-
discreten guten Lehren an den Herrscher 1). Glücklicher
Weise war es schon zu spät am Abend und der Redner
mußte sich damit begnügen, seinen Panegyricus schriftlich
zu überreichen. Auch Filelfo hebt eine Verlobungsrede mit
den Worten an: Jener peripatetische Aristoteles etc.; Andere
rufen gleich zu Anfang: Publius Cornelius Scipio u. dgl.,
ganz als könnten sie und ihre Zuhörer das Citiren gar
nicht erwarten. Mit dem Ende des XV. Jahrhunderts
reinigte sich der Geschmack auf einmal, wesentlich durch das
Verdienst der Florentiner; im Citiren wird fortan sehr be-
hutsam Maß gehalten, schon weil inzwischen allerlei Nach-
schlagewerke häufiger geworden sind, in welchen der Erste
Beste dasjenige vorräthig findet, womit man bis jetzt Fürsten
und Volk in Erstaunen gesetzt.

Da die meisten Reden am Studirpult erarbeitet waren,Fingirte Reden.
so dienten die Manuscripte unmittelbar zur weitern Ver-
breitung und Veröffentlichung. Großen Stegreifrednern
dagegen mußte nachstenographirt werden 2). -- Ferner sind
nicht alle Orationen, die wir besitzen, auch nur dazu be-
stimmt gewesen, wirklich gehalten zu werden; so ist z. B.
der Panegyricus des ältern Beroaldus auf Lodovico Moro

1) Annales Placentini bei Murat. XX, Col. 918.
2) So dem Savonarola, vgl. Perrens, Vie de Savonarole I, p. 163.
Die Stenographen konnten jedoch ihm und z. B. auch begeisterten
Improvisatoren nicht immer folgen.

der zu rühmenden Großen nach irgend einem Schema3. Abſchnitt.
z. B. der Cardinaltugenden geprieſen, und nur mit großer
Mühe entdeckt man bei ihm und Andern die wenigen zeit-
geſchichtlichen Elemente von Werth, welche wirklich darin
ſind. Die Rede eines Profeſſors und Literaten von Pia-
cenza z. B. für den Empfang des Herzogs Galeazzo Maria
1467 beginnt mit C. Julius Caeſar, miſcht einen Haufen
antiker Citate mit ſolchen aus einem eigenen allegoriſchen
Werk des Verfaſſers zuſammen, und ſchließt mit ſehr in-
discreten guten Lehren an den Herrſcher 1). Glücklicher
Weiſe war es ſchon zu ſpät am Abend und der Redner
mußte ſich damit begnügen, ſeinen Panegyricus ſchriftlich
zu überreichen. Auch Filelfo hebt eine Verlobungsrede mit
den Worten an: Jener peripatetiſche Ariſtoteles ꝛc.; Andere
rufen gleich zu Anfang: Publius Cornelius Scipio u. dgl.,
ganz als könnten ſie und ihre Zuhörer das Citiren gar
nicht erwarten. Mit dem Ende des XV. Jahrhunderts
reinigte ſich der Geſchmack auf einmal, weſentlich durch das
Verdienſt der Florentiner; im Citiren wird fortan ſehr be-
hutſam Maß gehalten, ſchon weil inzwiſchen allerlei Nach-
ſchlagewerke häufiger geworden ſind, in welchen der Erſte
Beſte dasjenige vorräthig findet, womit man bis jetzt Fürſten
und Volk in Erſtaunen geſetzt.

Da die meiſten Reden am Studirpult erarbeitet waren,Fingirte Reden.
ſo dienten die Manuſcripte unmittelbar zur weitern Ver-
breitung und Veröffentlichung. Großen Stegreifrednern
dagegen mußte nachſtenographirt werden 2). — Ferner ſind
nicht alle Orationen, die wir beſitzen, auch nur dazu be-
ſtimmt geweſen, wirklich gehalten zu werden; ſo iſt z. B.
der Panegyricus des ältern Beroaldus auf Lodovico Moro

