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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Flandrer. J. v. Gent. H. v. d. Goes.
Ernst. Zur Zeit Michelangelo's galten die niederländischen Bilder für
"frömmer" als die italienischen.

Die nächsten und die mittelbaren Schüler der van Eyck sind in
Italien zum Theil vorzüglich vertreten.

Von Justus von Gent das Hauptwerk in S. Agata zu Urbino,a
die Einsetzung des Abendmahls, 1474. (Der Justus de Allamagna,
welcher 1451 im Kreuzgang von S. Maria di Castello zu Genua, nächstb
der Kirche, eine grosse Verkündigung in Fresco malte, ist ein an-
derer, wahrscheinlich oberdeutscher Meister jener Zeit, wie bes. die
liebliche, reich-blonde Madonna zeigt. Die Rundbilder mit Propheten
und Sibyllen am Gewölbe scheinen von einer härtern, ebenfalls deut-
schen Hand herzurühren.)

Das bedeutendste Werk des Hugo van der Goes ist in S.
Maria la nuova zu Florenz an verschiedene Stellen vertheilt vor-c
handen: eine grosse Anbetung des Kindes durch Hirten und Engel;
auf den Flügelbildern der Donator mit seinen Söhnen und zwei Schutz-
heiligen; seine Gemahlin mit einer Tochter und zwei weiblichen Hei-
ligen. Maria und die Engel zeigen Hugo's bekümmerten und doch
nicht reizlosen Typus, die Seitenbilder aber die ganze ergreifende
flandrische Individualistik. Hier und an ähnlichen Bildern mögen die
alten Florentiner die Porträtkunst gelernt haben. -- In den Uffiziend
gehört dem Hugo, wie ich glaube, das herrliche kleine Bild einer
thronenden Madonna mit 2 Engeln, unter einem prächtig verzierten
Renaissancebogen. (Dem Memling beigelegt.) Keine damalige italie-
nische Schule verfolgte gerade diese Intention, keine hätte ein so
leuchtend schönes und zartes Tafelbild geliefert. Mehrere geringere
Nachahmungen, z. B. in der Galerie Manfrin zu Venedig, wo siche
übrigens auch eine treffliche kleine Verkündigung findet, die mir wie
eine Inspiration Hugo's mit der Ausführung eines niederrheinischen
Malers erschien. -- In den Uffizien wird eine thronende Madonna mitf
2 heiligen Frauen und 2 krönenden Engeln dem Hugo wirklich bei-
gelegt, welche eher einem andern Niederländer um 1500 gehören
könnte. Dagegen steht ihm der Maler eines köstlichen kleinen Bildes
vom Tode der Maria in der Galerie Sciarra zu Rom sehr nahe, wenng
dasselbe nicht von ihm selbst ist. Die verkommenen und verdriess-
lichen Züge der meisten Anwesenden gehen freilich schon über die

Flandrer. J. v. Gent. H. v. d. Goes.
Ernst. Zur Zeit Michelangelo’s galten die niederländischen Bilder für
„frömmer“ als die italienischen.

Die nächsten und die mittelbaren Schüler der van Eyck sind in
Italien zum Theil vorzüglich vertreten.

Von Justus von Gent das Hauptwerk in S. Agata zu Urbino,a
die Einsetzung des Abendmahls, 1474. (Der Justus de Allamagna,
welcher 1451 im Kreuzgang von S. Maria di Castello zu Genua, nächstb
der Kirche, eine grosse Verkündigung in Fresco malte, ist ein an-
derer, wahrscheinlich oberdeutscher Meister jener Zeit, wie bes. die
liebliche, reich-blonde Madonna zeigt. Die Rundbilder mit Propheten
und Sibyllen am Gewölbe scheinen von einer härtern, ebenfalls deut-
schen Hand herzurühren.)

