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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Glasmalerei.

In Florenz ist das grosse Chorfenster von S. Maria novella, vona
Alessandro Fiorentino (etwa Sandro Botticelli?), aus dem Jahr
1491, nur von mittlerm Werthe; dagegen kann das Glasgemälde der
nächst anstossenden Cap. Strozzi das beste von Florenz heissen; es
scheint mit sammt den Fresken von Filippino Lippi componirt. --
Einige gute kleinere Arbeiten auch in S. Spirito, in der Cap. de'b
Pazzi bei S. Croce, in S. Francesco al monte, in S. Lorenzo etc., vonc
einem kenntlichen gemeinsamen Typus, welcher die Composition eines
Florentiners und die Ausführung eines Nordländers zu verrathen scheint.

Lucca besitzt in den herrlichen Chorfenstern des Domes vielleichtd
das Beste dieser ganzen Richtung; sie erinnern am Meisten an die
Fenster der Cap. Strozzi. Auch die übrigen Glasgemälde dieses Do-
mes sind von den bessern. -- In S. Paolino einiges Gute in der Arte
der oben (diese Seite: b, c) genannten, etwa um das Jahr 1530. -- Im
Baptisterium bei S. Giovanni das Rundfenster mit der Gestalt desf
Täufers, erst vom Jahr 1572.

In Arezzo sind die schönen Glasgemälde der Annunziata nochg
aus dem XV. Jahrh.; im Dom aber begegnet man dem namhaftestenh
Glasmaler der rafaelischen Zeit, Wilhelm von Marseille. Es ist
derselbe, welcher zu Rom die beiden Seitenfenster des Chores voni
S. M. del popolo mit Geschichten Christi und der Maria schmückte,
-- damals, unter Julius II, wahrscheinlich nach Compositionen eines
tüchtigen umbrischen Meisters. Später, im Dom von Arezzo mag er
andern Vorlagen oder seiner eigenen Erfindung gefolgt sein; genug,
sein Styl ist hier im Ganzen derselbe, welcher die damals in Italien
arbeitenden Niederländer charakterisirt. Die Grenzen der Gattung,
welche sich möglichst einer architektonischen Ruhe zu befleissigen hat
-- nicht nur um nicht mit dem Stabwerk gothischer Fenster zu col-
lidiren, sondern um nicht zu ihrer ungeheuern Farbengewalt noch
andere verwirrende Eindrücke zu häufen -- diese Grenzen sind hier,
wie so oft in der Glasmalerei des XVI. Jahrh. völlig verkannt; es
sind Gemälde auf Glas übertragen 1).

1) Im mittlern Fenster der Fassade der Anima zu Rom soll noch eine Madonna*
von Wilhelm vorhanden sein.
Glasmalerei.

In Florenz ist das grosse Chorfenster von S. Maria novella, vona
Alessandro Fiorentino (etwa Sandro Botticelli?), aus dem Jahr
1491, nur von mittlerm Werthe; dagegen kann das Glasgemälde der
nächst anstossenden Cap. Strozzi das beste von Florenz heissen; es
scheint mit sammt den Fresken von Filippino Lippi componirt. —
Einige gute kleinere Arbeiten auch in S. Spirito, in der Cap. de’b
Pazzi bei S. Croce, in S. Francesco al monte, in S. Lorenzo etc., vonc
einem kenntlichen gemeinsamen Typus, welcher die Composition eines
Florentiners und die Ausführung eines Nordländers zu verrathen scheint.

Lucca besitzt in den herrlichen Chorfenstern des Domes vielleichtd
das Beste dieser ganzen Richtung; sie erinnern am Meisten an die
Fenster der Cap. Strozzi. Auch die übrigen Glasgemälde dieses Do-
mes sind von den bessern. — In S. Paolino einiges Gute in der Arte
der oben (diese Seite: b, c) genannten, etwa um das Jahr 1530. — Im
Baptisterium bei S. Giovanni das Rundfenster mit der Gestalt desf
Täufers, erst vom Jahr 1572.

