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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
kleinerung des Grossen. In der nordischen Kunst sind so oft umge-
kehrt die grössern Bilder eine Vergrösserung des im Kleinen als Mi-
niatur Gedachten.


Zur Beurtheilung dieser Tafelmalerei der Nachfolger Giotto's und
der Sienesen ist es nothwendig, sich das Ganze der Altarwerke zu
vergegenwärtigen, die man jetzt in Galerien, Kirchen und Sacristeien
meist in ihre einzelnen Theile zersplittert antrifft, -- in der Regel weil
sie bei irgend einem Umbau der Kirche zu dem Barockstyl der neuen
Altäre als in die Breite gehendes Ganzes nicht passen wollten. Ganz
erhaltene Beispiele mit möglichst reicher Ausstattung sind sehr selten;
aeines findet sich z. B. in der Academie zu Florenz (Saal der Ausstel-
blung); ein noch vollständigeres in S. Domenico zu Cortona, an der
linken Wand. Dieses Altarwerk eines nicht gerade bedeutenden Meisters,
Lorenzo di Niccolo, hat noch ausser dem Hauptbilde (Krönung Mariä)
alle seine Nebenbilder, Fries- und Giebelfüllungen, Oberbilder, Untersatz-
bilder (Predellen) und an den Flächen der Seitenthürmchen die sämmt-
lichen Täfelchen mit Einzelheiligen; auch alles Architektonische --
üblicher Weise die Nachahmung eines Kirchenbaues -- ist wohl er-
halten. Hier lernt man erst erkennen, für welchen Raum und für
welchen Theil eines Gesammtwerkes z. B. Fiesole jene jetzt in alle
Welt zerstreuten Tafeln gemalt hat. Dass ein Altar dieser Art, mit
einer solchen Menge von Einzeltheilen, einen ruhig-grossen Eindruck
machen solle, darf man weder erwarten noch verlangen.


Endlich sind in Toscana aus dem XIII. und XIV. Jahrh. eine
Menge gemalter Crucifixe, oft von colossaler Grösse erhalten. Sie
hingen früher, nach dem Gebrauch der katholischen Welt, frei und
hoch über dem Hauptaltar, mussten aber in der Barockzeit jenen be-
kannten, pomphaften Architekturen mit Gemälden weichen und er-
hielten ihre Stelle z. B. über dem Hauptportal, neuerlich auch in
cSammlungen. (Mehrere in der Acad. zu Siena.) Man wird im Gan-
zen finden, dass sie je älter, desto unwürdiger sind, mit weitausge-
bogenem, grünlich gefärbtem Leibe. Erst Giotto stellte etwas darin

Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
kleinerung des Grossen. In der nordischen Kunst sind so oft umge-
kehrt die grössern Bilder eine Vergrösserung des im Kleinen als Mi-
niatur Gedachten.


Zur Beurtheilung dieser Tafelmalerei der Nachfolger Giotto’s und
der Sienesen ist es nothwendig, sich das Ganze der Altarwerke zu
vergegenwärtigen, die man jetzt in Galerien, Kirchen und Sacristeien
meist in ihre einzelnen Theile zersplittert antrifft, — in der Regel weil
sie bei irgend einem Umbau der Kirche zu dem Barockstyl der neuen
Altäre als in die Breite gehendes Ganzes nicht passen wollten. Ganz
erhaltene Beispiele mit möglichst reicher Ausstattung sind sehr selten;
aeines findet sich z. B. in der Academie zu Florenz (Saal der Ausstel-
blung); ein noch vollständigeres in S. Domenico zu Cortona, an der
linken Wand. Dieses Altarwerk eines nicht gerade bedeutenden Meisters,
Lorenzo di Niccolò, hat noch ausser dem Hauptbilde (Krönung Mariä)
alle seine Nebenbilder, Fries- und Giebelfüllungen, Oberbilder, Untersatz-
bilder (Predellen) und an den Flächen der Seitenthürmchen die sämmt-
lichen Täfelchen mit Einzelheiligen; auch alles Architektonische —
üblicher Weise die Nachahmung eines Kirchenbaues — ist wohl er-
halten. Hier lernt man erst erkennen, für welchen Raum und für
welchen Theil eines Gesammtwerkes z. B. Fiesole jene jetzt in alle
Welt zerstreuten Tafeln gemalt hat. Dass ein Altar dieser Art, mit
einer solchen Menge von Einzeltheilen, einen ruhig-grossen Eindruck
machen solle, darf man weder erwarten noch verlangen.


