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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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3. Abschnitt.das Entstehen eigener neuer Lehrbücher 1), die Benützung
der Fortschritte der Philologie im Allgemeinen und die
Masse von antiken Ideen und Sachen, womit man die
eigenen Gedanken bereichern durfte und mußte, -- dieß
zusammen vollendete den Character der neuen Redekunst.

Form und
Sachinhalt.
Je nach den Individuen ist derselbe gleichwohl sehr
verschieden. Manche Reden athmen eine wahre Beredsam-
keit, namentlich diejenigen, welche bei der Sache bleiben;
von dieser Art ist durchschnittlich was wir von Pius II.
übrig haben. Sodann lassen die Wunderwirkungen, welche
Giannozzo Mannetti 2) erreichte, auf einen Redner schließen,
wie es in allen Zeiten wenige gegeben hat. Seine großen
Audienzen als Gesandter vor Nicolaus V., vor Dogen und
Rath von Venedig waren Ereignisse, deren Andenken lange
dauerte. Viele Redner dagegen benützten den Anlaß, um
neben einigen Schmeicheleien für vornehme Zuhörer eine
wüste Masse von Worten und Sachen aus dem Alterthum
vorzubringen. Wie es möglich war, dabei bis zwei, ja
drei Stunden auszuhalten, begreift man nur wenn man
das starke damalige Sachinteresse am Alterthum und die
Mangelhaftigkeit und relative Seltenheit der Bearbeitungen
-- vor der Zeit des allgemeinen Druckens -- in Betracht
zieht. Solche Reden hatten noch immer den Werth, welchen
wir (S. 200) manchen Briefen Petrarca's vindicirt haben.
Die Citirsucht.Einige machten es aber doch zu stark. Filelfo's meiste
Orationen sind ein abscheuliches Durcheinander von classi-
schen und biblischen Citaten, aufgereiht an einer Schnur
von Gemeinplätzen; dazwischen werden die Persönlichkeiten

1) Georg. Trapezunt. Rhetorica, das erste vollständige Lehrgebäude.
-- Aen. Sylvius: Artis rhetoricae praecepta, in den Opera
p.
992 bezieht sich absichtlich nur auf Satzbau und Wortfügung;
übrigens bezeichnend für die vollkommene Routine hierin. Er nennt
mehrere andere Theoretiker.
2) Dessen Vita bei Murat. XX. ist ganz voll von den Wirkungen
seiner Eloquenz. -- Vgl. Vespas. Fior. 592, s.

3. Abſchnitt.das Entſtehen eigener neuer Lehrbücher 1), die Benützung
der Fortſchritte der Philologie im Allgemeinen und die
Maſſe von antiken Ideen und Sachen, womit man die
eigenen Gedanken bereichern durfte und mußte, — dieß
zuſammen vollendete den Character der neuen Redekunſt.

Form und
Sachinhalt.
Je nach den Individuen iſt derſelbe gleichwohl ſehr
verſchieden. Manche Reden athmen eine wahre Beredſam-
keit, namentlich diejenigen, welche bei der Sache bleiben;
von dieſer Art iſt durchſchnittlich was wir von Pius II.
übrig haben. Sodann laſſen die Wunderwirkungen, welche
Giannozzo Mannetti 2) erreichte, auf einen Redner ſchließen,
wie es in allen Zeiten wenige gegeben hat. Seine großen
Audienzen als Geſandter vor Nicolaus V., vor Dogen und
Rath von Venedig waren Ereigniſſe, deren Andenken lange
dauerte. Viele Redner dagegen benützten den Anlaß, um
neben einigen Schmeicheleien für vornehme Zuhörer eine
wüſte Maſſe von Worten und Sachen aus dem Alterthum
vorzubringen. Wie es möglich war, dabei bis zwei, ja
drei Stunden auszuhalten, begreift man nur wenn man
das ſtarke damalige Sachintereſſe am Alterthum und die
Mangelhaftigkeit und relative Seltenheit der Bearbeitungen
— vor der Zeit des allgemeinen Druckens — in Betracht
zieht. Solche Reden hatten noch immer den Werth, welchen
wir (S. 200) manchen Briefen Petrarca's vindicirt haben.
Die Citirſucht.Einige machten es aber doch zu ſtark. Filelfo's meiſte
Orationen ſind ein abſcheuliches Durcheinander von claſſi-
ſchen und bibliſchen Citaten, aufgereiht an einer Schnur
von Gemeinplätzen; dazwiſchen werden die Perſönlichkeiten

1) Georg. Trapezunt. Rhetorica, das erſte vollſtändige Lehrgebäude.
Aen. Sylvius: Artis rhetoricæ præcepta, in den Opera
p.
992 bezieht ſich abſichtlich nur auf Satzbau und Wortfügung;
übrigens bezeichnend für die vollkommene Routine hierin. Er nennt
mehrere andere Theoretiker.
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[234/0244] das Entſtehen eigener neuer Lehrbücher 1), die Benützung der Fortſchritte der Philologie im Allgemeinen und die Maſſe von antiken Ideen und Sachen, womit man die eigenen Gedanken bereichern durfte und mußte, — dieß zuſammen vollendete den Character der neuen Redekunſt. 3. Abſchnitt. Je nach den Individuen iſt derſelbe gleichwohl ſehr verſchieden. Manche Reden athmen eine wahre Beredſam- keit, namentlich diejenigen, welche bei der Sache bleiben; von dieſer Art iſt durchſchnittlich was wir von Pius II. übrig haben. Sodann laſſen die Wunderwirkungen, welche Giannozzo Mannetti 2) erreichte, auf einen Redner ſchließen, wie es in allen Zeiten wenige gegeben hat. Seine großen Audienzen als Geſandter vor Nicolaus V., vor Dogen und Rath von Venedig waren Ereigniſſe, deren Andenken lange dauerte. Viele Redner dagegen benützten den Anlaß, um neben einigen Schmeicheleien für vornehme Zuhörer eine wüſte Maſſe von Worten und Sachen aus dem Alterthum vorzubringen. Wie es möglich war, dabei bis zwei, ja drei Stunden auszuhalten, begreift man nur wenn man das ſtarke damalige Sachintereſſe am Alterthum und die Mangelhaftigkeit und relative Seltenheit der Bearbeitungen — vor der Zeit des allgemeinen Druckens — in Betracht zieht. Solche Reden hatten noch immer den Werth, welchen wir (S. 200) manchen Briefen Petrarca's vindicirt haben. Einige machten es aber doch zu ſtark. Filelfo's meiſte Orationen ſind ein abſcheuliches Durcheinander von claſſi- ſchen und bibliſchen Citaten, aufgereiht an einer Schnur von Gemeinplätzen; dazwiſchen werden die Perſönlichkeiten Form und Sachinhalt. Die Citirſucht. 1) Georg. Trapezunt. Rhetorica, das erſte vollſtändige Lehrgebäude. — Aen. Sylvius: Artis rhetoricæ præcepta, in den Opera p. 992 bezieht ſich abſichtlich nur auf Satzbau und Wortfügung; übrigens bezeichnend für die vollkommene Routine hierin. Er nennt mehrere andere Theoretiker. 2) Deſſen Vita bei Murat. XX. iſt ganz voll von den Wirkungen ſeiner Eloquenz. — Vgl. Vespas. Fior. 592, s.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/244>, abgerufen am 20.04.2024.