In Arezzo sind die schönen Glasgemälde der Annunziata nochg
aus dem XV. Jahrh.; im Dom aber begegnet man dem namhaftestenh
Glasmaler der rafaelischen Zeit, Wilhelm von Marseille. Es ist
derselbe, welcher zu Rom die beiden Seitenfenster des Chores voni
S. M. del popolo mit Geschichten Christi und der Maria schmückte,
— damals, unter Julius II, wahrscheinlich nach Compositionen eines
tüchtigen umbrischen Meisters. Später, im Dom von Arezzo mag er
andern Vorlagen oder seiner eigenen Erfindung gefolgt sein; genug,
sein Styl ist hier im Ganzen derselbe, welcher die damals in Italien
arbeitenden Niederländer charakterisirt. Die Grenzen der Gattung,
welche sich möglichst einer architektonischen Ruhe zu befleissigen hat
— nicht nur um nicht mit dem Stabwerk gothischer Fenster zu col-
lidiren, sondern um nicht zu ihrer ungeheuern Farbengewalt noch
andere verwirrende Eindrücke zu häufen — diese Grenzen sind hier,
wie so oft in der Glasmalerei des XVI. Jahrh. völlig verkannt; es
sind Gemälde auf Glas übertragen 1).

1) Im mittlern Fenster der Fassade der Anima zu Rom soll noch eine Madonna*
von Wilhelm vorhanden sein.
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[857/0879] Glasmalerei. In Florenz ist das grosse Chorfenster von S. Maria novella, von Alessandro Fiorentino (etwa Sandro Botticelli?), aus dem Jahr 1491, nur von mittlerm Werthe; dagegen kann das Glasgemälde der nächst anstossenden Cap. Strozzi das beste von Florenz heissen; es scheint mit sammt den Fresken von Filippino Lippi componirt. — Einige gute kleinere Arbeiten auch in S. Spirito, in der Cap. de’ Pazzi bei S. Croce, in S. Francesco al monte, in S. Lorenzo etc., von einem kenntlichen gemeinsamen Typus, welcher die Composition eines Florentiners und die Ausführung eines Nordländers zu verrathen scheint. a b c Lucca besitzt in den herrlichen Chorfenstern des Domes vielleicht das Beste dieser ganzen Richtung; sie erinnern am Meisten an die Fenster der Cap. Strozzi. Auch die übrigen Glasgemälde dieses Do- mes sind von den bessern. — In S. Paolino einiges Gute in der Art der oben (diese Seite: b, c) genannten, etwa um das Jahr 1530. — Im Baptisterium bei S. Giovanni das Rundfenster mit der Gestalt des Täufers, erst vom Jahr 1572. d e f In Arezzo sind die schönen Glasgemälde der Annunziata noch aus dem XV. Jahrh.; im Dom aber begegnet man dem namhaftesten Glasmaler der rafaelischen Zeit, Wilhelm von Marseille. Es ist derselbe, welcher zu Rom die beiden Seitenfenster des Chores von S. M. del popolo mit Geschichten Christi und der Maria schmückte, — damals, unter Julius II, wahrscheinlich nach Compositionen eines tüchtigen umbrischen Meisters. Später, im Dom von Arezzo mag er andern Vorlagen oder seiner eigenen Erfindung gefolgt sein; genug, sein Styl ist hier im Ganzen derselbe, welcher die damals in Italien arbeitenden Niederländer charakterisirt. Die Grenzen der Gattung, welche sich möglichst einer architektonischen Ruhe zu befleissigen hat — nicht nur um nicht mit dem Stabwerk gothischer Fenster zu col- lidiren, sondern um nicht zu ihrer ungeheuern Farbengewalt noch andere verwirrende Eindrücke zu häufen — diese Grenzen sind hier, wie so oft in der Glasmalerei des XVI. Jahrh. völlig verkannt; es sind Gemälde auf Glas übertragen 1). g h i 1) Im mittlern Fenster der Fassade der Anima zu Rom soll noch eine Madonna von Wilhelm vorhanden sein.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 857. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/879>, abgerufen am 17.06.2024.