Perugia (1411) wird ein gewisser Fra Bartolommeo namhaft gemacht; eine Reihe Geschichten und vier Reihen Heilige, von ziem- lich allgemeinem Styl. Von einem in Lübeck erzogenen Toscaner, dem Francesco di Livi aus Gambassi (bei Volterra) rührt ein agrosser Theil der Glasmalereien im Dom von Florenz her (seit 1436); die meisten aber werden dem berühmten Erzgiesser Lorenzo bGhiberti zugeschrieben, so namentlich die der drei vordern Rund- fenster. Weder die einen noch die andern machen irgend einen be- deutenden, zwingenden Eindruck. Viel eigenthümlicher ist die Kreuz- cabnahme im vordern Rundfenster von S. Croce, angeblich ebenfalls von Ghiberti.
Ein höheres Interesse gewinnen die Glasgemälde erst von der Zeit an, da der grosse italienische Realismus des XV. Jahrh. auch sie durchdringt; fortan unterscheiden sie sich von den gleichzeitigen nordischen nicht nur durch den Styl der Zeichnung und Auffassung, sondern auch indem sie freier den decorativen Zwecken dienen und zugleich viel mehr eigentliche Gemälde von abgeschlossener Bedeu- tung sein wollen als im Norden.
Aus deutschem und italienischem Realismus mischte sich der Styl des seligen Prediger-Laienbruders Jacob von Ulm (1407 -- 1491), dwelcher in S. Petronio zu Bologna das prächtige Fenster der 4. Cap. rechts verfertigte (und vielleicht auch dasjenige der 4. Cap. links unter seiner Leitung entstehen sah). Von den übrigen Fenstern dieser Kirche ist dasjenige der 7. Cap. links (Cap. Bacciocchi) vorzüglich schön nach dem energischen Entwurf des Lorenzo Costa gearbeitet; von ähn- lichem Styl das der 5. Cap. links. Für dasjenige der 9. Cap. rechts nimmt man einen Entwurf Michelangelo's an; die Motive der ein- zelnen Heiligen erinnern aber ganz direct an Bandinelli's Relieffiguren der Florentiner Chorschranken (S. 680, d); die Ausführung sehr reich- farbig für diese späte Zeit. -- Von Costa rührt in Bologna wohl ohne eZweifel auch das Rundfenster von S. Giovanni in monte her. (Jo- hannes auf Pathmos; die Nebenfenster geringer.) -- In S. Giovanni fe Paolo zu Venedig gilt das grosse Fenster des rechten Quer- schiffes als Composition des Bartol. Vivarini, ich weiss nicht mit welcher Sicherheit. (Die Inschrift ist modern; die obere Figurenreihe eher von V.'s Styl als die untere.)
Glasmalerei.
Perugia (1411) wird ein gewisser Fra Bartolommeo namhaft gemacht; eine Reihe Geschichten und vier Reihen Heilige, von ziem- lich allgemeinem Styl. Von einem in Lübeck erzogenen Toscaner, dem Francesco di Livi aus Gambassi (bei Volterra) rührt ein agrosser Theil der Glasmalereien im Dom von Florenz her (seit 1436); die meisten aber werden dem berühmten Erzgiesser Lorenzo bGhiberti zugeschrieben, so namentlich die der drei vordern Rund- fenster. Weder die einen noch die andern machen irgend einen be- deutenden, zwingenden Eindruck. Viel eigenthümlicher ist die Kreuz- cabnahme im vordern Rundfenster von S. Croce, angeblich ebenfalls von Ghiberti.
Ein höheres Interesse gewinnen die Glasgemälde erst von der Zeit an, da der grosse italienische Realismus des XV. Jahrh. auch sie durchdringt; fortan unterscheiden sie sich von den gleichzeitigen nordischen nicht nur durch den Styl der Zeichnung und Auffassung, sondern auch indem sie freier den decorativen Zwecken dienen und zugleich viel mehr eigentliche Gemälde von abgeschlossener Bedeu- tung sein wollen als im Norden.
