Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
führung konkreter Anordnungen (generelle Normen lassen sich als
solche nicht erzwingen), und wenn es Rechtszwang sein soll,
kann er nur ausgeübt werden, zur Durchführung von Anordnungen,
die sich selbst als die Anwendung von Rechtsnormen darstellen;
und schließlich: wenn im Namen des abstrakten Rechts die kon-
krete Anwendung auf die vorliegenden Umstände gemacht wird,
muß auch festgestellt werden, durch die rechtsanwendende oder
durch eine andere Instanz, welche Normen rechtens sind, d. h.
wie die Normen lauten, welche anzuwenden sind; eben die Leistung
der Organisation, wie im dritten Abschnitt noch ausgeführt werden
wird. Das Recht kann nicht angewendet werden (wozu es doch
allein da ist), wenn nicht festgestellt werden kann, welche Normen
rechtens sind; es kann nicht erzwungen werden, wenn nicht vorher
festgestellt wird, was die Anwendung der bekannten Norm auf
den konkreten Tatbestand ergibt; beides sind notwendige Voraus-
setzungen der Erzwingung des Rechts, und das Recht kann
grundsätzlich des Zwanges nicht entbehren, ohne sich selbst auf-
zugeben.

Ohne Organisation (Ordnung der Zuständigkeiten zur Fest-
stellung des abstrakten und konkreten Rechts und zu seiner
Erzwingung) ist eine geltende Rechtsordnung nicht denkbar1.
Ein System von Verhaltungsregeln allein, ohne jenen Anwendungs-
und Durchführungsapparat (der Organisation), kann nicht Geltung
haben und nicht als geltendes Recht gedacht werden. Man kann
sich wohl einen Staat ohne ein festgelegtes System von Ver-
haltungsregeln denken, sofern nur zuständige Organe da sind,
um jenes materielle Recht, sei es in genereller Rechtssetzung, als
Gesetzgeber, sei es in konkreter Betätigung, als Richter, festzu-
stellen, und es anzuwenden und zu erzwingen. Aber man kann
sich kein positives Recht denken, das niemand in autoritativer
Weise befugt wäre, festzustellen, anzuwenden und durchzusetzen.
Ist die Organisation hiezu geschaffen, so ist auch für alles andere
gesorgt; denn mit der Organisation ist die Möglichkeit geschaffen,
zu geltendem materiellen Recht zu gelangen2. Liegt aber nur

1 "Der Staat ist nichts weiter als die organisierte Gewalt des Volkes."
Vgl. Barth, Philosophie der Geschichte 758.
2 Sander, Staat und Recht 952; G. Jeze, Principes generaux du
droit administratif, 3. A. (1925) 33, sagt: Qu'est ce que le droit positif?

II. Teil. Die staatliche Verfassung.
führung konkreter Anordnungen (generelle Normen lassen sich als
solche nicht erzwingen), und wenn es Rechtszwang sein soll,
kann er nur ausgeübt werden, zur Durchführung von Anordnungen,
die sich selbst als die Anwendung von Rechtsnormen darstellen;
und schließlich: wenn im Namen des abstrakten Rechts die kon-
krete Anwendung auf die vorliegenden Umstände gemacht wird,
muß auch festgestellt werden, durch die rechtsanwendende oder
durch eine andere Instanz, welche Normen rechtens sind, d. h.
wie die Normen lauten, welche anzuwenden sind; eben die Leistung
der Organisation, wie im dritten Abschnitt noch ausgeführt werden
wird. Das Recht kann nicht angewendet werden (wozu es doch
allein da ist), wenn nicht festgestellt werden kann, welche Normen
rechtens sind; es kann nicht erzwungen werden, wenn nicht vorher
festgestellt wird, was die Anwendung der bekannten Norm auf
den konkreten Tatbestand ergibt; beides sind notwendige Voraus-
setzungen der Erzwingung des Rechts, und das Recht kann
grundsätzlich des Zwanges nicht entbehren, ohne sich selbst auf-
zugeben.

