Dom. Ghirlandajo. Castagno. Verocchio. L. di Credi.
dem S. Thomas herabreichende Madonna, gute Bilder ohne höhere Eigenthümlichkeit.
Neben diesen grossen Bestrebungen, im Realismus ein höheres und schöneres Dasein darzustellen, trat auch ein übertreibendes Charakte- risiren auf. Andrea del Castagno's Bilder (Mitte des XV. Jahrh.) sind gemalte Donatello's, nur haltungsloser, zum Theil wüst renom- mistisch. (Academie; S. Croce, nach dem 5. Alt. r., Frescofigurena des h. Franz und Johannes d. T.; Dom, vgl. S. 804, f.) -- Antonio Pollajuolo vereinigt eine ähnliche Schärfe wenigstens mit präch- tiger Ausführung. (Uffizien; die Bilder aus der Cap. S. Sebastianob sollen sich jetzt im Pal. Pucci befinden.) -- Auch Andrea Veroc-c chio, der Lehrer Lionardo's, ist in dem fast einzigen noch vorhande- nen Bilde, der Taufe Christi (in der Academie) auf wahrhaft küm-d merliche Formen und Charaktere gerathen; nur vollendet er diese auf das Fleissigste; sein Modelliren ist Gewissenssache und sucht alle Geheimnisse der Anatomie sowohl als des Helldunkels zu ergründen; auffallender Weise ist die Gewandung daneben ziemlich leblos ge- blieben. Der von Lionardo hineingemalte Engel zeigt einen süssern Kopftypus, der übrigens auch dem Verocchio als Erzgiesser (Seite 602, b) nicht fremd war.
Von V.'s Schülern ist schon hier Lorenzo di Credi zu be- handeln (1454--1513), obschon er in der Folge unter den Einfluss seines grössern Mitschülers gerieth. Sein emsiges Streben nach Er- gründung des perspectivischen Scheines der Dinge war doch von dem Lehrer geweckt worden. Jedes seiner Bilder sucht diese Aufgabe auf neue Weise zu lösen; er versucht es mit dem hellsten Licht und mit bloss hingehauchten Übergängen wie mit den tiefsten Schatten. Seine männlichen Charaktere haben, z. B. in dem schönen Bilde der Madonna mit zwei Heiligen (Dom von Pistoja, Cap. neben dem Chore links), das nervös Verkümmerte jener Taufe Christi des Verocchio;f etwas gemildert auch das ähnliche Bild, welches im Museum von Neapel Ghirlandajo heisst. Dafür offenbart sich in seinen Madonnen, bisweilen (nicht immer!) auch im Bambino, der zarteste Schönheits- sinn, so dass dieselben allerwärts zu den Schätzen gehören. (Acad.
Dom. Ghirlandajo. Castagno. Verocchio. L. di Credi.
dem S. Thomas herabreichende Madonna, gute Bilder ohne höhere Eigenthümlichkeit.
Neben diesen grossen Bestrebungen, im Realismus ein höheres und schöneres Dasein darzustellen, trat auch ein übertreibendes Charakte- risiren auf. Andrea del Castagno’s Bilder (Mitte des XV. Jahrh.) sind gemalte Donatello’s, nur haltungsloser, zum Theil wüst renom- mistisch. (Academie; S. Croce, nach dem 5. Alt. r., Frescofigurena des h. Franz und Johannes d. T.; Dom, vgl. S. 804, f.) — Antonio Pollajuolo vereinigt eine ähnliche Schärfe wenigstens mit präch- tiger Ausführung. (Uffizien; die Bilder aus der Cap. S. Sebastianob sollen sich jetzt im Pal. Pucci befinden.) — Auch Andrea Veroc-c chio, der Lehrer Lionardo’s, ist in dem fast einzigen noch vorhande- nen Bilde, der Taufe Christi (in der Academie) auf wahrhaft küm-d merliche Formen und Charaktere gerathen; nur vollendet er diese auf das Fleissigste; sein Modelliren ist Gewissenssache und sucht alle Geheimnisse der Anatomie sowohl als des Helldunkels zu ergründen; auffallender Weise ist die Gewandung daneben ziemlich leblos ge- blieben. Der von Lionardo hineingemalte Engel zeigt einen süssern Kopftypus, der übrigens auch dem Verocchio als Erzgiesser (Seite 602, b) nicht fremd war.
