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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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II. Teil. Die staatliche Verfassung.
richtig, die andere unrichtig ist? Die Verweisung auf das Richtige,
Vernünftige, Gerechte, Billige, oder wie man es nennen mag, ist
doch nur die Verweisung auf ein Wort, oder die Wiederholung
einer Forderung, aber keine Antwort darauf; so wendet man immer
wieder ein1. Obschon darauf schon Stammler2 geantwortet hat,
empfiehlt es sich doch, die Frage noch einmal, und zwar gerade
vom Standpunkt der Erkenntnistheorie aus zu stellen.

Wer einen (vollständig) gegebenen Rechtssatz anzuwenden
hat, hat, abgesehen von der Feststellung der Tatsachen, die logische
Subsumtion dieser Tatsachen unter den Rechtssatz vorzunehmen.
Das ist eine rein logische Denkoperation, die sich in der Form eines
Syllogismus abwickelt. Z. B.: für jedes über die Grenze geführte
Stück Vieh hat der Führer Fr. 20 Zollgebühr zu zahlen. Fritz
Heller hat drei Stück Ochsen über die Grenze geführt. Also hat
er Fr. 60 Zollgebühr zu bezahlen. Das im Schluß enthaltene kon-
krete Urteil ist mit zwingender Notwendigkeit aus den Prämissen
abgeleitet, und damit bewiesen. Denn beweisen kann man nur
in diesem Verfahren logischer Ableitung, nämlich des Besonderen
aus dem feststehenden Allgemeinen. Aber grundsätzlich neue Er-
kenntnis kann man damit nicht erwerben, denn der Schluß ist
immer schon in den Prämissen enthalten und wiederholt nur in
konkreter Form, was der Obersatz schon abstrakt ausgesagt hatte.
Die Rechtmäßigkeit der Rechtsanwendung (die nicht mehr als
Rechtsanwendung ist) läßt sich in zwingender Weise beweisen, weil
der Obersatz schon feststeht; aber sie enthält kein Werturteil, son-
dern nur logische Schlüsse. Das Werturteil stellt der Gesetzgeber im
Rechtssatz auf. Ein Werturteil ist aber, im Gegensatz zum rechts-
anwendenden Urteil, nie ein abgeleitetes, analytisches, sondern ein
selbständiges, synthetisches Urteil3, also ein Urteil, das, per de-
finitionem, nicht bewiesen, sondern nur anschaulich gemacht, einge-

1 Vgl. E. Mayer, Rechtsphilosophie 67; M. Rümelin, Die Gerech-
tigkeit 53; Erich Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphilo-
sophie (1921) 16. So hat man auch von verschiedener Seite der in den
"Lücken des Gesetzes" dargelegten Auffassung entgegengehalten; Schweizer.
Juristenzeitung 22 255.
2 Die Lehre vom richtigen Recht, 2. A., 26, 125; Rechtsphilosophie
167 ff.; Wirtschaft und Recht § 65.
3 Kant, Metaphysik der Sitten; Reclam, 54.

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
richtig, die andere unrichtig ist? Die Verweisung auf das Richtige,
Vernünftige, Gerechte, Billige, oder wie man es nennen mag, ist
doch nur die Verweisung auf ein Wort, oder die Wiederholung
einer Forderung, aber keine Antwort darauf; so wendet man immer
wieder ein1. Obschon darauf schon Stammler2 geantwortet hat,
empfiehlt es sich doch, die Frage noch einmal, und zwar gerade
vom Standpunkt der Erkenntnistheorie aus zu stellen.

Wer einen (vollständig) gegebenen Rechtssatz anzuwenden
hat, hat, abgesehen von der Feststellung der Tatsachen, die logische
Subsumtion dieser Tatsachen unter den Rechtssatz vorzunehmen.
Das ist eine rein logische Denkoperation, die sich in der Form eines
Syllogismus abwickelt. Z. B.: für jedes über die Grenze geführte
Stück Vieh hat der Führer Fr. 20 Zollgebühr zu zahlen. Fritz
Heller hat drei Stück Ochsen über die Grenze geführt. Also hat
er Fr. 60 Zollgebühr zu bezahlen. Das im Schluß enthaltene kon-
krete Urteil ist mit zwingender Notwendigkeit aus den Prämissen
abgeleitet, und damit bewiesen. Denn beweisen kann man nur
in diesem Verfahren logischer Ableitung, nämlich des Besonderen
aus dem feststehenden Allgemeinen. Aber grundsätzlich neue Er-
kenntnis kann man damit nicht erwerben, denn der Schluß ist
immer schon in den Prämissen enthalten und wiederholt nur in
konkreter Form, was der Obersatz schon abstrakt ausgesagt hatte.
Die Rechtmäßigkeit der Rechtsanwendung (die nicht mehr als
Rechtsanwendung ist) läßt sich in zwingender Weise beweisen, weil
der Obersatz schon feststeht; aber sie enthält kein Werturteil, son-
dern nur logische Schlüsse. Das Werturteil stellt der Gesetzgeber im
Rechtssatz auf. Ein Werturteil ist aber, im Gegensatz zum rechts-
anwendenden Urteil, nie ein abgeleitetes, analytisches, sondern ein
selbständiges, synthetisches Urteil3, also ein Urteil, das, per de-
finitionem, nicht bewiesen, sondern nur anschaulich gemacht, einge-