Endlich sind in Toscana aus dem XIII. und XIV. Jahrh. eine
Menge gemalter Crucifixe, oft von colossaler Grösse erhalten. Sie
hingen früher, nach dem Gebrauch der katholischen Welt, frei und
hoch über dem Hauptaltar, mussten aber in der Barockzeit jenen be-
kannten, pomphaften Architekturen mit Gemälden weichen und er-
hielten ihre Stelle z. B. über dem Hauptportal, neuerlich auch in
cSammlungen. (Mehrere in der Acad. zu Siena.) Man wird im Gan-
zen finden, dass sie je älter, desto unwürdiger sind, mit weitausge-
bogenem, grünlich gefärbtem Leibe. Erst Giotto stellte etwas darin

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[776/0798] Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. kleinerung des Grossen. In der nordischen Kunst sind so oft umge- kehrt die grössern Bilder eine Vergrösserung des im Kleinen als Mi- niatur Gedachten. Zur Beurtheilung dieser Tafelmalerei der Nachfolger Giotto’s und der Sienesen ist es nothwendig, sich das Ganze der Altarwerke zu vergegenwärtigen, die man jetzt in Galerien, Kirchen und Sacristeien meist in ihre einzelnen Theile zersplittert antrifft, — in der Regel weil sie bei irgend einem Umbau der Kirche zu dem Barockstyl der neuen Altäre als in die Breite gehendes Ganzes nicht passen wollten. Ganz erhaltene Beispiele mit möglichst reicher Ausstattung sind sehr selten; eines findet sich z. B. in der Academie zu Florenz (Saal der Ausstel- lung); ein noch vollständigeres in S. Domenico zu Cortona, an der linken Wand. Dieses Altarwerk eines nicht gerade bedeutenden Meisters, Lorenzo di Niccolò, hat noch ausser dem Hauptbilde (Krönung Mariä) alle seine Nebenbilder, Fries- und Giebelfüllungen, Oberbilder, Untersatz- bilder (Predellen) und an den Flächen der Seitenthürmchen die sämmt- lichen Täfelchen mit Einzelheiligen; auch alles Architektonische — üblicher Weise die Nachahmung eines Kirchenbaues — ist wohl er- halten. Hier lernt man erst erkennen, für welchen Raum und für welchen Theil eines Gesammtwerkes z. B. Fiesole jene jetzt in alle Welt zerstreuten Tafeln gemalt hat. Dass ein Altar dieser Art, mit einer solchen Menge von Einzeltheilen, einen ruhig-grossen Eindruck machen solle, darf man weder erwarten noch verlangen. a b Endlich sind in Toscana aus dem XIII. und XIV. Jahrh. eine Menge gemalter Crucifixe, oft von colossaler Grösse erhalten. Sie hingen früher, nach dem Gebrauch der katholischen Welt, frei und hoch über dem Hauptaltar, mussten aber in der Barockzeit jenen be- kannten, pomphaften Architekturen mit Gemälden weichen und er- hielten ihre Stelle z. B. über dem Hauptportal, neuerlich auch in Sammlungen. (Mehrere in der Acad. zu Siena.) Man wird im Gan- zen finden, dass sie je älter, desto unwürdiger sind, mit weitausge- bogenem, grünlich gefärbtem Leibe. Erst Giotto stellte etwas darin c

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 776. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/798>, abgerufen am 17.06.2024.