Das bedeutendste Werk des Hugo van der Goes ist in S.
Maria la nuova zu Florenz an verschiedene Stellen vertheilt vor-c
handen: eine grosse Anbetung des Kindes durch Hirten und Engel;
auf den Flügelbildern der Donator mit seinen Söhnen und zwei Schutz-
heiligen; seine Gemahlin mit einer Tochter und zwei weiblichen Hei-
ligen. Maria und die Engel zeigen Hugo’s bekümmerten und doch
nicht reizlosen Typus, die Seitenbilder aber die ganze ergreifende
flandrische Individualistik. Hier und an ähnlichen Bildern mögen die
alten Florentiner die Porträtkunst gelernt haben. — In den Uffiziend
gehört dem Hugo, wie ich glaube, das herrliche kleine Bild einer
thronenden Madonna mit 2 Engeln, unter einem prächtig verzierten
Renaissancebogen. (Dem Memling beigelegt.) Keine damalige italie-
nische Schule verfolgte gerade diese Intention, keine hätte ein so
leuchtend schönes und zartes Tafelbild geliefert. Mehrere geringere
Nachahmungen, z. B. in der Galerie Manfrin zu Venedig, wo siche
übrigens auch eine treffliche kleine Verkündigung findet, die mir wie
eine Inspiration Hugo’s mit der Ausführung eines niederrheinischen
Malers erschien. — In den Uffizien wird eine thronende Madonna mitf
2 heiligen Frauen und 2 krönenden Engeln dem Hugo wirklich bei-
gelegt, welche eher einem andern Niederländer um 1500 gehören
könnte. Dagegen steht ihm der Maler eines köstlichen kleinen Bildes
vom Tode der Maria in der Galerie Sciarra zu Rom sehr nahe, wenng
dasselbe nicht von ihm selbst ist. Die verkommenen und verdriess-
lichen Züge der meisten Anwesenden gehen freilich schon über die

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[847/0869] Flandrer. J. v. Gent. H. v. d. Goes. Ernst. Zur Zeit Michelangelo’s galten die niederländischen Bilder für „frömmer“ als die italienischen. Die nächsten und die mittelbaren Schüler der van Eyck sind in Italien zum Theil vorzüglich vertreten. Von Justus von Gent das Hauptwerk in S. Agata zu Urbino, die Einsetzung des Abendmahls, 1474. (Der Justus de Allamagna, welcher 1451 im Kreuzgang von S. Maria di Castello zu Genua, nächst der Kirche, eine grosse Verkündigung in Fresco malte, ist ein an- derer, wahrscheinlich oberdeutscher Meister jener Zeit, wie bes. die liebliche, reich-blonde Madonna zeigt. Die Rundbilder mit Propheten und Sibyllen am Gewölbe scheinen von einer härtern, ebenfalls deut- schen Hand herzurühren.) a b Das bedeutendste Werk des Hugo van der Goes ist in S. Maria la nuova zu Florenz an verschiedene Stellen vertheilt vor- handen: eine grosse Anbetung des Kindes durch Hirten und Engel; auf den Flügelbildern der Donator mit seinen Söhnen und zwei Schutz- heiligen; seine Gemahlin mit einer Tochter und zwei weiblichen Hei- ligen. Maria und die Engel zeigen Hugo’s bekümmerten und doch nicht reizlosen Typus, die Seitenbilder aber die ganze ergreifende flandrische Individualistik. Hier und an ähnlichen Bildern mögen die alten Florentiner die Porträtkunst gelernt haben. — In den Uffizien gehört dem Hugo, wie ich glaube, das herrliche kleine Bild einer thronenden Madonna mit 2 Engeln, unter einem prächtig verzierten Renaissancebogen. (Dem Memling beigelegt.) Keine damalige italie- nische Schule verfolgte gerade diese Intention, keine hätte ein so leuchtend schönes und zartes Tafelbild geliefert. Mehrere geringere Nachahmungen, z. B. in der Galerie Manfrin zu Venedig, wo sich übrigens auch eine treffliche kleine Verkündigung findet, die mir wie eine Inspiration Hugo’s mit der Ausführung eines niederrheinischen Malers erschien. — In den Uffizien wird eine thronende Madonna mit 2 heiligen Frauen und 2 krönenden Engeln dem Hugo wirklich bei- gelegt, welche eher einem andern Niederländer um 1500 gehören könnte. Dagegen steht ihm der Maler eines köstlichen kleinen Bildes vom Tode der Maria in der Galerie Sciarra zu Rom sehr nahe, wenn dasselbe nicht von ihm selbst ist. Die verkommenen und verdriess- lichen Züge der meisten Anwesenden gehen freilich schon über die c d e f g

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 847. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/869>, abgerufen am 17.06.2024.