Ohne Organisation (Ordnung der Zuständigkeiten zur Fest-
stellung des abstrakten und konkreten Rechts und zu seiner
Erzwingung) ist eine geltende Rechtsordnung nicht denkbar1.
Ein System von Verhaltungsregeln allein, ohne jenen Anwendungs-
und Durchführungsapparat (der Organisation), kann nicht Geltung
haben und nicht als geltendes Recht gedacht werden. Man kann
sich wohl einen Staat ohne ein festgelegtes System von Ver-
haltungsregeln denken, sofern nur zuständige Organe da sind,
um jenes materielle Recht, sei es in genereller Rechtssetzung, als
Gesetzgeber, sei es in konkreter Betätigung, als Richter, festzu-
stellen, und es anzuwenden und zu erzwingen. Aber man kann
sich kein positives Recht denken, das niemand in autoritativer
Weise befugt wäre, festzustellen, anzuwenden und durchzusetzen.
Ist die Organisation hiezu geschaffen, so ist auch für alles andere
gesorgt; denn mit der Organisation ist die Möglichkeit geschaffen,
zu geltendem materiellen Recht zu gelangen2. Liegt aber nur

1 „Der Staat ist nichts weiter als die organisierte Gewalt des Volkes.“
Vgl. Barth, Philosophie der Geschichte 758.
2 Sander, Staat und Recht 952; G. Jèze, Principes généraux du
droit administratif, 3. A. (1925) 33, sagt: Qu'est ce que le droit positif?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0193" n="178"/><fw place="top" type="header">II. Teil. Die staatliche Verfassung.</fw><lb/>
führung konkreter Anordnungen (generelle Normen lassen sich als<lb/>
solche nicht erzwingen), und wenn es <hi rendition="#g">Rechts</hi>zwang sein soll,<lb/>
kann er nur ausgeübt werden, zur Durchführung von Anordnungen,<lb/>
die sich selbst als die Anwendung von Rechtsnormen darstellen;<lb/>
und schließlich: wenn im Namen des abstrakten Rechts die kon-<lb/>
krete Anwendung auf die vorliegenden Umstände gemacht wird,<lb/>
muß auch festgestellt werden, durch die rechtsanwendende oder<lb/>
durch eine andere Instanz, welche Normen rechtens sind, d. h.<lb/>
wie die Normen lauten, welche anzuwenden sind; eben die Leistung<lb/>
der Organisation, wie im dritten Abschnitt noch ausgeführt werden<lb/>
wird. Das Recht kann nicht angewendet werden (wozu es doch<lb/>
allein da ist), wenn nicht festgestellt werden kann, welche Normen<lb/>
rechtens sind; es kann nicht erzwungen werden, wenn nicht vorher<lb/>
festgestellt wird, was die Anwendung der bekannten Norm auf<lb/>
den konkreten Tatbestand ergibt; beides sind notwendige Voraus-<lb/>
setzungen der Erzwingung des Rechts, und das Recht kann<lb/>
grundsätzlich des Zwanges nicht entbehren, ohne sich selbst auf-<lb/>
zugeben.</p><lb/>
            <p>Ohne Organisation (Ordnung der Zuständigkeiten zur Fest-<lb/>
stellung des abstrakten und konkreten Rechts und zu seiner<lb/>
Erzwingung) ist eine geltende Rechtsordnung nicht denkbar<note place="foot" n="1">&#x201E;Der Staat ist nichts weiter als die organisierte Gewalt des Volkes.&#x201C;<lb/>
Vgl. <hi rendition="#g">Barth,</hi> Philosophie der Geschichte 758.</note>.<lb/>
Ein System von Verhaltungsregeln allein, ohne jenen Anwendungs-<lb/>
und Durchführungsapparat (der Organisation), kann nicht Geltung<lb/>
haben und nicht als geltendes Recht gedacht werden. Man kann<lb/>
sich wohl einen Staat ohne ein festgelegtes System von Ver-<lb/>
haltungsregeln denken, sofern nur zuständige Organe da sind,<lb/>
um jenes materielle Recht, sei es in genereller Rechtssetzung, als<lb/>
