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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Altarwerke. Crucifixe. Schule von Siena.
dar, was dem Sieg über den Tod ähnlich sieht; wenn auch der Cru-
cifixus im Gang zur Sacristei von S. Croce in Florenz schwerlicha
von ihm sein mag, so wäre doch ein solches Werk ohne seinen Ein-
fluss nicht vorhanden. (Zwei andere in der Sacristei selbst.) -- Anb
den vier Enden der Bretter insgemein die vier Evangelisten, oder
rechts und links Sonne und Mond als Personen, die ihr Haupt ver-
hüllen; die Senkung des Hauptes Christi meist ganz naiv durch
schräge Richtung des obern Brettes verdeutlicht.


Die Schule von Siena, welche im XIII. Jahrh. mit Guido und
Duccio (S. 743, 347) so bedeutende Elemente der Schönheit entwickelt
hatte, besass im XIV. Jahrh. keinen Künstler, der Giotto's Einfluss
entweder die Spitze geboten, oder denselben auf fruchtbringende
Weise mit der einheimischen Richtung verschmolzen hätte. Sie theilte
schon die florentinische Liebe für grosse Bilderkreise in Fresco nicht
in besonderm Grade; ihr vorzüglichster Meister zu Giotto's Zeit, Si-
mone di Martino
, scheint sich nirgends über das ruhige Andachts-
bild erhoben zu haben. Freilich sind seine Madonnen durch ihre
Pracht und miniaturartige Feinheit, durch den Schwung der Gewän-
der und die eigenthümliche Schönheit der Züge wahre Juwelen der
mittelalterlichen Kunst; doch giebt ihnen die conventionelle Bildung
des Auges und des Mundes, die bei Duccio noch nicht merklich auf-
fällt, immer etwas Befremdliches. (Die unzweifelhaften sind sehr sel-
ten 1) und meist ausserhalb Italiens; von ihm und Lippo Memmi diec
grosse Verkündigung in Florenz, erster Gang der Uffizien, datirt 1333;
unangenehm durch die Geberde der Madonna.) -- Simone's grosses Frescod
im Pal. pubblico zu Siena (Sala del Consiglio), die Madonna umge-
ben von vielen Heiligen, deren einige den Baldachin über ihr tragen,
ist so symmetrisch und regungslos, als irgend ein Altarbild, im Ein-

1) In Pisa sollen Reste eines sehr vorzüglichen Altarwerkes an verschiedenen
Orten zerstreut sein. Ob die Tafeln in der Academie zu Pisa von ihm sind?*

Altarwerke. Crucifixe. Schule von Siena.
dar, was dem Sieg über den Tod ähnlich sieht; wenn auch der Cru-
cifixus im Gang zur Sacristei von S. Croce in Florenz schwerlicha
von ihm sein mag, so wäre doch ein solches Werk ohne seinen Ein-
fluss nicht vorhanden. (Zwei andere in der Sacristei selbst.) — Anb
den vier Enden der Bretter insgemein die vier Evangelisten, oder
rechts und links Sonne und Mond als Personen, die ihr Haupt ver-
hüllen; die Senkung des Hauptes Christi meist ganz naiv durch
schräge Richtung des obern Brettes verdeutlicht.


Die Schule von Siena, welche im XIII. Jahrh. mit Guido und
Duccio (S. 743, 347) so bedeutende Elemente der Schönheit entwickelt
hatte, besass im XIV. Jahrh. keinen Künstler, der Giotto’s Einfluss
entweder die Spitze geboten, oder denselben auf fruchtbringende
Weise mit der einheimischen Richtung verschmolzen hätte. Sie theilte
schon die florentinische Liebe für grosse Bilderkreise in Fresco nicht
in besonderm Grade; ihr vorzüglichster Meister zu Giotto’s Zeit, Si-
mone di Martino
, scheint sich nirgends über das ruhige Andachts-
bild erhoben zu haben. Freilich sind seine Madonnen durch ihre
Pracht und miniaturartige Feinheit, durch den Schwung der Gewän-
der und die eigenthümliche Schönheit der Züge wahre Juwelen der
mittelalterlichen Kunst; doch giebt ihnen die conventionelle Bildung
des Auges und des Mundes, die bei Duccio noch nicht merklich auf-
fällt, immer etwas Befremdliches. (Die unzweifelhaften sind sehr sel-
ten 1) und meist ausserhalb Italiens; von ihm und Lippo Memmi diec
grosse Verkündigung in Florenz, erster Gang der Uffizien, datirt 1333;
unangenehm durch die Geberde der Madonna.) — Simone’s grosses Frescod
im Pal. pubblico zu Siena (Sala del Consiglio), die Madonna umge-
ben von vielen Heiligen, deren einige den Baldachin über ihr tragen,
ist so symmetrisch und regungslos, als irgend ein Altarbild, im Ein-

1) In Pisa sollen Reste eines sehr vorzüglichen Altarwerkes an verschiedenen
Orten zerstreut sein. Ob die Tafeln in der Academie zu Pisa von ihm sind?*
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[777/0799] Altarwerke. Crucifixe. Schule von Siena. dar, was dem Sieg über den Tod ähnlich sieht; wenn auch der Cru- cifixus im Gang zur Sacristei von S. Croce in Florenz schwerlich von ihm sein mag, so wäre doch ein solches Werk ohne seinen Ein- fluss nicht vorhanden. (Zwei andere in der Sacristei selbst.) — An den vier Enden der Bretter insgemein die vier Evangelisten, oder rechts und links Sonne und Mond als Personen, die ihr Haupt ver- hüllen; die Senkung des Hauptes Christi meist ganz naiv durch schräge Richtung des obern Brettes verdeutlicht. a b Die Schule von Siena, welche im XIII. Jahrh. mit Guido und Duccio (S. 743, 347) so bedeutende Elemente der Schönheit entwickelt hatte, besass im XIV. Jahrh. keinen Künstler, der Giotto’s Einfluss entweder die Spitze geboten, oder denselben auf fruchtbringende Weise mit der einheimischen Richtung verschmolzen hätte. Sie theilte schon die florentinische Liebe für grosse Bilderkreise in Fresco nicht in besonderm Grade; ihr vorzüglichster Meister zu Giotto’s Zeit, Si- mone di Martino, scheint sich nirgends über das ruhige Andachts- bild erhoben zu haben. Freilich sind seine Madonnen durch ihre Pracht und miniaturartige Feinheit, durch den Schwung der Gewän- der und die eigenthümliche Schönheit der Züge wahre Juwelen der mittelalterlichen Kunst; doch giebt ihnen die conventionelle Bildung des Auges und des Mundes, die bei Duccio noch nicht merklich auf- fällt, immer etwas Befremdliches. (Die unzweifelhaften sind sehr sel- ten 1) und meist ausserhalb Italiens; von ihm und Lippo Memmi die grosse Verkündigung in Florenz, erster Gang der Uffizien, datirt 1333; unangenehm durch die Geberde der Madonna.) — Simone’s grosses Fresco im Pal. pubblico zu Siena (Sala del Consiglio), die Madonna umge- ben von vielen Heiligen, deren einige den Baldachin über ihr tragen, ist so symmetrisch und regungslos, als irgend ein Altarbild, im Ein- c d 1) In Pisa sollen Reste eines sehr vorzüglichen Altarwerkes an verschiedenen Orten zerstreut sein. Ob die Tafeln in der Academie zu Pisa von ihm sind?

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 777. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/799>, abgerufen am 18.12.2024.