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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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2. Abschnitt.Brief wie der an Michelangelo vom November 1545 1)
existirt vielleicht nicht ein zweites Mal; zwischen alle Be-
wunderung (wegen des Weltgerichtes) hinein droht er ihm
wegen Irreligiosität, Indecenz und Diebstahl (an den Er-
ben Julius II.) und fügt in einem begütigenden Postscript
bei: "ich habe Euch nur zeigen wollen, daß wenn Ihr
"divino (di-vino) seid, ich auch nicht d'aqua bin". Are-
tino hielt nämlich darauf -- man weiß kaum ob aus wahn-
sinnigem Dünkel oder aus Lust an der Parodie alles
Berühmten -- daß man ihn ebenfalls göttlich nenne, und
so weit brachte er es in der persönlichen Berühmtheit aller-
dings, daß in Arezzo sein Geburtshaus als Sehensmürdigkeit
der Stadt galt 2). Andererseits freilich gab es ganze Mo-
nate, da er sich in Venedig nicht über die Schwelle wagte
um nicht irgend einem erzürnten Florentiner wie z. B. dem
jüngern Strozzi in die Hände zu laufen; es fehlte nicht
an Dolchstichen und entsetzlichen Prügeln 3), wenn sie auch
nicht den Erfolg hatten, welchen ihm Berni in einem fa-
mosen Sonett weissagte; er ist in seinem Hause am Schlag-
fluß gestorben.

In der Schmeichelei macht er beachtenswerthe Unter-
schiede; für Nichtitaliener trägt er sie plump und dick auf 4),
Verhältniß zu
Herzog Cosimo.
für Leute wie den Herzog Cosimo von Florenz weiß er sich
anders zu geben. Er lobt die Schönheit des damals noch
jungen Fürsten, der in der That auch diese Eigenschaft mit

1) Gaye, carteggio II, p. 332.
2) S. den frechen Brief von 1536 in den Lettere pittor., I,
Append., 34.
3) L'Aretin, per Dio grazia, e vivo e sano,
Ma'l mostaccio ha fregiato nobilmente,
E piu colpi ha, che dita in una mano.
Mauro, capitolo in lode delle bugie.
4) Man sehe z. B. den Brief an den Cardinal von Lothringen, Let-
tere, ed. Venez. 1539,
vom 21. Nov. 1534, so wie die Briefe
an Carl V.

2. Abſchnitt.Brief wie der an Michelangelo vom November 1545 1)
exiſtirt vielleicht nicht ein zweites Mal; zwiſchen alle Be-
wunderung (wegen des Weltgerichtes) hinein droht er ihm
wegen Irreligioſität, Indecenz und Diebſtahl (an den Er-
ben Julius II.) und fügt in einem begütigenden Poſtſcript
bei: „ich habe Euch nur zeigen wollen, daß wenn Ihr
divino (di-vino) ſeid, ich auch nicht d'aqua bin“. Are-
tino hielt nämlich darauf — man weiß kaum ob aus wahn-
ſinnigem Dünkel oder aus Luſt an der Parodie alles
Berühmten — daß man ihn ebenfalls göttlich nenne, und
ſo weit brachte er es in der perſönlichen Berühmtheit aller-
dings, daß in Arezzo ſein Geburtshaus als Sehensmürdigkeit
der Stadt galt 2). Andererſeits freilich gab es ganze Mo-
nate, da er ſich in Venedig nicht über die Schwelle wagte
um nicht irgend einem erzürnten Florentiner wie z. B. dem
jüngern Strozzi in die Hände zu laufen; es fehlte nicht
an Dolchſtichen und entſetzlichen Prügeln 3), wenn ſie auch
nicht den Erfolg hatten, welchen ihm Berni in einem fa-
moſen Sonett weiſſagte; er iſt in ſeinem Hauſe am Schlag-
fluß geſtorben.

In der Schmeichelei macht er beachtenswerthe Unter-
ſchiede; für Nichtitaliener trägt er ſie plump und dick auf 4),
Verhältniß zu
Herzog Coſimo.
für Leute wie den Herzog Coſimo von Florenz weiß er ſich
anders zu geben. Er lobt die Schönheit des damals noch
jungen Fürſten, der in der That auch dieſe Eigenſchaft mit

1) Gaye, carteggio II, p. 332.
2) S. den frechen Brief von 1536 in den Lettere pittor., I,
Append., 34.
3) L'Aretin, per Dio grazia, è vivo e sano,
Ma'l mostaccio ha fregiato nobilmente,
E più colpi ha, che dita in una mano.
Mauro, capitolo in lode delle bugie.
4) Man ſehe z. B. den Brief an den Cardinal von Lothringen, Let-
tere, ed. Venez. 1539,
vom 21. Nov. 1534, ſo wie die Briefe
an Carl V.
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[168/0178] Brief wie der an Michelangelo vom November 1545 1) exiſtirt vielleicht nicht ein zweites Mal; zwiſchen alle Be- wunderung (wegen des Weltgerichtes) hinein droht er ihm wegen Irreligioſität, Indecenz und Diebſtahl (an den Er- ben Julius II.) und fügt in einem begütigenden Poſtſcript bei: „ich habe Euch nur zeigen wollen, daß wenn Ihr „divino (di-vino) ſeid, ich auch nicht d'aqua bin“. Are- tino hielt nämlich darauf — man weiß kaum ob aus wahn- ſinnigem Dünkel oder aus Luſt an der Parodie alles Berühmten — daß man ihn ebenfalls göttlich nenne, und ſo weit brachte er es in der perſönlichen Berühmtheit aller- dings, daß in Arezzo ſein Geburtshaus als Sehensmürdigkeit der Stadt galt 2). Andererſeits freilich gab es ganze Mo- nate, da er ſich in Venedig nicht über die Schwelle wagte um nicht irgend einem erzürnten Florentiner wie z. B. dem jüngern Strozzi in die Hände zu laufen; es fehlte nicht an Dolchſtichen und entſetzlichen Prügeln 3), wenn ſie auch nicht den Erfolg hatten, welchen ihm Berni in einem fa- moſen Sonett weiſſagte; er iſt in ſeinem Hauſe am Schlag- fluß geſtorben. 2. Abſchnitt. In der Schmeichelei macht er beachtenswerthe Unter- ſchiede; für Nichtitaliener trägt er ſie plump und dick auf 4), für Leute wie den Herzog Coſimo von Florenz weiß er ſich anders zu geben. Er lobt die Schönheit des damals noch jungen Fürſten, der in der That auch dieſe Eigenſchaft mit Verhältniß zu Herzog Coſimo. 1) Gaye, carteggio II, p. 332. 2) S. den frechen Brief von 1536 in den Lettere pittor., I, Append., 34. 3) L'Aretin, per Dio grazia, è vivo e sano, Ma'l mostaccio ha fregiato nobilmente, E più colpi ha, che dita in una mano. Mauro, capitolo in lode delle bugie. 4) Man ſehe z. B. den Brief an den Cardinal von Lothringen, Let- tere, ed. Venez. 1539, vom 21. Nov. 1534, ſo wie die Briefe an Carl V.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/178>, abgerufen am 19.04.2024.