Gesetzgeber, sei es in konkreter Betätigung, als Richter, festzu-<lb/>
stellen, und es anzuwenden und zu erzwingen. Aber man kann<lb/>
sich kein positives Recht denken, das niemand in autoritativer<lb/>
Weise befugt wäre, festzustellen, anzuwenden und durchzusetzen.<lb/>
Ist die Organisation hiezu geschaffen, so ist auch für alles andere<lb/>
gesorgt; denn mit der Organisation ist die Möglichkeit geschaffen,<lb/>
zu geltendem materiellen Recht zu gelangen<note xml:id="seg2pn_27_1" next="#seg2pn_27_2" place="foot" n="2"><hi rendition="#g">Sander,</hi> Staat und Recht 952; G. <hi rendition="#g">Jèze,</hi> Principes généraux du<lb/>
droit administratif, 3. A. (1925) 33, sagt: Qu'est ce que le <hi rendition="#g">droit positif?</hi></note>. Liegt aber nur<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[178/0193] II. Teil. Die staatliche Verfassung. führung konkreter Anordnungen (generelle Normen lassen sich als solche nicht erzwingen), und wenn es Rechtszwang sein soll, kann er nur ausgeübt werden, zur Durchführung von Anordnungen, die sich selbst als die Anwendung von Rechtsnormen darstellen; und schließlich: wenn im Namen des abstrakten Rechts die kon- krete Anwendung auf die vorliegenden Umstände gemacht wird, muß auch festgestellt werden, durch die rechtsanwendende oder durch eine andere Instanz, welche Normen rechtens sind, d. h. wie die Normen lauten, welche anzuwenden sind; eben die Leistung der Organisation, wie im dritten Abschnitt noch ausgeführt werden wird. Das Recht kann nicht angewendet werden (wozu es doch allein da ist), wenn nicht festgestellt werden kann, welche Normen rechtens sind; es kann nicht erzwungen werden, wenn nicht vorher festgestellt wird, was die Anwendung der bekannten Norm auf den konkreten Tatbestand ergibt; beides sind notwendige Voraus- setzungen der Erzwingung des Rechts, und das Recht kann grundsätzlich des Zwanges nicht entbehren, ohne sich selbst auf- zugeben. Ohne Organisation (Ordnung der Zuständigkeiten zur Fest- stellung des abstrakten und konkreten Rechts und zu seiner Erzwingung) ist eine geltende Rechtsordnung nicht denkbar 1. Ein System von Verhaltungsregeln allein, ohne jenen Anwendungs- und Durchführungsapparat (der Organisation), kann nicht Geltung haben und nicht als geltendes Recht gedacht werden. Man kann sich wohl einen Staat ohne ein festgelegtes System von Ver- haltungsregeln denken, sofern nur zuständige Organe da sind, um jenes materielle Recht, sei es in genereller Rechtssetzung, als Gesetzgeber, sei es in konkreter Betätigung, als Richter, festzu- stellen, und es anzuwenden und zu erzwingen. Aber man kann sich kein positives Recht denken, das niemand in autoritativer Weise befugt wäre, festzustellen, anzuwenden und durchzusetzen. Ist die Organisation hiezu geschaffen, so ist auch für alles andere gesorgt; denn mit der Organisation ist die Möglichkeit geschaffen, zu geltendem materiellen Recht zu gelangen 2. Liegt aber nur 1 „Der Staat ist nichts weiter als die organisierte Gewalt des Volkes.“ Vgl. Barth, Philosophie der Geschichte 758. 2 Sander, Staat und Recht 952; G. Jèze, Principes généraux du droit administratif, 3. A. (1925) 33, sagt: Qu'est ce que le droit positif?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/193
Zitationshilfe: Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/193>, abgerufen am 04.05.2024.