Dritter Abschnitt. Die Wiedererweckung des Alterthums.
Auf diesem Punkte unserer culturgeschichtlichen Ueber-3. Abschnitt. sicht angelangt, müssen wir des Alterthums gedenken, dessen "Wiedergeburt" in einseitiger Weise zum Gesammtnamen des Zeitraums überhaupt geworden ist. Die bisher ge-Concurrenz mit andern Kräften. schilderten Zustände würden die Nation erschüttert und gereift haben auch ohne das Alterthum, und auch von den nachher aufzuzählenden neuen geistigen Richtungen wäre wohl das Meiste ohne dasselbe denkbar; allein wie das Bisherige so ist auch das Folgende doch von der Einwirkung der antiken Welt mannigfach gefärbt, und wo das Wesen der Dinge ohne dieselbe verständlich und vorhanden sein würde, da ist es doch die Aeußerungsweise im Leben nur mit ihr und durch sie. Die "Renaissance" wäre nicht die hohe weltgeschichtliche Nothwendigkeit gewesen die sie war, wenn man so leicht von ihr abstrahiren könnte. Darauf aber müssen wir beharren, als auf einem Hauptsatz dieses Buches, daß nicht sie allein, sondern ihr enges Bündniß mit dem neben ihr vorhandenen italienischen Volksgeist die abendländische Welt bezwungen hat. Die Freiheit, welche sich dieser Volksgeist dabei bewahrte, ist eine ungleiche und scheint, sobald man z. B. nur auf die neulateinische Litera-Grade der Ein- wirkung. tur sieht, oft sehr gering; in der bildenden Kunst aber und in mehrern andern Sphären ist sie auffallend groß und das Bündniß zwischen zwei weit auseinander liegenden Cultur-
Dritter Abſchnitt. Die Wiedererweckung des Alterthums.
Auf dieſem Punkte unſerer culturgeſchichtlichen Ueber-3. Abſchnitt. ſicht angelangt, müſſen wir des Alterthums gedenken, deſſen „Wiedergeburt“ in einſeitiger Weiſe zum Geſammtnamen des Zeitraums überhaupt geworden iſt. Die bisher ge-Concurrenz mit andern Kräften. ſchilderten Zuſtände würden die Nation erſchüttert und gereift haben auch ohne das Alterthum, und auch von den nachher aufzuzählenden neuen geiſtigen Richtungen wäre wohl das Meiſte ohne daſſelbe denkbar; allein wie das Bisherige ſo iſt auch das Folgende doch von der Einwirkung der antiken Welt mannigfach gefärbt, und wo das Weſen der Dinge ohne dieſelbe verſtändlich und vorhanden ſein würde, da iſt es doch die Aeußerungsweiſe im Leben nur mit ihr und durch ſie. Die „Renaiſſance“ wäre nicht die hohe weltgeſchichtliche Nothwendigkeit geweſen die ſie war, wenn man ſo leicht von ihr abſtrahiren könnte. Darauf aber müſſen wir beharren, als auf einem Hauptſatz dieſes Buches, daß nicht ſie allein, ſondern ihr enges Bündniß mit dem neben ihr vorhandenen italieniſchen Volksgeiſt die abendländiſche Welt bezwungen hat. Die Freiheit, welche ſich dieſer Volksgeiſt dabei bewahrte, iſt eine ungleiche und ſcheint, ſobald man z. B. nur auf die neulateiniſche Litera-Grade der Ein- wirkung. tur ſieht, oft ſehr gering; in der bildenden Kunſt aber und in mehrern andern Sphären iſt ſie auffallend groß und das Bündniß zwiſchen zwei weit auseinander liegenden Cultur-
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Dritter Abſchnitt.
Die Wiedererweckung des Alterthums.
Auf dieſem Punkte unſerer culturgeſchichtlichen Ueber-
ſicht angelangt, müſſen wir des Alterthums gedenken, deſſen
„Wiedergeburt“ in einſeitiger Weiſe zum Geſammtnamen
des Zeitraums überhaupt geworden iſt. Die bisher ge-
ſchilderten Zuſtände würden die Nation erſchüttert und
gereift haben auch ohne das Alterthum, und auch von den
nachher aufzuzählenden neuen geiſtigen Richtungen wäre
wohl das Meiſte ohne daſſelbe denkbar; allein wie das
Bisherige ſo iſt auch das Folgende doch von der Einwirkung
der antiken Welt mannigfach gefärbt, und wo das Weſen
der Dinge ohne dieſelbe verſtändlich und vorhanden ſein
würde, da iſt es doch die Aeußerungsweiſe im Leben nur
mit ihr und durch ſie. Die „Renaiſſance“ wäre nicht die
hohe weltgeſchichtliche Nothwendigkeit geweſen die ſie war,
wenn man ſo leicht von ihr abſtrahiren könnte. Darauf
aber müſſen wir beharren, als auf einem Hauptſatz dieſes
Buches, daß nicht ſie allein, ſondern ihr enges Bündniß
mit dem neben ihr vorhandenen italieniſchen Volksgeiſt die
abendländiſche Welt bezwungen hat. Die Freiheit, welche
ſich dieſer Volksgeiſt dabei bewahrte, iſt eine ungleiche und
ſcheint, ſobald man z. B. nur auf die neulateiniſche Litera-
tur ſieht, oft ſehr gering; in der bildenden Kunſt aber und
in mehrern andern Sphären iſt ſie auffallend groß und das
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3. Abſchnitt.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. [171]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/181>, abgerufen am 28.11.2024.
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