1) Annales Placentini bei Murat. XX, Col. 918.
2) So dem Savonarola, vgl. Perrens, Vie de Savonarole I, p. 163.
Die Stenographen konnten jedoch ihm und z. B. auch begeiſterten
Improviſatoren nicht immer folgen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0245" n="235"/>
der zu rühmenden Großen nach irgend einem Schema<note place="right"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">3. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note><lb/>
z. B. der Cardinaltugenden geprie&#x017F;en, und nur mit großer<lb/>
Mühe entdeckt man bei ihm und Andern die wenigen zeit-<lb/>
ge&#x017F;chichtlichen Elemente von Werth, welche wirklich darin<lb/>
&#x017F;ind. Die Rede eines Profe&#x017F;&#x017F;ors und Literaten von Pia-<lb/>
cenza z. B. für den Empfang des Herzogs Galeazzo Maria<lb/>
1467 beginnt mit C. Julius Cae&#x017F;ar, mi&#x017F;cht einen Haufen<lb/>
antiker Citate mit &#x017F;olchen aus einem eigenen allegori&#x017F;chen<lb/>
Werk des Verfa&#x017F;&#x017F;ers zu&#x017F;ammen, und &#x017F;chließt mit &#x017F;ehr in-<lb/>
discreten guten Lehren an den Herr&#x017F;cher <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#aq">Annales Placentini</hi> bei <hi rendition="#aq">Murat. XX, Col.</hi> 918.</note>. Glücklicher<lb/>
Wei&#x017F;e war es &#x017F;chon zu &#x017F;pät am Abend und der Redner<lb/>
mußte &#x017F;ich damit begnügen, &#x017F;einen Panegyricus &#x017F;chriftlich<lb/>
zu überreichen. Auch Filelfo hebt eine Verlobungsrede mit<lb/>
den Worten an: Jener peripateti&#x017F;che Ari&#x017F;toteles &#xA75B;c.; Andere<lb/>
rufen gleich zu Anfang: Publius Cornelius Scipio u. dgl.,<lb/>
ganz als könnten &#x017F;ie und ihre Zuhörer das Citiren gar<lb/>
nicht erwarten. Mit dem Ende des <hi rendition="#aq">XV.</hi> Jahrhunderts<lb/>
reinigte &#x017F;ich der Ge&#x017F;chmack auf einmal, we&#x017F;entlich durch das<lb/>
Verdien&#x017F;t der Florentiner; im Citiren wird fortan &#x017F;ehr be-<lb/>
hut&#x017F;am Maß gehalten, &#x017F;chon weil inzwi&#x017F;chen allerlei Nach-<lb/>
&#x017F;chlagewerke häufiger geworden &#x017F;ind, in welchen der Er&#x017F;te<lb/>
Be&#x017F;te dasjenige vorräthig findet, womit man bis jetzt Für&#x017F;ten<lb/>
und Volk in Er&#x017F;taunen ge&#x017F;etzt.</p><lb/>
        <p>Da die mei&#x017F;ten Reden am Studirpult erarbeitet waren,<note place="right">Fingirte Reden.</note><lb/>
&#x017F;o dienten die Manu&#x017F;cripte unmittelbar zur weitern Ver-<lb/>
breitung und Veröffentlichung. Großen Stegreifrednern<lb/>
dagegen mußte nach&#x017F;tenographirt werden <note place="foot" n="2)">So dem Savonarola, vgl. <hi rendition="#aq">Perrens, Vie de Savonarole I, p.</hi> 163.<lb/>
Die Stenographen konnten jedoch ihm und z. B. auch begei&#x017F;terten<lb/>
Improvi&#x017F;atoren nicht immer folgen.</note>. &#x2014; Ferner &#x017F;ind<lb/>
nicht alle Orationen, die wir be&#x017F;itzen, auch nur dazu be-<lb/>
&#x017F;timmt gewe&#x017F;en, wirklich gehalten zu werden; &#x017F;o i&#x017F;t z. B.<lb/>
der Panegyricus des ältern Beroaldus auf Lodovico Moro<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0245] der zu rühmenden Großen nach irgend einem Schema z. B. der Cardinaltugenden geprieſen, und nur mit großer Mühe entdeckt man bei ihm und Andern die wenigen zeit- geſchichtlichen Elemente von Werth, welche wirklich darin ſind. Die Rede eines Profeſſors und Literaten von Pia- cenza z. B. für den Empfang des Herzogs Galeazzo Maria 1467 beginnt mit C. Julius Caeſar, miſcht einen Haufen antiker Citate mit ſolchen aus einem eigenen allegoriſchen Werk des Verfaſſers zuſammen, und ſchließt mit ſehr in- discreten guten Lehren an den Herrſcher 1). Glücklicher Weiſe war es ſchon zu ſpät am Abend und der Redner mußte ſich damit begnügen, ſeinen Panegyricus ſchriftlich zu überreichen. Auch Filelfo hebt eine Verlobungsrede mit den Worten an: Jener peripatetiſche Ariſtoteles ꝛc.; Andere rufen gleich zu Anfang: Publius Cornelius Scipio u. dgl., ganz als könnten ſie und ihre Zuhörer das Citiren gar nicht erwarten. Mit dem Ende des XV. Jahrhunderts reinigte ſich der Geſchmack auf einmal, weſentlich durch das Verdienſt der Florentiner; im Citiren wird fortan ſehr be- hutſam Maß gehalten, ſchon weil inzwiſchen allerlei Nach- ſchlagewerke häufiger geworden ſind, in welchen der Erſte Beſte dasjenige vorräthig findet, womit man bis jetzt Fürſten und Volk in Erſtaunen geſetzt. 3. Abſchnitt. Da die meiſten Reden am Studirpult erarbeitet waren, ſo dienten die Manuſcripte unmittelbar zur weitern Ver- breitung und Veröffentlichung. Großen Stegreifrednern dagegen mußte nachſtenographirt werden 2). — Ferner ſind nicht alle Orationen, die wir beſitzen, auch nur dazu be- ſtimmt geweſen, wirklich gehalten zu werden; ſo iſt z. B. der Panegyricus des ältern Beroaldus auf Lodovico Moro Fingirte Reden. 1) Annales Placentini bei Murat. XX, Col. 918. 2) So dem Savonarola, vgl. Perrens, Vie de Savonarole I, p. 163. Die Stenographen konnten jedoch ihm und z. B. auch begeiſterten Improviſatoren nicht immer folgen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/245
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/245>, abgerufen am 18.04.2024.