Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

1. Abschnitt.ohne Rückhalt an; dasselbe Glücksspiel, welches bei Grün-
dung und Befestigung der eigenen Herrschaft gewaltet hat,
mag auch gegen den Nachbar walten. Hängt es doch gar
nicht immer von dem Gewaltherrscher ab, ob er ruhig sitzen
wird oder nicht. Das Bedürfniß sich zu vergrößern, sich
überhaupt zu rühren ist allen Illegitimen eigen. So wird
Italien die Heimath einer "auswärtigen Politik", welche
dann allmälig auch in andern Ländern die Stelle eines
anerkannten Rechtszustandes vertreten hat. Die völlig ob-
jective, von Vorurtheilen wie von sittlichen Bedenken freie
Behandlung der internationalen Dinge erreicht bisweilen
eine Vollendung, in welcher sie elegant und großartig er-
scheint, während das Ganze den Eindruck eines bodenlosen
Abgrundes hervorbringt.

Bedrohung Ve-
nedigs.
Diese Ränke, Liguen, Rüstungen, Bestechungen und
Verräthereien machen zusammen die äußere Geschichte des
damaligen Italiens aus. Lange Zeit war besonders Ve-
nedig der Gegenstand allgemeiner Anklagen, als wollte es
ganz Italien erobern oder allgemach so herunterbringen,
daß ein Staat nach dem andern ihm ohnmächtig in die
Arme fallen müsse 1). Bei näherm Zusehen wird man je-
doch inne, daß dieser Weheruf sich nicht aus dem Volk
sondern aus der Umgebung der Fürsten und Regierungen
erhebt, welche fast sämmtlich bei ihren Unterthanen schwer
verhaßt sind, während Venedig durch sein leidlich mildes
Regiment ein allgemeines Zutrauen genießt 2). Auch Flo-
renz, mit seinen knirschenden Unterthanenstädten fand sich

1) So noch ganz spät Varchi, stor. fiorent. I, 57.
2) Galeazzo Maria Sforza sagt 1467 dem venezian. Agenten wohl das
Gegentheil, allein dieß ist nur ergötzliche Prahlerei. Vgl. Mali-
piero, Annali veneti, arch. stor. VII, I, p.
216 u. f. Bei
jedem Anlaß ergeben sich Städte und Landschaften freiwillig an Vene-
dig, freilich meist solche, die aus tyrannischen Händen kommen, wäh-
rend Florenz freiheitsgewohnte Nachbarrepubliken darnieder halten
muß, wie Guicciardini (Ricordi, N. 29) bemerkt.

1. Abſchnitt.ohne Rückhalt an; daſſelbe Glücksſpiel, welches bei Grün-
dung und Befeſtigung der eigenen Herrſchaft gewaltet hat,
mag auch gegen den Nachbar walten. Hängt es doch gar
nicht immer von dem Gewaltherrſcher ab, ob er ruhig ſitzen
wird oder nicht. Das Bedürfniß ſich zu vergrößern, ſich
überhaupt zu rühren iſt allen Illegitimen eigen. So wird
Italien die Heimath einer „auswärtigen Politik“, welche
dann allmälig auch in andern Ländern die Stelle eines
anerkannten Rechtszuſtandes vertreten hat. Die völlig ob-
jective, von Vorurtheilen wie von ſittlichen Bedenken freie
Behandlung der internationalen Dinge erreicht bisweilen
eine Vollendung, in welcher ſie elegant und großartig er-
ſcheint, während das Ganze den Eindruck eines bodenloſen
Abgrundes hervorbringt.

