1. Abschnitt.gische König von Frankreich. Mit seinem Rückzug war die Täuschung im Ganzen dahin, doch hat es noch lange ge- dauert bis man einsah, wie vollständig Carl VIII., Lud- wig XII. und Franz I. ihr wahres Verhältniß zu Italien verkannten und von welch untergeordneten Beweggründen sie sich leiten ließen. Anders als das Volk suchten die Fürsten sich Frankreichs zu bedienen. Als die französisch- englischen Kriege zu Ende waren, als Ludwig XI. seine diplomatischen Netze nach allen Seiten hin auswarf, als vollends Carl von Burgund sich in abenteuerlichen Plänen wiegte, da kamen ihnen die italienischen Cabinete von allen Seiten entgegen und die französische Intervention mußte früher oder später eintreten, auch ohne die Ansprüche auf Neapel und Mailand, so gewiß als sie z. B. in Genua und Piemont schon längst stattgefunden hatte. Die Vene- zianer erwarteten sie schon 1462 1). Welche Todesangst Herzog Galeazzo Maria von Mailand während des Bur- gunderkrieges ausstand, als er, scheinbar sowohl mit Lud- wig XI. als mit Carl verbündet, den Ueberfall Beider fürchten mußte, zeigt seine Correspondenz 2) in schlagender Versuch eines Gleichgewich- tes.Weise. Das System eines Gleichgewichtes der vier italie- nischen Hauptstaaten, wie Lorenzo magnifico es verstand, war doch nur das Postulat eines lichten, optimistischen Geistes, welcher über frevelnde Experimental-Politik wie über florentinischen Guelfen-Aberglauben hinaus war und sich bemühte, das Beste zu hoffen. Als Ludwig XI. ihm im Kriege gegen Ferrante von Neapel und Sixtus IV. Hülfstruppen anbot, sagte er: "ich vermag noch nicht, "meinen Nutzen der Gefahr ganz Italiens vorzuziehen;
1)Pii II. Commentarii, X, p. 492.
2)Gingins, depeches des ambassadeurs Milanais etc. I, p. 26. 153, 279. 283. 285. 327. 331. 345. 359. II, p. 29. 37. 101. 217. 306. Carl sprach bereits einmal davon, Mailand dem jungen Ludwig von Orleans zu geben.
1. Abſchnitt.giſche König von Frankreich. Mit ſeinem Rückzug war die Täuſchung im Ganzen dahin, doch hat es noch lange ge- dauert bis man einſah, wie vollſtändig Carl VIII., Lud- wig XII. und Franz I. ihr wahres Verhältniß zu Italien verkannten und von welch untergeordneten Beweggründen ſie ſich leiten ließen. Anders als das Volk ſuchten die Fürſten ſich Frankreichs zu bedienen. Als die franzöſiſch- engliſchen Kriege zu Ende waren, als Ludwig XI. ſeine diplomatiſchen Netze nach allen Seiten hin auswarf, als vollends Carl von Burgund ſich in abenteuerlichen Plänen wiegte, da kamen ihnen die italieniſchen Cabinete von allen Seiten entgegen und die franzöſiſche Intervention mußte früher oder ſpäter eintreten, auch ohne die Anſprüche auf Neapel und Mailand, ſo gewiß als ſie z. B. in Genua und Piemont ſchon längſt ſtattgefunden hatte. Die Vene- zianer erwarteten ſie ſchon 1462 1). Welche Todesangſt Herzog Galeazzo Maria von Mailand während des Bur- gunderkrieges ausſtand, als er, ſcheinbar ſowohl mit Lud- wig XI. als mit Carl verbündet, den Ueberfall Beider fürchten mußte, zeigt ſeine Correſpondenz 2) in ſchlagender Verſuch eines Gleichgewich- tes.Weiſe. Das Syſtem eines Gleichgewichtes der vier italie- niſchen Hauptſtaaten, wie Lorenzo magnifico es verſtand, war doch nur das Poſtulat eines lichten, optimiſtiſchen Geiſtes, welcher über frevelnde Experimental-Politik wie über florentiniſchen Guelfen-Aberglauben hinaus war und ſich bemühte, das Beſte zu hoffen. Als Ludwig XI. ihm im Kriege gegen Ferrante von Neapel und Sixtus IV. Hülfstruppen anbot, ſagte er: „ich vermag noch nicht, „meinen Nutzen der Gefahr ganz Italiens vorzuziehen;
1)Pii II. Commentarii, X, p. 492.
2)Gingins, dépêches des ambassadeurs Milanais etc. I, p. 26. 153, 279. 283. 285. 327. 331. 345. 359. II, p. 29. 37. 101. 217. 306. Carl ſprach bereits einmal davon, Mailand dem jungen Ludwig von Orleans zu geben.
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giſche König von Frankreich. Mit ſeinem Rückzug war die
Täuſchung im Ganzen dahin, doch hat es noch lange ge-
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wig XII. und Franz I. ihr wahres Verhältniß zu Italien
verkannten und von welch untergeordneten Beweggründen
ſie ſich leiten ließen. Anders als das Volk ſuchten die
Fürſten ſich Frankreichs zu bedienen. Als die franzöſiſch-
engliſchen Kriege zu Ende waren, als Ludwig XI. ſeine
diplomatiſchen Netze nach allen Seiten hin auswarf, als
vollends Carl von Burgund ſich in abenteuerlichen Plänen
wiegte, da kamen ihnen die italieniſchen Cabinete von allen
Seiten entgegen und die franzöſiſche Intervention mußte
früher oder ſpäter eintreten, auch ohne die Anſprüche auf
Neapel und Mailand, ſo gewiß als ſie z. B. in Genua
und Piemont ſchon längſt ſtattgefunden hatte. Die Vene-
zianer erwarteten ſie ſchon 1462 1). Welche Todesangſt
Herzog Galeazzo Maria von Mailand während des Bur-
gunderkrieges ausſtand, als er, ſcheinbar ſowohl mit Lud-
wig XI. als mit Carl verbündet, den Ueberfall Beider
fürchten mußte, zeigt ſeine Correſpondenz 2) in ſchlagender
Weiſe. Das Syſtem eines Gleichgewichtes der vier italie-
niſchen Hauptſtaaten, wie Lorenzo magnifico es verſtand,
war doch nur das Poſtulat eines lichten, optimiſtiſchen
Geiſtes, welcher über frevelnde Experimental-Politik wie
über florentiniſchen Guelfen-Aberglauben hinaus war und
ſich bemühte, das Beſte zu hoffen. Als Ludwig XI. ihm
im Kriege gegen Ferrante von Neapel und Sixtus IV.
Hülfstruppen anbot, ſagte er: „ich vermag noch nicht,
„meinen Nutzen der Gefahr ganz Italiens vorzuziehen;
1. Abſchnitt.
Verſuch eines
Gleichgewich-
tes.
1) Pii II. Commentarii, X, p. 492.
2) Gingins, dépêches des ambassadeurs Milanais etc. I, p. 26.
153, 279. 283. 285. 327. 331. 345. 359. II, p. 29. 37. 101.
217. 306. Carl ſprach bereits einmal davon, Mailand dem jungen
Ludwig von Orleans zu geben.
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Burckhardt, Jacob: Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Basel, 1860, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_renaissance_1860/102>, abgerufen am 24.11.2024.
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