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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

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Die Rechtssetzung.

Klassen die Möglichkeit eines sicheren Heims zu verschaffen, muß
sich der Gesetzgeber fragen, durch welche verschiedenen Rechts-
vorschriften und durch welche Verbindung solcher man zum vor-
gesteckten Ziele gelangen könnte; er muß sich neue Vorschriften
ausdenken und ihre Wirkungen vorstellen können, um sie zu be-
werten und sie, je nach ihrem Werte oder Unwerte, anzunehmen
oder zu verwerfen. Er wird sich z. B. die Möglichkeit des Erbbau-
rechtes, des genossenschaftlichen Baues, der Heimstätte, des
Darleihens öffentlicher Gelder oder andere Rechtsformen ausdenken
und sich ausmalen, welche praktischen Ergebnisse sie (unter den
gegebenen Umständen) haben werden. Er wird aber schließlich,
und das ist das Entscheidende, die vorliegenden Möglichkeiten
nach diesen ihren wahrscheinlichen Wirkungen werten und unter
ihnen die beste wählen. Wer nur eine Möglichkeit sieht, etwa
die schon im Gesetz verwirklichte (und das ist bei Praktikern
nicht selten), wird gar nicht in die Lage kommen zu wählen; wer
nur Möglichkeiten ersinnt, aber nicht die Kraft hat zu wählen oder
richtig zu wählen, wird unentschlossen bleiben oder das mangelhafte
Bestehende durch ein anderes ersetzen, das ebenso mangelhaft ist.
In der harmonischen Verbindung der Einbildungskraft mit dem
praktischen Urteil liegt die wesentliche Gabe des Gesetzgebers,
seine schöpferische Kraft. Aber die Entscheidung gibt schließlich
die praktische Urteilskraft.

Wie kann nun die gesetzgebende Behörde in methodischer,
objektive Richtigkeit verbürgender Weise unter verschiedenen
technisch durchführbaren, d. h. folgerichtig anwendbaren und er-
zwingbaren Rechtssätzen ihre Wahl treffen? Ist diese Wahl nicht,
eben weil sie nicht an schon feststehenden Sätzen gerichtet werden
kann, willkürlich und zufällig, d. h. psychologisch vielleicht er-
klärbar, aber rationell nicht begründbar?

Das würde der Behauptung widersprechen, daß in dem Gesetz
das Postulat der Vernunft, hier des richtigen Rechts, verwirklicht
werden soll. Wenn es ein solches Postulat gibt, muß es auch einen
sachlichen Sinn haben, d. h. einen Sinn, der unabhängig ist vom
Urteil der prüfenden Subjekte, nach dem sich vielmehr die Richtig-
keit dieses Urteils selbst beurteilt. Es können, unter gegebenen
Voraussetzungen, nicht zwei sich widersprechende Regelungen
gleich vernünftig sein. Woran erkennt man aber, daß die eine

Die Rechtssetzung.

Klassen die Möglichkeit eines sicheren Heims zu verschaffen, muß
sich der Gesetzgeber fragen, durch welche verschiedenen Rechts-
vorschriften und durch welche Verbindung solcher man zum vor-
gesteckten Ziele gelangen könnte; er muß sich neue Vorschriften
ausdenken und ihre Wirkungen vorstellen können, um sie zu be-
werten und sie, je nach ihrem Werte oder Unwerte, anzunehmen
oder zu verwerfen. Er wird sich z. B. die Möglichkeit des Erbbau-
rechtes, des genossenschaftlichen Baues, der Heimstätte, des
Darleihens öffentlicher Gelder oder andere Rechtsformen ausdenken
und sich ausmalen, welche praktischen Ergebnisse sie (unter den
gegebenen Umständen) haben werden. Er wird aber schließlich,
und das ist das Entscheidende, die vorliegenden Möglichkeiten
nach diesen ihren wahrscheinlichen Wirkungen werten und unter
ihnen die beste wählen. Wer nur eine Möglichkeit sieht, etwa
die schon im Gesetz verwirklichte (und das ist bei Praktikern
nicht selten), wird gar nicht in die Lage kommen zu wählen; wer
nur Möglichkeiten ersinnt, aber nicht die Kraft hat zu wählen oder
richtig zu wählen, wird unentschlossen bleiben oder das mangelhafte
Bestehende durch ein anderes ersetzen, das ebenso mangelhaft ist.
In der harmonischen Verbindung der Einbildungskraft mit dem
praktischen Urteil liegt die wesentliche Gabe des Gesetzgebers,
seine schöpferische Kraft. Aber die Entscheidung gibt schließlich
die praktische Urteilskraft.