Von V.’s Schülern ist schon hier Lorenzo di Credi zu be- handeln (1454—1513), obschon er in der Folge unter den Einfluss seines grössern Mitschülers gerieth. Sein emsiges Streben nach Er- gründung des perspectivischen Scheines der Dinge war doch von dem Lehrer geweckt worden. Jedes seiner Bilder sucht diese Aufgabe auf neue Weise zu lösen; er versucht es mit dem hellsten Licht und mit bloss hingehauchten Übergängen wie mit den tiefsten Schatten. Seine männlichen Charaktere haben, z. B. in dem schönen Bilde der Madonna mit zwei Heiligen (Dom von Pistoja, Cap. neben dem Chore links), das nervös Verkümmerte jener Taufe Christi des Verocchio;f etwas gemildert auch das ähnliche Bild, welches im Museum von Neapel Ghirlandajo heisst. Dafür offenbart sich in seinen Madonnen, bisweilen (nicht immer!) auch im Bambino, der zarteste Schönheits- sinn, so dass dieselben allerwärts zu den Schätzen gehören. (Acad.
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Dom. Ghirlandajo. Castagno. Verocchio. L. di Credi.
dem S. Thomas herabreichende Madonna, gute Bilder ohne höhere
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Neben diesen grossen Bestrebungen, im Realismus ein höheres und
schöneres Dasein darzustellen, trat auch ein übertreibendes Charakte-
risiren auf. Andrea del Castagno’s Bilder (Mitte des XV. Jahrh.)
sind gemalte Donatello’s, nur haltungsloser, zum Theil wüst renom-
mistisch. (Academie; S. Croce, nach dem 5. Alt. r., Frescofiguren
des h. Franz und Johannes d. T.; Dom, vgl. S. 804, f.) — Antonio
Pollajuolo vereinigt eine ähnliche Schärfe wenigstens mit präch-
tiger Ausführung. (Uffizien; die Bilder aus der Cap. S. Sebastiano
sollen sich jetzt im Pal. Pucci befinden.) — Auch Andrea Veroc-
chio, der Lehrer Lionardo’s, ist in dem fast einzigen noch vorhande-
nen Bilde, der Taufe Christi (in der Academie) auf wahrhaft küm-
merliche Formen und Charaktere gerathen; nur vollendet er diese
auf das Fleissigste; sein Modelliren ist Gewissenssache und sucht alle
Geheimnisse der Anatomie sowohl als des Helldunkels zu ergründen;
auffallender Weise ist die Gewandung daneben ziemlich leblos ge-
blieben. Der von Lionardo hineingemalte Engel zeigt einen süssern
Kopftypus, der übrigens auch dem Verocchio als Erzgiesser (Seite
602, b) nicht fremd war.
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Von V.’s Schülern ist schon hier Lorenzo di Credi zu be-
handeln (1454—1513), obschon er in der Folge unter den Einfluss
seines grössern Mitschülers gerieth. Sein emsiges Streben nach Er-
gründung des perspectivischen Scheines der Dinge war doch von dem
Lehrer geweckt worden. Jedes seiner Bilder sucht diese Aufgabe
auf neue Weise zu lösen; er versucht es mit dem hellsten Licht und
mit bloss hingehauchten Übergängen wie mit den tiefsten Schatten.
Seine männlichen Charaktere haben, z. B. in dem schönen Bilde der
Madonna mit zwei Heiligen (Dom von Pistoja, Cap. neben dem Chor
links), das nervös Verkümmerte jener Taufe Christi des Verocchio;
etwas gemildert auch das ähnliche Bild, welches im Museum von
Neapel Ghirlandajo heisst. Dafür offenbart sich in seinen Madonnen,
bisweilen (nicht immer!) auch im Bambino, der zarteste Schönheits-
sinn, so dass dieselben allerwärts zu den Schätzen gehören. (Acad.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 807. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/829>, abgerufen am 18.12.2024.
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