Von Deutschen des XV. Jahrh. ist in Italien wenig vorhan- den. Ihre Werke boten gerade das was man an den Flandrern am meisten bewunderte, nur unvollkommen, nur aus zweiter Hand dar, nämlich die feine, prächtige Vollendung, die Farbengluth, das Welt- bild im Kleinen. Doch giebt es im Museum von Neapel mehrere (jetzta getrennte) Flügelbilder, u. a. Anbetungen der Könige, deren eine von Michel Wohlgemuth herrührt. Es ist etwas Rührendes um diese blonden, haltungslosen Gesellen in ihrem königlichen Putz, wenn man sich dabei an das entschiedene Wollen und Können der gleichzeitigen Italiener erinnert. Eine besondere Andacht sind wir aber der deut- schen Schule des XV. Jahrh. doch nicht schuldig. Sie verharrte bei ihren Mängeln mit einer Seelenruhe, die nicht ganz ehrlich gewesen sein kann. Da es ihr zu unbequem war, das Geistige im Leiblichen, die Seelenäusserung in der Körperbewegung darstellen zu lernen, so ergab sich ein grosser Überschuss an unverwendbarer Phantasie, die sich dann auf das Verzwickte und Verwunderliche warf. Man sieht z. B. in den Uffizien eine Auferweckung des Lazarus mit Seitenbildernb und (bessern) Aussenbildern, datirt 1461, von einem Nicol. Fru- menti, in welchem irgend ein Meister Korn aus der Umgebung der Colmarer Schule zu vermuthen ist. Wer gab nun diesem (gar nicht ungeschickten) Maler das Recht zu seinen abscheulichen Grimassen? Die Lebenszeit Dürers und Holbeins, die den festen und grossen Wil- len zu Gunsten der Wahrheit hatten, ging dann besserntheils mit dem Kampf gegen solche und ähnliche Manieren dahin.
Es ist Zeit zu diesen grossen Meistern vom Anfang des XVI. Jahrh. überzugehen. Italien besitzt auch aus dieser Zeit der nordi- schen Kunst beträchtliche Schätze.
Zunächst von dem bedeutendsten niederländischen Meister um 1500, Quentin Messys. In S. Donato zu Genua (zu Anfang desc linken Seitenschiffes) eins seiner Capitalwerke: reiche Anbetung der Könige, auf den Seitenflügeln S. Stephan mit einem Donator und S. Magdalena, mit landschaftlichem Hintergrund in der Art Patenier's. Hier wie bei Messys überhaupt löst sich die Strenge der alten Nie- derländer in eine milde Anmuth der Züge und der Bewegung auf; die Köpfe, wie von einem Bann erlöst, blass, mit dem Lächeln der Genesung; die Farben, befreit von dem Crystallglanz der Frühern,
B. Cicerone. 54
Rogier. Memling. Wohlgemuth. Q. Messys.
Von Deutschen des XV. Jahrh. ist in Italien wenig vorhan- den. Ihre Werke boten gerade das was man an den Flandrern am meisten bewunderte, nur unvollkommen, nur aus zweiter Hand dar, nämlich die feine, prächtige Vollendung, die Farbengluth, das Welt- bild im Kleinen. Doch giebt es im Museum von Neapel mehrere (jetzta getrennte) Flügelbilder, u. a. Anbetungen der Könige, deren eine von Michel Wohlgemuth herrührt. Es ist etwas Rührendes um diese blonden, haltungslosen Gesellen in ihrem königlichen Putz, wenn man sich dabei an das entschiedene Wollen und Können der gleichzeitigen Italiener erinnert. Eine besondere Andacht sind wir aber der deut- schen Schule des XV. Jahrh. doch nicht schuldig. Sie verharrte bei ihren Mängeln mit einer Seelenruhe, die nicht ganz ehrlich gewesen sein kann. Da es ihr zu unbequem war, das Geistige im Leiblichen, die Seelenäusserung in der Körperbewegung darstellen zu lernen, so ergab sich ein grosser Überschuss an unverwendbarer Phantasie, die sich dann auf das Verzwickte und Verwunderliche warf. Man sieht z. B. in den Uffizien eine Auferweckung des Lazarus mit Seitenbildernb und (bessern) Aussenbildern, datirt 1461, von einem Nicol. Fru- menti, in welchem irgend ein Meister Korn aus der Umgebung der Colmarer Schule zu vermuthen ist. Wer gab nun diesem (gar nicht ungeschickten) Maler das Recht zu seinen abscheulichen Grimassen? Die Lebenszeit Dürers und Holbeins, die den festen und grossen Wil- len zu Gunsten der Wahrheit hatten, ging dann besserntheils mit dem Kampf gegen solche und ähnliche Manieren dahin.
