Malerei des germanischen Styles. Schule von Siena.
zelnen aber von einer Schönheit, nach welcher die Florentiner nicht einmal gestrebt hätten. Von seinem Schüler Lippo Memmi besitzt aSiena wenigstens noch ein sicheres Madonnenbild in der Kirche della Concezione oder ai Servi (im rechten Querschiff, über der Thür zum bSacristeigang); das grosse Altarwerk in der Academie (erster Raum) gehört ihm nur nach Vermuthung. Sonst giebt die Sammlung der Academie von Siena (erster bis dritter Raum) eine Übersicht der dor- tigen Malerei des XIV. Jahrh., die im Ganzen einen merkwürdigen Stillstand beurkundet, eine ungesunde Befangenheit in der einmal an- genommen Gesichtsbildung und in einzelnen byzantinischen Manieren (aufgesetzte helle Lichter, Prachtmuster der Gewänder und der Gründe, grüne, vielleicht nur durch Verderbniss einer Mineralfarbe so gewor- dene Fleischschatten u. s. w.)
Die einzelnen Künstlercharaktere müssen dem Studium an Ort und Stelle überlassen bleiben, da wir es nicht mit den Zurückgeblie- benen, sondern mit den Vorwärtsstrebenden zu thun haben. Unver- meidlich drang von Florenz und von dem übrigen Italien aus die all- verbreitete, zum Gemeingut der Nation gewordene Erzählungsweise Giotto's auch nach Siena; Ambrogio Lorenzetti malte in der cSala delle balestre des Palazzo pubblico auch jene grosse symbolische Composition in giottesker Art, die Folgen des guten und des schlech- ten Regimentes; mit seinem Bruder Pietro schuf er sogar im Campo- santo zu Pisa jenes grosse, an guten Einzelheiten so reiche Fresco der Einsiedler in der Thebais; allein hier wie in den Tafelbildern der Schule macht das historisch Erzählende in Composition und Zeich- nung doch einen wesentlich secundären Eindruck. Die chronicalisch dkindlichen, braun in braun gemalten Kriegsbilder in der Sala del con- siglio, welche man dem Ambrogio vielleicht mit Unrecht zuschreibt, mögen ganz ausser Rechnung bleiben; ihr sachliches Interesse ist indess nicht gering. Von dem Besten dieser Reihe, Berna da Siena, enthält die Vaterstadt gerade nichts Nennenswerthes; die estark übermalten Fresken am Tabernakel des Lateran's in Rom schei- nen ehemals sehr anmuthig gewesen zu sein; auch seine Arbeiten in fder Cathedrale von S. Gimignano werden gerühmt. Immer wird man bei dieser Schule die reinen Andachtsbilder vorziehen; so giebt z. B. gein Altarwerk von Pietro Lorenzetti (Acad., erster Raum) wenigstens
Malerei des germanischen Styles. Schule von Siena.
zelnen aber von einer Schönheit, nach welcher die Florentiner nicht einmal gestrebt hätten. Von seinem Schüler Lippo Memmi besitzt aSiena wenigstens noch ein sicheres Madonnenbild in der Kirche della Concezione oder ai Servi (im rechten Querschiff, über der Thür zum bSacristeigang); das grosse Altarwerk in der Academie (erster Raum) gehört ihm nur nach Vermuthung. Sonst giebt die Sammlung der Academie von Siena (erster bis dritter Raum) eine Übersicht der dor- tigen Malerei des XIV. Jahrh., die im Ganzen einen merkwürdigen Stillstand beurkundet, eine ungesunde Befangenheit in der einmal an- genommen Gesichtsbildung und in einzelnen byzantinischen Manieren (aufgesetzte helle Lichter, Prachtmuster der Gewänder und der Gründe, grüne, vielleicht nur durch Verderbniss einer Mineralfarbe so gewor- dene Fleischschatten u. s. w.)
