I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
Rechtsgeschäfte des Privatrechts, sondern durch Verwaltungs- akte öffentlichen Rechts begründet hatte.
Geht der Staat als Fiskus privatrechtliche Verhältnisse mit Privatpersonen ein, z. B. eine Gesellschaft zum Betrieb einer Bank oder ein Darlehen durch Ausgabe von Obligationen, so steht er auch in bezug auf das Übergangsrecht auf gleichem Fuß wie eine Privatperson; er darf nur, selbstverständlich, sein Gesetz- gebungsrecht nicht dazu mißbrauchen, seine Stellung als Privat- person zu verbessern durch tendenziöse Abänderung des all- gemeinen Rechts oder gar durch Ausnahmegesetze. Aber auch wenn er als Staat vermöge öffentlich-rechtlicher Vorschrift einem Privaten ein (privates) Vermögensrecht verschafft (oben S. 79), z. B. eine Konzession oder ein Sondernutzungsrecht verliehen oder einen Beamten angestellt hat (um die praktisch wichtigsten Fälle zu nennen), kann er nicht ohne Rücksicht auf das einmal begründete individuelle Verhältnis bestehendes Gesetzesrecht ab- ändern1.
Die Eigenart des Falles besteht darin, daß das Rechtsverhält- nis in Anwendung öffentlichen Rechts begründet worden ist, daß es aber durch den Staat (oder seine Unterabteilungen) in individueller Ausgestaltung begründet worden ist.
Wenn der Staat öffentlich-rechtliche Gesetze in schlichter Weise auf einzelne Fälle anwendet; wenn er z. B. eine Steuer erhebt, eine Polizeibewilligung erteilt, zum Besuch der Schule zuläßt, und diese Gesetze geändert werden, erhebt sich die Frage nach den wohlerworbenen Rechten, wie schon oben bemerkt (S. 90), nicht. Der Steuerzahler, der Gewerbetreibende, der Vater schulpflichtiger Kinder können auf die Beständigkeit der Steuer- last, der gewerbepolizeilichen Bewilligung, der Schuleinrichtungen nur in dem Maße zählen, als sie auf die Beständigkeit der Steuer-, Gewerbe- und Schulgesetzgebung zählen können; die Steuer- veranlagung, die gewerbepolizeiliche Bewilligung, die Zulassung zur Schule gaben ihnen keine weitere Sicherheit, keine besondere Berechtigung, da sie schlichte Anwendungen der abstrakten Sätze des Gesetzes sind; werden jene Gesetze abgeändert, so müssen sie gewärtigen, daß sie mehr Steuern zahlen, weiteren
1Gabba a. a. O. 213.
I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
Rechtsgeschäfte des Privatrechts, sondern durch Verwaltungs- akte öffentlichen Rechts begründet hatte.
Geht der Staat als Fiskus privatrechtliche Verhältnisse mit Privatpersonen ein, z. B. eine Gesellschaft zum Betrieb einer Bank oder ein Darlehen durch Ausgabe von Obligationen, so steht er auch in bezug auf das Übergangsrecht auf gleichem Fuß wie eine Privatperson; er darf nur, selbstverständlich, sein Gesetz- gebungsrecht nicht dazu mißbrauchen, seine Stellung als Privat- person zu verbessern durch tendenziöse Abänderung des all- gemeinen Rechts oder gar durch Ausnahmegesetze. Aber auch wenn er als Staat vermöge öffentlich-rechtlicher Vorschrift einem Privaten ein (privates) Vermögensrecht verschafft (oben S. 79), z. B. eine Konzession oder ein Sondernutzungsrecht verliehen oder einen Beamten angestellt hat (um die praktisch wichtigsten Fälle zu nennen), kann er nicht ohne Rücksicht auf das einmal begründete individuelle Verhältnis bestehendes Gesetzesrecht ab- ändern1.
Die Eigenart des Falles besteht darin, daß das Rechtsverhält- nis in Anwendung öffentlichen Rechts begründet worden ist, daß es aber durch den Staat (oder seine Unterabteilungen) in individueller Ausgestaltung begründet worden ist.