Bedrohung Ve-
nedigs.
Dieſe Ränke, Liguen, Rüſtungen, Beſtechungen und
Verräthereien machen zuſammen die äußere Geſchichte des
damaligen Italiens aus. Lange Zeit war beſonders Ve-
nedig der Gegenſtand allgemeiner Anklagen, als wollte es
ganz Italien erobern oder allgemach ſo herunterbringen,
daß ein Staat nach dem andern ihm ohnmächtig in die
Arme fallen müſſe 1). Bei näherm Zuſehen wird man je-
doch inne, daß dieſer Weheruf ſich nicht aus dem Volk
ſondern aus der Umgebung der Fürſten und Regierungen
erhebt, welche faſt ſämmtlich bei ihren Unterthanen ſchwer
verhaßt ſind, während Venedig durch ſein leidlich mildes
Regiment ein allgemeines Zutrauen genießt 2). Auch Flo-
renz, mit ſeinen knirſchenden Unterthanenſtädten fand ſich

1) So noch ganz ſpät Varchi, stor. fiorent. I, 57.
2) Galeazzo Maria Sforza ſagt 1467 dem venezian. Agenten wohl das
Gegentheil, allein dieß iſt nur ergötzliche Prahlerei. Vgl. Mali-
piero, Annali veneti, arch. stor. VII, I, p.
216 u. f. Bei
jedem Anlaß ergeben ſich Städte und Landſchaften freiwillig an Vene-
dig, freilich meiſt ſolche, die aus tyranniſchen Händen kommen, wäh-
rend Florenz freiheitsgewohnte Nachbarrepubliken darnieder halten
muß, wie Guicciardini (Ricordi, N. 29) bemerkt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0100" n="90"/><note place="left"><hi rendition="#b"><hi rendition="#u">1. Ab&#x017F;chnitt.</hi></hi></note>ohne Rückhalt an; da&#x017F;&#x017F;elbe Glücks&#x017F;piel, welches bei Grün-<lb/>
dung und Befe&#x017F;tigung der eigenen Herr&#x017F;chaft gewaltet hat,<lb/>
mag auch gegen den Nachbar walten. Hängt es doch gar<lb/>
nicht immer von dem Gewaltherr&#x017F;cher ab, ob er ruhig &#x017F;itzen<lb/>
wird oder nicht. Das Bedürfniß &#x017F;ich zu vergrößern, &#x017F;ich<lb/>
überhaupt zu rühren i&#x017F;t allen Illegitimen eigen. So wird<lb/>
Italien die Heimath einer &#x201E;auswärtigen Politik&#x201C;, welche<lb/>
dann allmälig auch in andern Ländern die Stelle eines<lb/>
anerkannten Rechtszu&#x017F;tandes vertreten hat. Die völlig ob-<lb/>
jective, von Vorurtheilen wie von &#x017F;ittlichen Bedenken freie<lb/>
Behandlung der internationalen Dinge erreicht bisweilen<lb/>
eine Vollendung, in welcher &#x017F;ie elegant und großartig er-<lb/>
&#x017F;cheint, während das Ganze den Eindruck eines bodenlo&#x017F;en<lb/>
Abgrundes hervorbringt.</p><lb/>
        <p><note place="left">Bedrohung Ve-<lb/>
nedigs.</note>Die&#x017F;e Ränke, Liguen, Rü&#x017F;tungen, Be&#x017F;techungen und<lb/>
Verräthereien machen zu&#x017F;ammen die äußere Ge&#x017F;chichte des<lb/>
damaligen Italiens aus. Lange Zeit war be&#x017F;onders Ve-<lb/>
nedig der Gegen&#x017F;tand allgemeiner Anklagen, als wollte es<lb/>
ganz Italien erobern oder allgemach &#x017F;o herunterbringen,<lb/>
daß ein Staat nach dem andern ihm ohnmächtig in die<lb/>
Arme fallen mü&#x017F;&#x017F;e <note place="foot" n="1)">So noch ganz &#x017F;pät <hi rendition="#aq">Varchi, stor. fiorent. I,</hi> 57.</note>. Bei näherm Zu&#x017F;ehen wird man je-<lb/>
doch inne, daß die&#x017F;er Weheruf &#x017F;ich nicht aus dem Volk<lb/>
&#x017F;ondern aus der Umgebung der Für&#x017F;ten und Regierungen<lb/>
