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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Altniederländische und altdeutsche Meister.
Jahrzehnd früher bethätigt als Masaccio. Schon bei Lebzeiten der
beiden Brüder scheinen einige jener Bilder nach Neapel gelangt zu
sein, welche dann auf die dortige Schule einen so grossen Einfluss
aausübten. Der heil. Hieronymus mit dem Löwen in seiner höchst
wirklichkeitsgemäss dargestellten Studirstube (Museum von Neapel)
ist in neuerer Zeit als eines der überaus seltenen Werke des Hubert
van Eyck
anerkannt worden; möglicher Weise die frühste reali-
stische Production, welche überhaupt auf italienischem Boden vor-
handen war. Welches Staunen musste die Künstler Neapels ergreifen,
als sie die ersten ganz lebenswahr wiedergegebenen Figuren in einer
miniaturartig gewissenhaften Örtlichkeit vor sich sahen. Ein solcher
Fortschritt in die Wirklichkeit wäre schon an sich immer der popu-
lären Bewunderung sicher, auch ohne Huberts tiefen Ernst. (Die An-
bbetung der Könige in der Kirche des Castello nuovo, im Chor links,
ist in neuerer Zeit als das Werk eines spätern Nordländers unter
Lionardo's Einwirkung erkannt worden; früher galt sie als Werk des
Joh. v. Eyck.)

In der Folge war es dann zunächst die sog. Technik, die den
altflandrischen Bildern einen besondern Werth gab, d. h. jener tiefe
Lichtglanz der Farben, welcher selbst die prosaisch aufgefassten Cha-
raktere und Hergänge mit einem poetisch ergreifenden Zauber umhüllt.
Sobald als möglich lernte man den Niederländern das Verfahren ab.
Das neue Bindemittel, das Öl (und der nicht minder wesentliche Fir-
niss) war dabei lange nicht die Hauptsache; viel höhere Fragen des
Colorites (der Harmonie und der Contraste) mögen bei diesem Anlass
ganz im Stillen erledigt worden sein.

Ferner imponirte die delicate Vollendung, welche aus jedem guten
flandrischen Bild ein vollkommenes Juwel macht. Endlich gab die
flandrische Behandlung der Landschaft und der in Linien- und Luft-
perspective (verhältnissmässig) so vorzüglich wahren Architekturen
der italienischen Malerei einen geradezu entscheidenden Anstoss.

Für die Auffassung im Grossen gewährten die Niederländer den
Italienern nichts, was diese nicht aus eigenen Kräften schon gehabt
hätten, wenn auch in anderer Weise. Doch empfand man in den
Andachtsbildern der Erstern gar wohl den gleichmässigern, durch
kein (über den Gegenstand indifferentes) Schönheitsstreben beirrten

Altniederländische und altdeutsche Meister.
Jahrzehnd früher bethätigt als Masaccio. Schon bei Lebzeiten der
beiden Brüder scheinen einige jener Bilder nach Neapel gelangt zu
sein, welche dann auf die dortige Schule einen so grossen Einfluss
aausübten. Der heil. Hieronymus mit dem Löwen in seiner höchst
wirklichkeitsgemäss dargestellten Studirstube (Museum von Neapel)
ist in neuerer Zeit als eines der überaus seltenen Werke des Hubert
van Eyck
anerkannt worden; möglicher Weise die frühste reali-
stische Production, welche überhaupt auf italienischem Boden vor-
handen war. Welches Staunen musste die Künstler Neapels ergreifen,
als sie die ersten ganz lebenswahr wiedergegebenen Figuren in einer
miniaturartig gewissenhaften Örtlichkeit vor sich sahen. Ein solcher
Fortschritt in die Wirklichkeit wäre schon an sich immer der popu-
lären Bewunderung sicher, auch ohne Huberts tiefen Ernst. (Die An-
bbetung der Könige in der Kirche des Castello nuovo, im Chor links,
ist in neuerer Zeit als das Werk eines spätern Nordländers unter
Lionardo’s Einwirkung erkannt worden; früher galt sie als Werk des
Joh. v. Eyck.)

