menti. Sein literarisches Talent, seine lichte und pikante2. Abschnitt. Prosa, seine reiche Beobachtung der Menschen und Dinge würden ihn unter allen Umständen beachtenswerth machen, wenn auch die Conception eines eigentlichen Kunstwerkes, z. B. die echte dramatische Anlage einer Comödie ihm völlig versagt blieb; dazu kommt dann noch außer der gröbsten und feinsten Bosheit eine glänzende Gabe des grottesken Witzes, womit er im einzelnen Fall dem Rabelais nicht nachsteht 1).
Unter solchen Umständen, mit solchen Absichten undVerhältniß zu den italien. Fürsten Mitteln geht er auf seine Beute los oder einstweilen um sie herum. Die Art, wie er Clemens VII. auffordert, nicht zu klagen sondern zu verzeihen 2), während das Jam- mergeschrei des verwüsteten Roms zur Engelsburg, dem Kerker des Papstes empordringt, ist lauterer Hohn eines Teufels oder Affen. Bisweilen, wenn er die Hoffnung auf Geschenke völlig aufgeben muß, bricht seine Wuth in ein wildes Geheul aus, wie z. B. in den Capitolo an den Fürsten von Salerno. Dieser hatte ihn eine Zeitlang be- zahlt und wollte nicht weiter zahlen; dagegen scheint es, daß der schreckliche Pierluigi Farnese, Herzog von Parma, niemals Notiz von ihm nahm. Da dieser Herr auf gute Nach- rede wohl überhaupt verzichtet hatte, so war es nicht mehr leicht, ihm wehe zu thun; Aretino versucht es, indem er 3) sein äußeres Ansehen als das eines Sbirren, Müllers und Beckers bezeichnet. Possirlich ist Aretino am ehesten im Ausdruck der reinen, wehmüthigen Bettelei, wie z. B. im Capitolo an Franz I., dagegen wird man die aus Dro- hung und Schmeichelei gemischten Briefe und Gedichte trotz aller Komik nie ohne tiefen Widerwillen lesen können. Einu. Celebritäten.
1) Z. B. im Capitolo an den Albicante, einen schlechten Dichter; lei- der entziehen sich die Stellen der Citation.
2)Lettere, ed. Venez. 1539. Fol. 12, vom 31. Mai 1527.
3) Im ersten Capitolo an Cosimo.
menti. Sein literariſches Talent, ſeine lichte und pikante2. Abſchnitt. Proſa, ſeine reiche Beobachtung der Menſchen und Dinge würden ihn unter allen Umſtänden beachtenswerth machen, wenn auch die Conception eines eigentlichen Kunſtwerkes, z. B. die echte dramatiſche Anlage einer Comödie ihm völlig verſagt blieb; dazu kommt dann noch außer der gröbſten und feinſten Bosheit eine glänzende Gabe des grottesken Witzes, womit er im einzelnen Fall dem Rabelais nicht nachſteht 1).
Unter ſolchen Umſtänden, mit ſolchen Abſichten undVerhältniß zu den italien. Fürſten Mitteln geht er auf ſeine Beute los oder einſtweilen um ſie herum. Die Art, wie er Clemens VII. auffordert, nicht zu klagen ſondern zu verzeihen 2), während das Jam- mergeſchrei des verwüſteten Roms zur Engelsburg, dem Kerker des Papſtes empordringt, iſt lauterer Hohn eines Teufels oder Affen. Bisweilen, wenn er die Hoffnung auf Geſchenke völlig aufgeben muß, bricht ſeine Wuth in ein wildes Geheul aus, wie z. B. in den Capitolo an den Fürſten von Salerno. Dieſer hatte ihn eine Zeitlang be- zahlt und wollte nicht weiter zahlen; dagegen ſcheint es, daß der ſchreckliche Pierluigi Farneſe, Herzog von Parma, niemals Notiz von ihm nahm. Da dieſer Herr auf gute Nach- rede wohl überhaupt verzichtet hatte, ſo war es nicht mehr leicht, ihm wehe zu thun; Aretino verſucht es, indem er 3) ſein äußeres Anſehen als das eines Sbirren, Müllers und Beckers bezeichnet. Poſſirlich iſt Aretino am eheſten im Ausdruck der reinen, wehmüthigen Bettelei, wie z. B. im Capitolo an Franz I., dagegen wird man die aus Dro- hung und Schmeichelei gemiſchten Briefe und Gedichte trotz aller Komik nie ohne tiefen Widerwillen leſen können. Einu. Celebritäten.
1) Z. B. im Capitolo an den Albicante, einen ſchlechten Dichter; lei- der entziehen ſich die Stellen der Citation.
2)Lettere, ed. Venez. 1539. Fol. 12, vom 31. Mai 1527.
3) Im erſten Capitolo an Coſimo.
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z. B. die echte dramatiſche Anlage einer Comödie ihm völlig
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und feinſten Bosheit eine glänzende Gabe des grottesken
Witzes, womit er im einzelnen Fall dem Rabelais nicht
nachſteht 1).
2. Abſchnitt.
Unter ſolchen Umſtänden, mit ſolchen Abſichten und
Mitteln geht er auf ſeine Beute los oder einſtweilen um
ſie herum. Die Art, wie er Clemens VII. auffordert,
nicht zu klagen ſondern zu verzeihen 2), während das Jam-
mergeſchrei des verwüſteten Roms zur Engelsburg, dem
Kerker des Papſtes empordringt, iſt lauterer Hohn eines
Teufels oder Affen. Bisweilen, wenn er die Hoffnung auf
Geſchenke völlig aufgeben muß, bricht ſeine Wuth in ein
wildes Geheul aus, wie z. B. in den Capitolo an den
Fürſten von Salerno. Dieſer hatte ihn eine Zeitlang be-
zahlt und wollte nicht weiter zahlen; dagegen ſcheint es,
daß der ſchreckliche Pierluigi Farneſe, Herzog von Parma,
niemals Notiz von ihm nahm. Da dieſer Herr auf gute Nach-
rede wohl überhaupt verzichtet hatte, ſo war es nicht mehr
leicht, ihm wehe zu thun; Aretino verſucht es, indem er 3)
ſein äußeres Anſehen als das eines Sbirren, Müllers und
Beckers bezeichnet. Poſſirlich iſt Aretino am eheſten im
Ausdruck der reinen, wehmüthigen Bettelei, wie z. B. im
Capitolo an Franz I., dagegen wird man die aus Dro-
hung und Schmeichelei gemiſchten Briefe und Gedichte trotz
aller Komik nie ohne tiefen Widerwillen leſen können. Ein
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den italien.
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u. Celebritäten.
1) Z. B. im Capitolo an den Albicante, einen ſchlechten Dichter; lei-
der entziehen ſich die Stellen der Citation.
2) Lettere, ed. Venez. 1539. Fol. 12, vom 31. Mai 1527.
3) Im erſten Capitolo an Coſimo.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/177>, abgerufen am 24.11.2024.
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