Wie kann nun die gesetzgebende Behörde in methodischer,
objektive Richtigkeit verbürgender Weise unter verschiedenen
technisch durchführbaren, d. h. folgerichtig anwendbaren und er-
zwingbaren Rechtssätzen ihre Wahl treffen? Ist diese Wahl nicht,
eben weil sie nicht an schon feststehenden Sätzen gerichtet werden
kann, willkürlich und zufällig, d. h. psychologisch vielleicht er-
klärbar, aber rationell nicht begründbar?

Das würde der Behauptung widersprechen, daß in dem Gesetz
das Postulat der Vernunft, hier des richtigen Rechts, verwirklicht
werden soll. Wenn es ein solches Postulat gibt, muß es auch einen
sachlichen Sinn haben, d. h. einen Sinn, der unabhängig ist vom
Urteil der prüfenden Subjekte, nach dem sich vielmehr die Richtig-
keit dieses Urteils selbst beurteilt. Es können, unter gegebenen
Voraussetzungen, nicht zwei sich widersprechende Regelungen
gleich vernünftig sein. Woran erkennt man aber, daß die eine

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[247/0262] Die Rechtssetzung. Klassen die Möglichkeit eines sicheren Heims zu verschaffen, muß sich der Gesetzgeber fragen, durch welche verschiedenen Rechts- vorschriften und durch welche Verbindung solcher man zum vor- gesteckten Ziele gelangen könnte; er muß sich neue Vorschriften ausdenken und ihre Wirkungen vorstellen können, um sie zu be- werten und sie, je nach ihrem Werte oder Unwerte, anzunehmen oder zu verwerfen. Er wird sich z. B. die Möglichkeit des Erbbau- rechtes, des genossenschaftlichen Baues, der Heimstätte, des Darleihens öffentlicher Gelder oder andere Rechtsformen ausdenken und sich ausmalen, welche praktischen Ergebnisse sie (unter den gegebenen Umständen) haben werden. Er wird aber schließlich, und das ist das Entscheidende, die vorliegenden Möglichkeiten nach diesen ihren wahrscheinlichen Wirkungen werten und unter ihnen die beste wählen. Wer nur eine Möglichkeit sieht, etwa die schon im Gesetz verwirklichte (und das ist bei Praktikern nicht selten), wird gar nicht in die Lage kommen zu wählen; wer nur Möglichkeiten ersinnt, aber nicht die Kraft hat zu wählen oder richtig zu wählen, wird unentschlossen bleiben oder das mangelhafte Bestehende durch ein anderes ersetzen, das ebenso mangelhaft ist. In der harmonischen Verbindung der Einbildungskraft mit dem praktischen Urteil liegt die wesentliche Gabe des Gesetzgebers, seine schöpferische Kraft. Aber die Entscheidung gibt schließlich die praktische Urteilskraft. Wie kann nun die gesetzgebende Behörde in methodischer, objektive Richtigkeit verbürgender Weise unter verschiedenen technisch durchführbaren, d. h. folgerichtig anwendbaren und er- zwingbaren Rechtssätzen ihre Wahl treffen? Ist diese Wahl nicht, eben weil sie nicht an schon feststehenden Sätzen gerichtet werden kann, willkürlich und zufällig, d. h. psychologisch vielleicht er- klärbar, aber rationell nicht begründbar? Das würde der Behauptung widersprechen, daß in dem Gesetz das Postulat der Vernunft, hier des richtigen Rechts, verwirklicht werden soll. Wenn es ein solches Postulat gibt, muß es auch einen sachlichen Sinn haben, d. h. einen Sinn, der unabhängig ist vom Urteil der prüfenden Subjekte, nach dem sich vielmehr die Richtig- keit dieses Urteils selbst beurteilt. Es können, unter gegebenen Voraussetzungen, nicht zwei sich widersprechende Regelungen gleich vernünftig sein. Woran erkennt man aber, daß die eine

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Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/262>, abgerufen am 23.11.2024.