Es ist Zeit zu diesen grossen Meistern vom Anfang des XVI. Jahrh. überzugehen. Italien besitzt auch aus dieser Zeit der nordi- schen Kunst beträchtliche Schätze.
Zunächst von dem bedeutendsten niederländischen Meister um 1500, Quentin Messys. In S. Donato zu Genua (zu Anfang desc linken Seitenschiffes) eins seiner Capitalwerke: reiche Anbetung der Könige, auf den Seitenflügeln S. Stephan mit einem Donator und S. Magdalena, mit landschaftlichem Hintergrund in der Art Patenier’s. Hier wie bei Messys überhaupt löst sich die Strenge der alten Nie- derländer in eine milde Anmuth der Züge und der Bewegung auf; die Köpfe, wie von einem Bann erlöst, blass, mit dem Lächeln der Genesung; die Farben, befreit von dem Crystallglanz der Frühern,
B. Cicerone. 54
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0871"n="849"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Rogier. Memling. Wohlgemuth. Q. Messys.</hi></fw><lb/><p>Von <hirendition="#g">Deutschen des XV. Jahrh</hi>. ist in Italien wenig vorhan-<lb/>
den. Ihre Werke boten gerade das was man an den Flandrern am<lb/>
meisten bewunderte, nur unvollkommen, nur aus zweiter Hand dar,<lb/>
nämlich die feine, prächtige Vollendung, die Farbengluth, das Welt-<lb/>
bild im Kleinen. Doch giebt es im Museum von Neapel mehrere (jetzt<noteplace="right">a</note><lb/>
getrennte) Flügelbilder, u. a. Anbetungen der Könige, deren eine von<lb/><hirendition="#g">Michel Wohlgemuth</hi> herrührt. Es ist etwas Rührendes um diese<lb/>
blonden, haltungslosen Gesellen in ihrem königlichen Putz, wenn man<lb/>
sich dabei an das entschiedene Wollen und Können der gleichzeitigen<lb/>
Italiener erinnert. Eine besondere Andacht sind wir aber der deut-<lb/>
schen Schule des XV. Jahrh. doch nicht schuldig. Sie verharrte bei<lb/>
ihren Mängeln mit einer Seelenruhe, die nicht ganz ehrlich gewesen<lb/>
sein kann. Da es ihr zu unbequem war, das Geistige im Leiblichen,<lb/>
die Seelenäusserung in der Körperbewegung darstellen zu lernen, so<lb/>
ergab sich ein grosser Überschuss an unverwendbarer Phantasie, die<lb/>
sich dann auf das Verzwickte und Verwunderliche warf. Man sieht<lb/>
z. B. in den Uffizien eine Auferweckung des Lazarus mit Seitenbildern<noteplace="right">b</note><lb/>
und (bessern) Aussenbildern, datirt 1461, von einem <hirendition="#g">Nicol. Fru-<lb/>
menti</hi>, in welchem irgend ein Meister Korn aus der Umgebung der<lb/>
Colmarer Schule zu vermuthen ist. Wer gab nun diesem (gar nicht<lb/>
ungeschickten) Maler das Recht zu seinen abscheulichen Grimassen?<lb/>
Die Lebenszeit Dürers und Holbeins, die den festen und grossen Wil-<lb/>
len zu Gunsten der Wahrheit hatten, ging dann besserntheils mit dem<lb/>
Kampf gegen solche und ähnliche Manieren dahin.</p><lb/><p>Es ist Zeit zu diesen grossen Meistern vom Anfang des XVI.<lb/>
Jahrh. überzugehen. Italien besitzt auch aus dieser Zeit der nordi-<lb/>
schen Kunst beträchtliche Schätze.</p><lb/><p>Zunächst von dem bedeutendsten niederländischen Meister um<lb/>
1500, <hirendition="#g">Quentin Messys</hi>. In S. Donato zu Genua (zu Anfang des<noteplace="right">c</note><lb/>
linken Seitenschiffes) eins seiner Capitalwerke: reiche Anbetung der<lb/>
Könige, auf den Seitenflügeln S. Stephan mit einem Donator und S.<lb/>
Magdalena, mit landschaftlichem Hintergrund in der Art Patenier’s.<lb/>
Hier wie bei Messys überhaupt löst sich die Strenge der alten Nie-<lb/>
derländer in eine milde Anmuth der Züge und der Bewegung auf;<lb/>
die Köpfe, wie von einem Bann erlöst, blass, mit dem Lächeln der<lb/>
Genesung; die Farben, befreit von dem Crystallglanz der Frühern,<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#i">B. Cicerone.</hi> 54</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[849/0871]
Rogier. Memling. Wohlgemuth. Q. Messys.