1 Vgl. E. Mayer, Rechtsphilosophie 67; M. Rümelin, Die Gerech-
tigkeit 53; Erich Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphilo-
sophie (1921) 16. So hat man auch von verschiedener Seite der in den
„Lücken des Gesetzes“ dargelegten Auffassung entgegengehalten; Schweizer.
Juristenzeitung 22 255.
2 Die Lehre vom richtigen Recht, 2. A., 26, 125; Rechtsphilosophie
167 ff.; Wirtschaft und Recht § 65.
3 Kant, Metaphysik der Sitten; Reclam, 54.
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[248/0263] II. Teil. Die staatliche Verfassung. richtig, die andere unrichtig ist? Die Verweisung auf das Richtige, Vernünftige, Gerechte, Billige, oder wie man es nennen mag, ist doch nur die Verweisung auf ein Wort, oder die Wiederholung einer Forderung, aber keine Antwort darauf; so wendet man immer wieder ein 1. Obschon darauf schon Stammler 2 geantwortet hat, empfiehlt es sich doch, die Frage noch einmal, und zwar gerade vom Standpunkt der Erkenntnistheorie aus zu stellen. Wer einen (vollständig) gegebenen Rechtssatz anzuwenden hat, hat, abgesehen von der Feststellung der Tatsachen, die logische Subsumtion dieser Tatsachen unter den Rechtssatz vorzunehmen. Das ist eine rein logische Denkoperation, die sich in der Form eines Syllogismus abwickelt. Z. B.: für jedes über die Grenze geführte Stück Vieh hat der Führer Fr. 20 Zollgebühr zu zahlen. Fritz Heller hat drei Stück Ochsen über die Grenze geführt. Also hat er Fr. 60 Zollgebühr zu bezahlen. Das im Schluß enthaltene kon- krete Urteil ist mit zwingender Notwendigkeit aus den Prämissen abgeleitet, und damit bewiesen. Denn beweisen kann man nur in diesem Verfahren logischer Ableitung, nämlich des Besonderen aus dem feststehenden Allgemeinen. Aber grundsätzlich neue Er- kenntnis kann man damit nicht erwerben, denn der Schluß ist immer schon in den Prämissen enthalten und wiederholt nur in konkreter Form, was der Obersatz schon abstrakt ausgesagt hatte. Die Rechtmäßigkeit der Rechtsanwendung (die nicht mehr als Rechtsanwendung ist) läßt sich in zwingender Weise beweisen, weil der Obersatz schon feststeht; aber sie enthält kein Werturteil, son- dern nur logische Schlüsse. Das Werturteil stellt der Gesetzgeber im Rechtssatz auf. Ein Werturteil ist aber, im Gegensatz zum rechts- anwendenden Urteil, nie ein abgeleitetes, analytisches, sondern ein selbständiges, synthetisches Urteil 3, also ein Urteil, das, per de- finitionem, nicht bewiesen, sondern nur anschaulich gemacht, einge- 1 Vgl. E. Mayer, Rechtsphilosophie 67; M. Rümelin, Die Gerech- tigkeit 53; Erich Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphilo- sophie (1921) 16. So hat man auch von verschiedener Seite der in den „Lücken des Gesetzes“ dargelegten Auffassung entgegengehalten; Schweizer. Juristenzeitung 22 255. 2 Die Lehre vom richtigen Recht, 2. A., 26, 125; Rechtsphilosophie 167 ff.; Wirtschaft und Recht § 65. 3 Kant, Metaphysik der Sitten; Reclam, 54.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/263>, abgerufen am 23.11.2024.