Die einzelnen Künstlercharaktere müssen dem Studium an Ort und Stelle überlassen bleiben, da wir es nicht mit den Zurückgeblie- benen, sondern mit den Vorwärtsstrebenden zu thun haben. Unver- meidlich drang von Florenz und von dem übrigen Italien aus die all- verbreitete, zum Gemeingut der Nation gewordene Erzählungsweise Giotto’s auch nach Siena; Ambrogio Lorenzetti malte in der cSala delle balestre des Palazzo pubblico auch jene grosse symbolische Composition in giottesker Art, die Folgen des guten und des schlech- ten Regimentes; mit seinem Bruder Pietro schuf er sogar im Campo- santo zu Pisa jenes grosse, an guten Einzelheiten so reiche Fresco der Einsiedler in der Thebais; allein hier wie in den Tafelbildern der Schule macht das historisch Erzählende in Composition und Zeich- nung doch einen wesentlich secundären Eindruck. Die chronicalisch dkindlichen, braun in braun gemalten Kriegsbilder in der Sala del con- siglio, welche man dem Ambrogio vielleicht mit Unrecht zuschreibt, mögen ganz ausser Rechnung bleiben; ihr sachliches Interesse ist indess nicht gering. Von dem Besten dieser Reihe, Berna da Siena, enthält die Vaterstadt gerade nichts Nennenswerthes; die estark übermalten Fresken am Tabernakel des Lateran’s in Rom schei- nen ehemals sehr anmuthig gewesen zu sein; auch seine Arbeiten in fder Cathedrale von S. Gimignano werden gerühmt. Immer wird man bei dieser Schule die reinen Andachtsbilder vorziehen; so giebt z. B. gein Altarwerk von Pietro Lorenzetti (Acad., erster Raum) wenigstens
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Malerei des germanischen Styles. Schule von Siena.
zelnen aber von einer Schönheit, nach welcher die Florentiner nicht
einmal gestrebt hätten. Von seinem Schüler Lippo Memmi besitzt
Siena wenigstens noch ein sicheres Madonnenbild in der Kirche della
Concezione oder ai Servi (im rechten Querschiff, über der Thür zum
Sacristeigang); das grosse Altarwerk in der Academie (erster Raum)
gehört ihm nur nach Vermuthung. Sonst giebt die Sammlung der
Academie von Siena (erster bis dritter Raum) eine Übersicht der dor-
tigen Malerei des XIV. Jahrh., die im Ganzen einen merkwürdigen
Stillstand beurkundet, eine ungesunde Befangenheit in der einmal an-
genommen Gesichtsbildung und in einzelnen byzantinischen Manieren
(aufgesetzte helle Lichter, Prachtmuster der Gewänder und der Gründe,
grüne, vielleicht nur durch Verderbniss einer Mineralfarbe so gewor-
dene Fleischschatten u. s. w.)
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Die einzelnen Künstlercharaktere müssen dem Studium an Ort
und Stelle überlassen bleiben, da wir es nicht mit den Zurückgeblie-
benen, sondern mit den Vorwärtsstrebenden zu thun haben. Unver-
meidlich drang von Florenz und von dem übrigen Italien aus die all-
verbreitete, zum Gemeingut der Nation gewordene Erzählungsweise
Giotto’s auch nach Siena; Ambrogio Lorenzetti malte in der
Sala delle balestre des Palazzo pubblico auch jene grosse symbolische
Composition in giottesker Art, die Folgen des guten und des schlech-
ten Regimentes; mit seinem Bruder Pietro schuf er sogar im Campo-
santo zu Pisa jenes grosse, an guten Einzelheiten so reiche Fresco
der Einsiedler in der Thebais; allein hier wie in den Tafelbildern der
Schule macht das historisch Erzählende in Composition und Zeich-
nung doch einen wesentlich secundären Eindruck. Die chronicalisch
kindlichen, braun in braun gemalten Kriegsbilder in der Sala del con-
siglio, welche man dem Ambrogio vielleicht mit Unrecht zuschreibt,
mögen ganz ausser Rechnung bleiben; ihr sachliches Interesse ist
indess nicht gering. Von dem Besten dieser Reihe, Berna da
Siena, enthält die Vaterstadt gerade nichts Nennenswerthes; die
stark übermalten Fresken am Tabernakel des Lateran’s in Rom schei-
nen ehemals sehr anmuthig gewesen zu sein; auch seine Arbeiten in
der Cathedrale von S. Gimignano werden gerühmt. Immer wird man
bei dieser Schule die reinen Andachtsbilder vorziehen; so giebt z. B.
ein Altarwerk von Pietro Lorenzetti (Acad., erster Raum) wenigstens
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 778. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/800>, abgerufen am 18.12.2024.
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