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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Altniederländische und altdeutsche Meister.

Endlich die deutschen Meister der Blüthezeit. Auch sie müssen
schon hier erwähnt werden, weil sie in der Entwicklung nur mit den
grossen Italienern des XV. Jahrh. parallel gehen.

Von Albrecht Dürer bleibt selbst nach Abzug aller falschen
Taufen auf "Alberto Duro" noch eine ganze Reihe echter Bilder
aübrig. Dieselbe beginnt mit dem Porträt seines Vaters in den Uffi-
zien, und fährt fort mit seinem eigenen phantastisch costumirten Por-
trät (ebenda, 1498). Dann folgt ein Meisterbild seiner mittlern Zeit,
die Anbetung der Könige (Tribuna ebenda, 1504) und eine vortreff-
liche, grün ausgeführte, weiss aufgehöhte Zeichnung der Kreuzigung
(1505, ebenda, im vierten Zimmer von der Tribuna rechts, mit einem
von Breughel bemalten Deckel verschlossen). -- Ein Denkmal seines
bAufenthaltes in Venedig 1506 ist der Christus unter den Schriftgelehr-
ten, ein stellenweise wahrhaft venezianisches, zum Theil aber auch
ganz barockes Halbfigurenbild, im Pal. Barberini zu Rom. (Beiläufig:
cman suche unter den 1502--1511 von Carpaccio ausgeführten Malereien
in der Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni zu Venedig das Bild des
heil. Hieronymus im Studirzimmer, und vergleiche es mit Dürers be-
rühmtem Stich vom Jahr 1514, um zu sehen, wie vielleicht das Be-
fangene zum Unvergänglichen angeregt hat.) Aus der spätern Zeit
dsind die beiden Apostelköpfe der Uffizien (1516, in Tempera), welche
zwar Dürers ganze Energie, aber noch nicht den hohen Schwung be-
kunden, der seinem letzten Werke, dem Vierapostelbilde in München,
evorbehalten war. Die lebensgrossen Bilder von Adam und Eva (Pal.
Pitti), welche um dieselbe Zeit gemalt sein können, wenn sie wirklich
von Dürer sind, zeigen als Akte eine wenigstens nicht unschöne Bil-
fdung. Sein spätestes in Italien vorhandenes Werk, die Madonna vom
Jahr 1526 in den Uffizien, ist schon vom Geiste der eindringenden
Reformation berührt, ohne Glorie und Schmuck, herb, häuslich.

Diese Werke hängen zum Theil in denselben Sälen, welche Ra-
fael, Tizian und Coreggio beherbergen. Soll man ihnen durchaus nur
auf historischem Wege gerecht werden, sie gleichsam nur "entschul-
digen" können? Jedenfalls würde Dürer, Arbeit gegen Arbeit ge-
halten, neben Rafael kaum verlieren; die wenn auch nur relative
Belebung und Befreiung, welche die deutsche Kunst (allerdings zu
spät!) ihm verdankte, war ein Unermessliches, das ohne die lebens-

Altniederländische und altdeutsche Meister.

Endlich die deutschen Meister der Blüthezeit. Auch sie müssen
schon hier erwähnt werden, weil sie in der Entwicklung nur mit den
grossen Italienern des XV. Jahrh. parallel gehen.

Von Albrecht Dürer bleibt selbst nach Abzug aller falschen
Taufen auf „Alberto Duro“ noch eine ganze Reihe echter Bilder
aübrig. Dieselbe beginnt mit dem Porträt seines Vaters in den Uffi-
zien, und fährt fort mit seinem eigenen phantastisch costumirten Por-
trät (ebenda, 1498). Dann folgt ein Meisterbild seiner mittlern Zeit,
die Anbetung der Könige (Tribuna ebenda, 1504) und eine vortreff-
liche, grün ausgeführte, weiss aufgehöhte Zeichnung der Kreuzigung
(1505, ebenda, im vierten Zimmer von der Tribuna rechts, mit einem
von Breughel bemalten Deckel verschlossen). — Ein Denkmal seines
bAufenthaltes in Venedig 1506 ist der Christus unter den Schriftgelehr-
ten, ein stellenweise wahrhaft venezianisches, zum Theil aber auch
ganz barockes Halbfigurenbild, im Pal. Barberini zu Rom. (Beiläufig:
cman suche unter den 1502—1511 von Carpaccio ausgeführten Malereien
in der Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni zu Venedig das Bild des
heil. Hieronymus im Studirzimmer, und vergleiche es mit Dürers be-
rühmtem Stich vom Jahr 1514, um zu sehen, wie vielleicht das Be-
fangene zum Unvergänglichen angeregt hat.) Aus der spätern Zeit
dsind die beiden Apostelköpfe der Uffizien (1516, in Tempera), welche
zwar Dürers ganze Energie, aber noch nicht den hohen Schwung be-
kunden, der seinem letzten Werke, dem Vierapostelbilde in München,
evorbehalten war. Die lebensgrossen Bilder von Adam und Eva (Pal.
Pitti), welche um dieselbe Zeit gemalt sein können, wenn sie wirklich
von Dürer sind, zeigen als Akte eine wenigstens nicht unschöne Bil-
fdung. Sein spätestes in Italien vorhandenes Werk, die Madonna vom
Jahr 1526 in den Uffizien, ist schon vom Geiste der eindringenden
Reformation berührt, ohne Glorie und Schmuck, herb, häuslich.