In der Folge war es dann zunächst die sog. Technik, die den
altflandrischen Bildern einen besondern Werth gab, d. h. jener tiefe
Lichtglanz der Farben, welcher selbst die prosaisch aufgefassten Cha-
raktere und Hergänge mit einem poetisch ergreifenden Zauber umhüllt.
Sobald als möglich lernte man den Niederländern das Verfahren ab.
Das neue Bindemittel, das Öl (und der nicht minder wesentliche Fir-
niss) war dabei lange nicht die Hauptsache; viel höhere Fragen des
Colorites (der Harmonie und der Contraste) mögen bei diesem Anlass
ganz im Stillen erledigt worden sein.

Ferner imponirte die delicate Vollendung, welche aus jedem guten
flandrischen Bild ein vollkommenes Juwel macht. Endlich gab die
flandrische Behandlung der Landschaft und der in Linien- und Luft-
perspective (verhältnissmässig) so vorzüglich wahren Architekturen
der italienischen Malerei einen geradezu entscheidenden Anstoss.

Für die Auffassung im Grossen gewährten die Niederländer den
Italienern nichts, was diese nicht aus eigenen Kräften schon gehabt
hätten, wenn auch in anderer Weise. Doch empfand man in den
Andachtsbildern der Erstern gar wohl den gleichmässigern, durch
kein (über den Gegenstand indifferentes) Schönheitsstreben beirrten

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[846/0868] Altniederländische und altdeutsche Meister. Jahrzehnd früher bethätigt als Masaccio. Schon bei Lebzeiten der beiden Brüder scheinen einige jener Bilder nach Neapel gelangt zu sein, welche dann auf die dortige Schule einen so grossen Einfluss ausübten. Der heil. Hieronymus mit dem Löwen in seiner höchst wirklichkeitsgemäss dargestellten Studirstube (Museum von Neapel) ist in neuerer Zeit als eines der überaus seltenen Werke des Hubert van Eyck anerkannt worden; möglicher Weise die frühste reali- stische Production, welche überhaupt auf italienischem Boden vor- handen war. Welches Staunen musste die Künstler Neapels ergreifen, als sie die ersten ganz lebenswahr wiedergegebenen Figuren in einer miniaturartig gewissenhaften Örtlichkeit vor sich sahen. Ein solcher Fortschritt in die Wirklichkeit wäre schon an sich immer der popu- lären Bewunderung sicher, auch ohne Huberts tiefen Ernst. (Die An- betung der Könige in der Kirche des Castello nuovo, im Chor links, ist in neuerer Zeit als das Werk eines spätern Nordländers unter Lionardo’s Einwirkung erkannt worden; früher galt sie als Werk des Joh. v. Eyck.) a b In der Folge war es dann zunächst die sog. Technik, die den altflandrischen Bildern einen besondern Werth gab, d. h. jener tiefe Lichtglanz der Farben, welcher selbst die prosaisch aufgefassten Cha- raktere und Hergänge mit einem poetisch ergreifenden Zauber umhüllt. Sobald als möglich lernte man den Niederländern das Verfahren ab. Das neue Bindemittel, das Öl (und der nicht minder wesentliche Fir- niss) war dabei lange nicht die Hauptsache; viel höhere Fragen des Colorites (der Harmonie und der Contraste) mögen bei diesem Anlass ganz im Stillen erledigt worden sein. Ferner imponirte die delicate Vollendung, welche aus jedem guten flandrischen Bild ein vollkommenes Juwel macht. Endlich gab die flandrische Behandlung der Landschaft und der in Linien- und Luft- perspective (verhältnissmässig) so vorzüglich wahren Architekturen der italienischen Malerei einen geradezu entscheidenden Anstoss. Für die Auffassung im Grossen gewährten die Niederländer den Italienern nichts, was diese nicht aus eigenen Kräften schon gehabt hätten, wenn auch in anderer Weise. Doch empfand man in den Andachtsbildern der Erstern gar wohl den gleichmässigern, durch kein (über den Gegenstand indifferentes) Schönheitsstreben beirrten

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 846. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/868>, abgerufen am 17.06.2024.