erhebt, welche fa&#x017F;t &#x017F;ämmtlich bei ihren Unterthanen &#x017F;chwer<lb/>
verhaßt &#x017F;ind, während Venedig durch &#x017F;ein leidlich mildes<lb/>
Regiment ein allgemeines Zutrauen genießt <note place="foot" n="2)">Galeazzo Maria Sforza &#x017F;agt 1467 dem venezian. Agenten wohl das<lb/>
Gegentheil, allein dieß i&#x017F;t nur ergötzliche Prahlerei. Vgl. <hi rendition="#aq">Mali-<lb/>
piero, Annali veneti, arch. stor. VII, I, p.</hi> 216 u. f. Bei<lb/>
jedem Anlaß ergeben &#x017F;ich Städte und Land&#x017F;chaften freiwillig an Vene-<lb/>
dig, freilich mei&#x017F;t &#x017F;olche, die aus tyranni&#x017F;chen Händen kommen, wäh-<lb/>
rend Florenz freiheitsgewohnte Nachbarrepubliken darnieder halten<lb/>
muß, wie Guicciardini <hi rendition="#aq">(Ricordi, N. 29)</hi> bemerkt.</note>. Auch Flo-<lb/>
renz, mit &#x017F;einen knir&#x017F;chenden Unterthanen&#x017F;tädten fand &#x017F;ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0100] ohne Rückhalt an; daſſelbe Glücksſpiel, welches bei Grün- dung und Befeſtigung der eigenen Herrſchaft gewaltet hat, mag auch gegen den Nachbar walten. Hängt es doch gar nicht immer von dem Gewaltherrſcher ab, ob er ruhig ſitzen wird oder nicht. Das Bedürfniß ſich zu vergrößern, ſich überhaupt zu rühren iſt allen Illegitimen eigen. So wird Italien die Heimath einer „auswärtigen Politik“, welche dann allmälig auch in andern Ländern die Stelle eines anerkannten Rechtszuſtandes vertreten hat. Die völlig ob- jective, von Vorurtheilen wie von ſittlichen Bedenken freie Behandlung der internationalen Dinge erreicht bisweilen eine Vollendung, in welcher ſie elegant und großartig er- ſcheint, während das Ganze den Eindruck eines bodenloſen Abgrundes hervorbringt. 1. Abſchnitt. Dieſe Ränke, Liguen, Rüſtungen, Beſtechungen und Verräthereien machen zuſammen die äußere Geſchichte des damaligen Italiens aus. Lange Zeit war beſonders Ve- nedig der Gegenſtand allgemeiner Anklagen, als wollte es ganz Italien erobern oder allgemach ſo herunterbringen, daß ein Staat nach dem andern ihm ohnmächtig in die Arme fallen müſſe 1). Bei näherm Zuſehen wird man je- doch inne, daß dieſer Weheruf ſich nicht aus dem Volk ſondern aus der Umgebung der Fürſten und Regierungen erhebt, welche faſt ſämmtlich bei ihren Unterthanen ſchwer verhaßt ſind, während Venedig durch ſein leidlich mildes Regiment ein allgemeines Zutrauen genießt 2). Auch Flo- renz, mit ſeinen knirſchenden Unterthanenſtädten fand ſich Bedrohung Ve- nedigs. 1) So noch ganz ſpät Varchi, stor. fiorent. I, 57. 2) Galeazzo Maria Sforza ſagt 1467 dem venezian. Agenten wohl das Gegentheil, allein dieß iſt nur ergötzliche Prahlerei. Vgl. Mali- piero, Annali veneti, arch. stor. VII, I, p. 216 u. f. Bei jedem Anlaß ergeben ſich Städte und Landſchaften freiwillig an Vene- dig, freilich meiſt ſolche, die aus tyranniſchen Händen kommen, wäh- rend Florenz freiheitsgewohnte Nachbarrepubliken darnieder halten muß, wie Guicciardini (Ricordi, N. 29) bemerkt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/100
Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/100>, abgerufen am 28.11.2024.