3. Abschnitt.epochen desselben Volkes erweist sich als ein, weil höchst selbständiges, deßhalb auch berechtigtes und fruchtbares. Das übrige Abendland mochte zusehen wie es den großen, aus Italien kommenden Antrieb abwehrte oder sich halb oder ganz aneignete; wo letzteres geschah, sollte man sich die Klagen über den frühzeitigen Untergang unserer mittel- alterlichen Culturformen und Vorstellungen ersparen. Hät- ten sie sich wehren können, so würden sie noch leben. Wenn jene elegischen Gemüther, die sich danach zurück- sehnen, nur eine Stunde darin zubringen müßten, sie würden heftig nach moderner Luft begehren. Daß bei großen Pro- cessen jener Art manche edle Einzelblüthe mit zu Grunde geht ohne in Tradition und Poesie unvergänglich gesichert zu sein, ist gewiß; allein das große Gesammt-Ereigniß darf man deßhalb nicht ungeschehen wünschen. Dieses Ge- sammt-Ereigniß besteht darin, daß neben der Kirche, welche bisher (und nicht mehr für lange) das Abendland zusam- menhielt, ein neues geistiges Medium entsteht, welches, von Italien her sich ausbreitend, zur Lebens-Atmosphäre für alle höher gebildeten Europäer wird. Der schärfste Tadel, den man darüber aussprechen kann, ist der der Unvolks- thümlichkeit, der erst jetzt nothwendig eintretenden Scheidung von Gebildeten und Ungebildeten in ganz Europa. Dieser Tadel ist aber ganz werthlos, sobald man eingestehen muß, daß die Sache noch heute, obwohl klar erkannt, doch nicht beseitigt werden kann. Und diese Scheidung ist überdieß in Italien lange nicht so herb und unerbittlich als anders- wo. Ist doch ihr größter Kunstdichter Tasso auch in den Händen der Aermsten.
Das Alterthum im Mittelalter.Das römisch-griechische Alterthum, welches seit dem XIV. Jahrhundert so mächtig in das italienische Leben eingriff, als Anhalt und Quelle der Cultur, als Ziel und Ideal des Daseins, theilweise auch als bewußter neuer Gegensatz, dieses Alterthum hatte schon längst stellenweise
3. Abſchnitt.epochen deſſelben Volkes erweist ſich als ein, weil höchſt ſelbſtändiges, deßhalb auch berechtigtes und fruchtbares. Das übrige Abendland mochte zuſehen wie es den großen, aus Italien kommenden Antrieb abwehrte oder ſich halb oder ganz aneignete; wo letzteres geſchah, ſollte man ſich die Klagen über den frühzeitigen Untergang unſerer mittel- alterlichen Culturformen und Vorſtellungen erſparen. Hät- ten ſie ſich wehren können, ſo würden ſie noch leben. Wenn jene elegiſchen Gemüther, die ſich danach zurück- ſehnen, nur eine Stunde darin zubringen müßten, ſie würden heftig nach moderner Luft begehren. Daß bei großen Pro- ceſſen jener Art manche edle Einzelblüthe mit zu Grunde geht ohne in Tradition und Poeſie unvergänglich geſichert zu ſein, iſt gewiß; allein das große Geſammt-Ereigniß darf man deßhalb nicht ungeſchehen wünſchen. Dieſes Ge- ſammt-Ereigniß beſteht darin, daß neben der Kirche, welche bisher (und nicht mehr für lange) das Abendland zuſam- menhielt, ein neues geiſtiges Medium entſteht, welches, von Italien her ſich ausbreitend, zur Lebens-Atmosphäre für alle höher gebildeten Europäer wird. Der ſchärfſte Tadel, den man darüber ausſprechen kann, iſt der der Unvolks- thümlichkeit, der erſt jetzt nothwendig eintretenden Scheidung von Gebildeten und Ungebildeten in ganz Europa. Dieſer Tadel iſt aber ganz werthlos, ſobald man eingeſtehen muß, daß die Sache noch heute, obwohl klar erkannt, doch nicht beſeitigt werden kann. Und dieſe Scheidung iſt überdieß in Italien lange nicht ſo herb und unerbittlich als anders- wo. Iſt doch ihr größter Kunſtdichter Taſſo auch in den Händen der Aermſten.
Das Alterthum im Mittelalter.Das römiſch-griechiſche Alterthum, welches ſeit dem XIV. Jahrhundert ſo mächtig in das italieniſche Leben eingriff, als Anhalt und Quelle der Cultur, als Ziel und Ideal des Daſeins, theilweiſe auch als bewußter neuer Gegenſatz, dieſes Alterthum hatte ſchon längſt ſtellenweiſe
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[172/0182]
epochen deſſelben Volkes erweist ſich als ein, weil höchſt
ſelbſtändiges, deßhalb auch berechtigtes und fruchtbares.
Das übrige Abendland mochte zuſehen wie es den großen,
aus Italien kommenden Antrieb abwehrte oder ſich halb
oder ganz aneignete; wo letzteres geſchah, ſollte man ſich
die Klagen über den frühzeitigen Untergang unſerer mittel-
alterlichen Culturformen und Vorſtellungen erſparen. Hät-
ten ſie ſich wehren können, ſo würden ſie noch leben.
Wenn jene elegiſchen Gemüther, die ſich danach zurück-
ſehnen, nur eine Stunde darin zubringen müßten, ſie würden
heftig nach moderner Luft begehren. Daß bei großen Pro-
ceſſen jener Art manche edle Einzelblüthe mit zu Grunde
geht ohne in Tradition und Poeſie unvergänglich geſichert
zu ſein, iſt gewiß; allein das große Geſammt-Ereigniß
darf man deßhalb nicht ungeſchehen wünſchen. Dieſes Ge-
ſammt-Ereigniß beſteht darin, daß neben der Kirche, welche
bisher (und nicht mehr für lange) das Abendland zuſam-
menhielt, ein neues geiſtiges Medium entſteht, welches, von
Italien her ſich ausbreitend, zur Lebens-Atmosphäre für
alle höher gebildeten Europäer wird. Der ſchärfſte Tadel,
den man darüber ausſprechen kann, iſt der der Unvolks-
thümlichkeit, der erſt jetzt nothwendig eintretenden Scheidung
von Gebildeten und Ungebildeten in ganz Europa. Dieſer
Tadel iſt aber ganz werthlos, ſobald man eingeſtehen muß,
daß die Sache noch heute, obwohl klar erkannt, doch nicht
beſeitigt werden kann. Und dieſe Scheidung iſt überdieß
in Italien lange nicht ſo herb und unerbittlich als anders-
wo. Iſt doch ihr größter Kunſtdichter Taſſo auch in den
Händen der Aermſten.
3. Abſchnitt.
Das römiſch-griechiſche Alterthum, welches ſeit dem
XIV. Jahrhundert ſo mächtig in das italieniſche Leben
eingriff, als Anhalt und Quelle der Cultur, als Ziel und
Ideal des Daſeins, theilweiſe auch als bewußter neuer
Gegenſatz, dieſes Alterthum hatte ſchon längſt ſtellenweiſe
Das Alterthum
im Mittelalter.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/182>, abgerufen am 28.11.2024.
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