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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

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Venedig gegenüber in mehr als schiefer Stellung, selbst1. Abschnitt.
wenn man den Handelsneid und das Fortschreiten Venedigs
in der Romagna nicht in Betracht zog. Endlich brachte
es die Liga von Cambray (S. 69) wirklich dahin, den-
jenigen Staat zu schwächen, den ganz Italien mit vereinten
Kräften hätte stützen sollen.

Allein auch alle übrigen versehen sich des Allerschlimm-Die Fremden.
sten zu einander, wie das eigene böse Gewissen es jedem
eingiebt, und sind fortwährend zum Aeußersten bereit.
Lodovico Moro, die Aragonesen von Neapel, Sixtus IV.
hielten in ganz Italien die allergefährlichste Unruhe wach,
der Kleinern zu geschweigen. Hätte sich dieses entsetzliche
Spiel nur auf Italien beschränkt! allein die Natur der
Dinge brachte es mit sich, daß man sich nach fremder In-
tervention und Hülfe umsah, hauptsächlich nach Franzosen
und Türken.

Zunächst sind die Bevölkerungen selber durchweg für
Frankreich eingenommen. Mit einer grauenerregenden Naive-Französische
Sympathien.

tät gesteht Florenz von jeher seine alte guelfische Sympathie
für die Franzosen ein 1). Und als Carl VIII. wirklich im
Süden der Alpen erschien, fiel ihm ganz Italien mit einem
Jubel zu, welcher ihm und seinen Leuten selber ganz wun-
derlich vorkam 2). In der Phantasie der Italiener (man
denke an Savonarola) lebte das Idealbild eines großen,
weisen und gerechten Retters und Herrschers, nur war es
nicht mehr wie bei Dante der Kaiser, sondern der capetin-

1) Vielleicht das Stärkste dieser Art in einer Instruction an die zu
Carl VII. gehenden Gesandten im J. 1452, bei Fabroni, Cos-
mus, Adnot.
107.
2) Comines, Charles VIII, chap. 10: man hielt die Franzosen
comme saints. -- Vgl. Chap. 17. -- Chron. Venetum bei Murat.
XXIV, Col. 5, 10, 14, 15. -- Matarazzo, Cron. di Perugia,
arch. stor. XVI, II, p.
23. Zahlloser anderen Aussagen nicht zu
gedenken.

Venedig gegenüber in mehr als ſchiefer Stellung, ſelbſt1. Abſchnitt.
wenn man den Handelsneid und das Fortſchreiten Venedigs
in der Romagna nicht in Betracht zog. Endlich brachte
es die Liga von Cambray (S. 69) wirklich dahin, den-
jenigen Staat zu ſchwächen, den ganz Italien mit vereinten
Kräften hätte ſtützen ſollen.

Allein auch alle übrigen verſehen ſich des Allerſchlimm-Die Fremden.
ſten zu einander, wie das eigene böſe Gewiſſen es jedem
eingiebt, und ſind fortwährend zum Aeußerſten bereit.
Lodovico Moro, die Aragoneſen von Neapel, Sixtus IV.
hielten in ganz Italien die allergefährlichſte Unruhe wach,
der Kleinern zu geſchweigen. Hätte ſich dieſes entſetzliche
Spiel nur auf Italien beſchränkt! allein die Natur der
Dinge brachte es mit ſich, daß man ſich nach fremder In-
tervention und Hülfe umſah, hauptſächlich nach Franzoſen
und Türken.

Zunächſt ſind die Bevölkerungen ſelber durchweg für
Frankreich eingenommen. Mit einer grauenerregenden Naive-Franzöſiſche
Sympathien.

tät geſteht Florenz von jeher ſeine alte guelfiſche Sympathie
für die Franzoſen ein 1). Und als Carl VIII. wirklich im
Süden der Alpen erſchien, fiel ihm ganz Italien mit einem
Jubel zu, welcher ihm und ſeinen Leuten ſelber ganz wun-
derlich vorkam 2). In der Phantaſie der Italiener (man
denke an Savonarola) lebte das Idealbild eines großen,
weiſen und gerechten Retters und Herrſchers, nur war es
nicht mehr wie bei Dante der Kaiſer, ſondern der capetin-

1) Vielleicht das Stärkſte dieſer Art in einer Inſtruction an die zu
Carl VII. gehenden Geſandten im J. 1452, bei Fabroni, Cos-
mus, Adnot.
107.
2) Comines, Charles VIII, chap. 10: man hielt die Franzoſen
comme saints. — Vgl. Chap. 17. — Chron. Venetum bei Murat.
XXIV, Col. 5, 10, 14, 15. — Matarazzo, Cron. di Perugia,
arch. stor. XVI, II, p.
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[91/0101] Venedig gegenüber in mehr als ſchiefer Stellung, ſelbſt wenn man den Handelsneid und das Fortſchreiten Venedigs in der Romagna nicht in Betracht zog. Endlich brachte es die Liga von Cambray (S. 69) wirklich dahin, den- jenigen Staat zu ſchwächen, den ganz Italien mit vereinten Kräften hätte ſtützen ſollen. 1. Abſchnitt. Allein auch alle übrigen verſehen ſich des Allerſchlimm- ſten zu einander, wie das eigene böſe Gewiſſen es jedem eingiebt, und ſind fortwährend zum Aeußerſten bereit. Lodovico Moro, die Aragoneſen von Neapel, Sixtus IV. hielten in ganz Italien die allergefährlichſte Unruhe wach, der Kleinern zu geſchweigen. Hätte ſich dieſes entſetzliche Spiel nur auf Italien beſchränkt! allein die Natur der Dinge brachte es mit ſich, daß man ſich nach fremder In- tervention und Hülfe umſah, hauptſächlich nach Franzoſen und Türken. Die Fremden. Zunächſt ſind die Bevölkerungen ſelber durchweg für Frankreich eingenommen. Mit einer grauenerregenden Naive- tät geſteht Florenz von jeher ſeine alte guelfiſche Sympathie für die Franzoſen ein 1). Und als Carl VIII. wirklich im Süden der Alpen erſchien, fiel ihm ganz Italien mit einem Jubel zu, welcher ihm und ſeinen Leuten ſelber ganz wun- derlich vorkam 2). In der Phantaſie der Italiener (man denke an Savonarola) lebte das Idealbild eines großen, weiſen und gerechten Retters und Herrſchers, nur war es nicht mehr wie bei Dante der Kaiſer, ſondern der capetin- Franzöſiſche Sympathien. 1) Vielleicht das Stärkſte dieſer Art in einer Inſtruction an die zu Carl VII. gehenden Geſandten im J. 1452, bei Fabroni, Cos- mus, Adnot. 107. 2) Comines, Charles VIII, chap. 10: man hielt die Franzoſen comme saints. — Vgl. Chap. 17. — Chron. Venetum bei Murat. XXIV, Col. 5, 10, 14, 15. — Matarazzo, Cron. di Perugia, arch. stor. XVI, II, p. 23. Zahlloſer anderen Ausſagen nicht zu gedenken.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/101>, abgerufen am 28.03.2024.