Von Deutschen des XV. Jahrh. ist in Italien wenig vorhan-
den. Ihre Werke boten gerade das was man an den Flandrern am
meisten bewunderte, nur unvollkommen, nur aus zweiter Hand dar,
nämlich die feine, prächtige Vollendung, die Farbengluth, das Welt-
bild im Kleinen. Doch giebt es im Museum von Neapel mehrere (jetzt
getrennte) Flügelbilder, u. a. Anbetungen der Könige, deren eine von
Michel Wohlgemuth herrührt. Es ist etwas Rührendes um diese
blonden, haltungslosen Gesellen in ihrem königlichen Putz, wenn man
sich dabei an das entschiedene Wollen und Können der gleichzeitigen
Italiener erinnert. Eine besondere Andacht sind wir aber der deut-
schen Schule des XV. Jahrh. doch nicht schuldig. Sie verharrte bei
ihren Mängeln mit einer Seelenruhe, die nicht ganz ehrlich gewesen
sein kann. Da es ihr zu unbequem war, das Geistige im Leiblichen,
die Seelenäusserung in der Körperbewegung darstellen zu lernen, so
ergab sich ein grosser Überschuss an unverwendbarer Phantasie, die
sich dann auf das Verzwickte und Verwunderliche warf. Man sieht
z. B. in den Uffizien eine Auferweckung des Lazarus mit Seitenbildern
und (bessern) Aussenbildern, datirt 1461, von einem Nicol. Fru-
menti, in welchem irgend ein Meister Korn aus der Umgebung der
Colmarer Schule zu vermuthen ist. Wer gab nun diesem (gar nicht
ungeschickten) Maler das Recht zu seinen abscheulichen Grimassen?
Die Lebenszeit Dürers und Holbeins, die den festen und grossen Wil-
len zu Gunsten der Wahrheit hatten, ging dann besserntheils mit dem
Kampf gegen solche und ähnliche Manieren dahin.
a
b
Es ist Zeit zu diesen grossen Meistern vom Anfang des XVI.
Jahrh. überzugehen. Italien besitzt auch aus dieser Zeit der nordi-
schen Kunst beträchtliche Schätze.
Zunächst von dem bedeutendsten niederländischen Meister um
1500, Quentin Messys. In S. Donato zu Genua (zu Anfang des
linken Seitenschiffes) eins seiner Capitalwerke: reiche Anbetung der
Könige, auf den Seitenflügeln S. Stephan mit einem Donator und S.
Magdalena, mit landschaftlichem Hintergrund in der Art Patenier’s.
Hier wie bei Messys überhaupt löst sich die Strenge der alten Nie-
derländer in eine milde Anmuth der Züge und der Bewegung auf;
die Köpfe, wie von einem Bann erlöst, blass, mit dem Lächeln der
Genesung; die Farben, befreit von dem Crystallglanz der Frühern,
c
B. Cicerone. 54
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 849. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/871>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.