Ugolino da Siena ist, dem oben (S. 752, 1) genannten Madon- nenbild zufolge, in seinem Styl eher ein Florentiner. Das berühmte asilberne Reliquiarium, mit zwölf Emailbildern, die Geschichte des Fronleichnamsfestes enthaltend (Santo Corporale), im Dom von Or- vieto, für welches ein Ugolino Vieri (1338) genannt wird, kenne ich nur baus Abbildungen; -- die Chorfresken desselben Domes, von Ugolino di Prete Ilario, habe ich nur flüchtig gesehen; sie scheinen wiederum eher florentinisch als sienesisch. Ob die drei Maler identisch sind, weiss ich nicht zu ermitteln.
Nach der Aufzählung dessen, was durch Giotto selbst und unter seinem nähern, zum Theil unmittelbaren Einfluss zu Stande kam, ge- hen wir über zur Betrachtung der entferntern Wellenschläge, durch welche Er die damalige italienische Kunst bis weit hinaus bewegt. Sehr wahrscheinlich waren zu seiner Zeit mehrere Localschulen auf einer ähnlichen Bahn wie die seinige; die Zeit, die Ihn reifte, wirkte auch auf sie; allein nur um so unvermeidlicher mussten sie dann unter seine Botmässigkeit gerathen, hier mehr dort weniger. Er hatte von Padua bis Neapel und westlich bis Avignon an so vielen Orten grosse Denkmäler hinterlassen, dass man seine Neuerung überall kannte und sich danach achten konnte; rechnet man noch die Werke seiner Schule hinzu, so war in ganz Italien keine künstlerische Potenz mehr vor- handen, die sich dieser Masse des Grossen und Neuen gänzlich hätte erwehren können. Scheinbar selbständig blieben nur die Unfähigen.
Unter den Oberitalienern mussten die Bolognesen der ganzen Einwirkung von der florentinischen Schule aus am unfehlbarsten aus- gesetzt sein. Aber ihre malerische Thätigkeit und Fähigkeit ist im XIV. Jahrh. erstaunlich lahm und geringfügig. Der älteste von ihnen, Vitale, ein Zeitgenosse Giotto's ist wenigstens in einem Bilde der cPinacoteca zu Bologna (1320, thronende Maria mit zwei Engeln) süss und holdselig auf sienesische Weise, sodass man an Duccio erinnert wird. Die Übrigen, halbgiottesken, sind in ihren Tafelbildern meist so gering, dass in Florenz von ihnen nicht die Rede sein würde.
Malerei des germanischen Styles. Bologna.
Ugolino da Siena ist, dem oben (S. 752, 1) genannten Madon- nenbild zufolge, in seinem Styl eher ein Florentiner. Das berühmte asilberne Reliquiarium, mit zwölf Emailbildern, die Geschichte des Fronleichnamsfestes enthaltend (Santo Corporale), im Dom von Or- vieto, für welches ein Ugolino Vieri (1338) genannt wird, kenne ich nur baus Abbildungen; — die Chorfresken desselben Domes, von Ugolino di Prete Ilario, habe ich nur flüchtig gesehen; sie scheinen wiederum eher florentinisch als sienesisch. Ob die drei Maler identisch sind, weiss ich nicht zu ermitteln.
Nach der Aufzählung dessen, was durch Giotto selbst und unter seinem nähern, zum Theil unmittelbaren Einfluss zu Stande kam, ge- hen wir über zur Betrachtung der entferntern Wellenschläge, durch welche Er die damalige italienische Kunst bis weit hinaus bewegt. Sehr wahrscheinlich waren zu seiner Zeit mehrere Localschulen auf einer ähnlichen Bahn wie die seinige; die Zeit, die Ihn reifte, wirkte auch auf sie; allein nur um so unvermeidlicher mussten sie dann unter seine Botmässigkeit gerathen, hier mehr dort weniger. Er hatte von Padua bis Neapel und westlich bis Avignon an so vielen Orten grosse Denkmäler hinterlassen, dass man seine Neuerung überall kannte und sich danach achten konnte; rechnet man noch die Werke seiner Schule hinzu, so war in ganz Italien keine künstlerische Potenz mehr vor- handen, die sich dieser Masse des Grossen und Neuen gänzlich hätte erwehren können. Scheinbar selbständig blieben nur die Unfähigen.
Unter den Oberitalienern mussten die Bolognésen der ganzen Einwirkung von der florentinischen Schule aus am unfehlbarsten aus- gesetzt sein. Aber ihre malerische Thätigkeit und Fähigkeit ist im XIV. Jahrh. erstaunlich lahm und geringfügig. Der älteste von ihnen, Vitale, ein Zeitgenosse Giotto’s ist wenigstens in einem Bilde der cPinacoteca zu Bologna (1320, thronende Maria mit zwei Engeln) süss und holdselig auf sienesische Weise, sodass man an Duccio erinnert wird. Die Übrigen, halbgiottesken, sind in ihren Tafelbildern meist so gering, dass in Florenz von ihnen nicht die Rede sein würde.
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Malerei des germanischen Styles. Bologna.
Ugolino da Siena ist, dem oben (S. 752, 1) genannten Madon-
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silberne Reliquiarium, mit zwölf Emailbildern, die Geschichte des
Fronleichnamsfestes enthaltend (Santo Corporale), im Dom von Or-
vieto, für welches ein Ugolino Vieri (1338) genannt wird, kenne ich nur
aus Abbildungen; — die Chorfresken desselben Domes, von Ugolino di
Prete Ilario, habe ich nur flüchtig gesehen; sie scheinen wiederum
eher florentinisch als sienesisch. Ob die drei Maler identisch sind,
weiss ich nicht zu ermitteln.
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seinem nähern, zum Theil unmittelbaren Einfluss zu Stande kam, ge-
hen wir über zur Betrachtung der entferntern Wellenschläge, durch
welche Er die damalige italienische Kunst bis weit hinaus bewegt.
Sehr wahrscheinlich waren zu seiner Zeit mehrere Localschulen auf
einer ähnlichen Bahn wie die seinige; die Zeit, die Ihn reifte, wirkte
auch auf sie; allein nur um so unvermeidlicher mussten sie dann unter
seine Botmässigkeit gerathen, hier mehr dort weniger. Er hatte von
Padua bis Neapel und westlich bis Avignon an so vielen Orten grosse
Denkmäler hinterlassen, dass man seine Neuerung überall kannte und
sich danach achten konnte; rechnet man noch die Werke seiner Schule
hinzu, so war in ganz Italien keine künstlerische Potenz mehr vor-
handen, die sich dieser Masse des Grossen und Neuen gänzlich hätte
erwehren können. Scheinbar selbständig blieben nur die Unfähigen.
Unter den Oberitalienern mussten die Bolognésen der ganzen
Einwirkung von der florentinischen Schule aus am unfehlbarsten aus-
gesetzt sein. Aber ihre malerische Thätigkeit und Fähigkeit ist im
XIV. Jahrh. erstaunlich lahm und geringfügig. Der älteste von ihnen,
Vitale, ein Zeitgenosse Giotto’s ist wenigstens in einem Bilde der
Pinacoteca zu Bologna (1320, thronende Maria mit zwei Engeln) süss
und holdselig auf sienesische Weise, sodass man an Duccio erinnert
wird. Die Übrigen, halbgiottesken, sind in ihren Tafelbildern meist
so gering, dass in Florenz von ihnen nicht die Rede sein würde.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 780. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/802>, abgerufen am 18.12.2024.
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