Aus deutschem und italienischem Realismus mischte sich der Styl des seligen Prediger-Laienbruders Jacob von Ulm (1407 — 1491), dwelcher in S. Petronio zu Bologna das prächtige Fenster der 4. Cap. rechts verfertigte (und vielleicht auch dasjenige der 4. Cap. links unter seiner Leitung entstehen sah). Von den übrigen Fenstern dieser Kirche ist dasjenige der 7. Cap. links (Cap. Bacciocchi) vorzüglich schön nach dem energischen Entwurf des Lorenzo Costa gearbeitet; von ähn- lichem Styl das der 5. Cap. links. Für dasjenige der 9. Cap. rechts nimmt man einen Entwurf Michelangelo’s an; die Motive der ein- zelnen Heiligen erinnern aber ganz direct an Bandinelli’s Relieffiguren der Florentiner Chorschranken (S. 680, d); die Ausführung sehr reich- farbig für diese späte Zeit. — Von Costa rührt in Bologna wohl ohne eZweifel auch das Rundfenster von S. Giovanni in monte her. (Jo- hannes auf Pathmos; die Nebenfenster geringer.) — In S. Giovanni fe Paolo zu Venedig gilt das grosse Fenster des rechten Quer- schiffes als Composition des Bartol. Vivarini, ich weiss nicht mit welcher Sicherheit. (Die Inschrift ist modern; die obere Figurenreihe eher von V.’s Styl als die untere.)
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Glasmalerei.
Perugia (1411) wird ein gewisser Fra Bartolommeo namhaft
gemacht; eine Reihe Geschichten und vier Reihen Heilige, von ziem-
lich allgemeinem Styl. Von einem in Lübeck erzogenen Toscaner,
dem Francesco di Livi aus Gambassi (bei Volterra) rührt ein
grosser Theil der Glasmalereien im Dom von Florenz her (seit
1436); die meisten aber werden dem berühmten Erzgiesser Lorenzo
Ghiberti zugeschrieben, so namentlich die der drei vordern Rund-
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deutenden, zwingenden Eindruck. Viel eigenthümlicher ist die Kreuz-
abnahme im vordern Rundfenster von S. Croce, angeblich ebenfalls
von Ghiberti.
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Ein höheres Interesse gewinnen die Glasgemälde erst von der
Zeit an, da der grosse italienische Realismus des XV. Jahrh. auch
sie durchdringt; fortan unterscheiden sie sich von den gleichzeitigen
nordischen nicht nur durch den Styl der Zeichnung und Auffassung,
sondern auch indem sie freier den decorativen Zwecken dienen und
zugleich viel mehr eigentliche Gemälde von abgeschlossener Bedeu-
tung sein wollen als im Norden.
Aus deutschem und italienischem Realismus mischte sich der Styl
des seligen Prediger-Laienbruders Jacob von Ulm (1407 — 1491),
welcher in S. Petronio zu Bologna das prächtige Fenster der 4. Cap.
rechts verfertigte (und vielleicht auch dasjenige der 4. Cap. links unter
seiner Leitung entstehen sah). Von den übrigen Fenstern dieser Kirche
ist dasjenige der 7. Cap. links (Cap. Bacciocchi) vorzüglich schön nach
dem energischen Entwurf des Lorenzo Costa gearbeitet; von ähn-
lichem Styl das der 5. Cap. links. Für dasjenige der 9. Cap. rechts
nimmt man einen Entwurf Michelangelo’s an; die Motive der ein-
zelnen Heiligen erinnern aber ganz direct an Bandinelli’s Relieffiguren
der Florentiner Chorschranken (S. 680, d); die Ausführung sehr reich-
farbig für diese späte Zeit. — Von Costa rührt in Bologna wohl ohne
Zweifel auch das Rundfenster von S. Giovanni in monte her. (Jo-
hannes auf Pathmos; die Nebenfenster geringer.) — In S. Giovanni
e Paolo zu Venedig gilt das grosse Fenster des rechten Quer-
schiffes als Composition des Bartol. Vivarini, ich weiss nicht mit
welcher Sicherheit. (Die Inschrift ist modern; die obere Figurenreihe
eher von V.’s Styl als die untere.)
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 856. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/878>, abgerufen am 18.12.2024.
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