Wenn der Staat öffentlich-rechtliche Gesetze in schlichter Weise auf einzelne Fälle anwendet; wenn er z. B. eine Steuer erhebt, eine Polizeibewilligung erteilt, zum Besuch der Schule zuläßt, und diese Gesetze geändert werden, erhebt sich die Frage nach den wohlerworbenen Rechten, wie schon oben bemerkt (S. 90), nicht. Der Steuerzahler, der Gewerbetreibende, der Vater schulpflichtiger Kinder können auf die Beständigkeit der Steuer- last, der gewerbepolizeilichen Bewilligung, der Schuleinrichtungen nur in dem Maße zählen, als sie auf die Beständigkeit der Steuer-, Gewerbe- und Schulgesetzgebung zählen können; die Steuer- veranlagung, die gewerbepolizeiliche Bewilligung, die Zulassung zur Schule gaben ihnen keine weitere Sicherheit, keine besondere Berechtigung, da sie schlichte Anwendungen der abstrakten Sätze des Gesetzes sind; werden jene Gesetze abgeändert, so müssen sie gewärtigen, daß sie mehr Steuern zahlen, weiteren
1Gabba a. a. O. 213.
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I. Teil. Das Privatrecht und das öffentliche Recht.
Rechtsgeschäfte des Privatrechts, sondern durch Verwaltungs-
akte öffentlichen Rechts begründet hatte.
Geht der Staat als Fiskus privatrechtliche Verhältnisse mit
Privatpersonen ein, z. B. eine Gesellschaft zum Betrieb einer
Bank oder ein Darlehen durch Ausgabe von Obligationen, so steht
er auch in bezug auf das Übergangsrecht auf gleichem Fuß wie
eine Privatperson; er darf nur, selbstverständlich, sein Gesetz-
gebungsrecht nicht dazu mißbrauchen, seine Stellung als Privat-
person zu verbessern durch tendenziöse Abänderung des all-
gemeinen Rechts oder gar durch Ausnahmegesetze. Aber auch
wenn er als Staat vermöge öffentlich-rechtlicher Vorschrift einem
Privaten ein (privates) Vermögensrecht verschafft (oben S. 79),
z. B. eine Konzession oder ein Sondernutzungsrecht verliehen
oder einen Beamten angestellt hat (um die praktisch wichtigsten
Fälle zu nennen), kann er nicht ohne Rücksicht auf das einmal
begründete individuelle Verhältnis bestehendes Gesetzesrecht ab-
ändern 1.
Die Eigenart des Falles besteht darin, daß das Rechtsverhält-
nis in Anwendung öffentlichen Rechts begründet worden ist,
daß es aber durch den Staat (oder seine Unterabteilungen) in
individueller Ausgestaltung begründet worden ist.
Wenn der Staat öffentlich-rechtliche Gesetze in schlichter
Weise auf einzelne Fälle anwendet; wenn er z. B. eine Steuer
erhebt, eine Polizeibewilligung erteilt, zum Besuch der Schule
zuläßt, und diese Gesetze geändert werden, erhebt sich die Frage
nach den wohlerworbenen Rechten, wie schon oben bemerkt
(S. 90), nicht. Der Steuerzahler, der Gewerbetreibende, der Vater
schulpflichtiger Kinder können auf die Beständigkeit der Steuer-
last, der gewerbepolizeilichen Bewilligung, der Schuleinrichtungen
nur in dem Maße zählen, als sie auf die Beständigkeit der Steuer-,
Gewerbe- und Schulgesetzgebung zählen können; die Steuer-
veranlagung, die gewerbepolizeiliche Bewilligung, die Zulassung
zur Schule gaben ihnen keine weitere Sicherheit, keine besondere
Berechtigung, da sie schlichte Anwendungen der abstrakten
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müssen sie gewärtigen, daß sie mehr Steuern zahlen, weiteren
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Burckhardt, Walther: Die Organisation der Rechtsgemeinschaft. Basel, 1927, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_rechtsgemeinschaft_1927/117>, abgerufen am 23.11.2024.
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