Diese Werke hängen zum Theil in denselben Sälen, welche Ra-
fael, Tizian und Coreggio beherbergen. Soll man ihnen durchaus nur
auf historischem Wege gerecht werden, sie gleichsam nur „entschul-
digen“ können? Jedenfalls würde Dürer, Arbeit gegen Arbeit ge-
halten, neben Rafael kaum verlieren; die wenn auch nur relative
Belebung und Befreiung, welche die deutsche Kunst (allerdings zu
spät!) ihm verdankte, war ein Unermessliches, das ohne die lebens-

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[852/0874] Altniederländische und altdeutsche Meister. Endlich die deutschen Meister der Blüthezeit. Auch sie müssen schon hier erwähnt werden, weil sie in der Entwicklung nur mit den grossen Italienern des XV. Jahrh. parallel gehen. Von Albrecht Dürer bleibt selbst nach Abzug aller falschen Taufen auf „Alberto Duro“ noch eine ganze Reihe echter Bilder übrig. Dieselbe beginnt mit dem Porträt seines Vaters in den Uffi- zien, und fährt fort mit seinem eigenen phantastisch costumirten Por- trät (ebenda, 1498). Dann folgt ein Meisterbild seiner mittlern Zeit, die Anbetung der Könige (Tribuna ebenda, 1504) und eine vortreff- liche, grün ausgeführte, weiss aufgehöhte Zeichnung der Kreuzigung (1505, ebenda, im vierten Zimmer von der Tribuna rechts, mit einem von Breughel bemalten Deckel verschlossen). — Ein Denkmal seines Aufenthaltes in Venedig 1506 ist der Christus unter den Schriftgelehr- ten, ein stellenweise wahrhaft venezianisches, zum Theil aber auch ganz barockes Halbfigurenbild, im Pal. Barberini zu Rom. (Beiläufig: man suche unter den 1502—1511 von Carpaccio ausgeführten Malereien in der Scuola di S. Giorgio degli Schiavoni zu Venedig das Bild des heil. Hieronymus im Studirzimmer, und vergleiche es mit Dürers be- rühmtem Stich vom Jahr 1514, um zu sehen, wie vielleicht das Be- fangene zum Unvergänglichen angeregt hat.) Aus der spätern Zeit sind die beiden Apostelköpfe der Uffizien (1516, in Tempera), welche zwar Dürers ganze Energie, aber noch nicht den hohen Schwung be- kunden, der seinem letzten Werke, dem Vierapostelbilde in München, vorbehalten war. Die lebensgrossen Bilder von Adam und Eva (Pal. Pitti), welche um dieselbe Zeit gemalt sein können, wenn sie wirklich von Dürer sind, zeigen als Akte eine wenigstens nicht unschöne Bil- dung. Sein spätestes in Italien vorhandenes Werk, die Madonna vom Jahr 1526 in den Uffizien, ist schon vom Geiste der eindringenden Reformation berührt, ohne Glorie und Schmuck, herb, häuslich. a b c d e f Diese Werke hängen zum Theil in denselben Sälen, welche Ra- fael, Tizian und Coreggio beherbergen. Soll man ihnen durchaus nur auf historischem Wege gerecht werden, sie gleichsam nur „entschul- digen“ können? Jedenfalls würde Dürer, Arbeit gegen Arbeit ge- halten, neben Rafael kaum verlieren; die wenn auch nur relative Belebung und Befreiung, welche die deutsche Kunst (allerdings zu spät!) ihm verdankte, war ein Unermessliches, das ohne die lebens-

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 852. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/874>, abgerufen am 17.06.2024.