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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
den Heiden Plato und Aristoteles geht je ein Strahl auf den Kopf des
Thomas; von dem Buch des Thomas (der Summa) gehen viele Strahlen
auf die unten versammelten Geistlichen; mitten auf der Erde liegt ein
widerlegter Ketzer. Das Wesentliche in dieser ganzen Darstellung
liess sich schon mit dem blossen Lineal hervorbringen.

An einem Traini und seiner Eigenthümlichkeit ging nun nicht
eben viel verloren, aber bei Andern darf man es wohl bedauern, dass
die Theologie ihnen Gedankengänge vorschrieb, während sie aus
eigenen Kräften die gegebenen Grundideen höher verherrlicht haben
würden.

Glücklicher Weise war Giotto selbst freier gewesen, als er in
aeiner Abtheilung des oben genannten Gewölbes der Unterkirche von
Assisi die Glorie des heil. Franciscus malte: der Heilige als Verklär-
ter, im goldgewebten Diaconengewand, mit einer Kreuzfahne, um-
schwebt von Engelchören. Diess ist echte, deutlich sprechende Sym-
bolik. Die S. 772, e erwähnte Glorie des heil. Thomas von Aquino
dagegen musste mit Allegorien vermischt werden, weil der Triumph
des gelehrten Heiligen über alle einzelnen Wissenschaften und Kün-
ste zur Anschauung kommen sollte.


Die Schule Giotto's ergeht sich nur in Fresco und nur in der
bewegten Handlung mit voller Freiheit und Grösse. Ihre Altarwerke,
welche fast durchaus nur ruhige Andachtsbilder sind, geben einen
sehr beschränkten Begriff von ihrem Wesen, sind aber für die Beur-
theilung ihres technischen Vermögens (und Wollens) von Wich-
tigkeit.

Die kunstgeschichtlich bedeutendsten derselben wurden bereits
oben genannt. Ausserdem enthält fast jede ältere Kirche Toscana's
irgend ein Stück, und dann bilden die aus vielen Kirchen und Klö-
bstern vereinigten in der Academie zu Florenz eine ganze grosse Samm-
lung (hauptsächlich in der Sala delle Esposizioni) 1). Wer Zeit und
Lust hat, mag sie allmählig nach Manieren und einzelnen Meistern
sondern; hier nur einige allgemeine Bemerkungen.

1) *Ausserdem eine Anzahl in der mediceischen Capelle bei S. Croce, am Ende
des Ganges vor der Sacristei.

Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
den Heiden Plato und Aristoteles geht je ein Strahl auf den Kopf des
Thomas; von dem Buch des Thomas (der Summa) gehen viele Strahlen
auf die unten versammelten Geistlichen; mitten auf der Erde liegt ein
widerlegter Ketzer. Das Wesentliche in dieser ganzen Darstellung
liess sich schon mit dem blossen Lineal hervorbringen.

An einem Traini und seiner Eigenthümlichkeit ging nun nicht
eben viel verloren, aber bei Andern darf man es wohl bedauern, dass
die Theologie ihnen Gedankengänge vorschrieb, während sie aus
eigenen Kräften die gegebenen Grundideen höher verherrlicht haben
würden.

Glücklicher Weise war Giotto selbst freier gewesen, als er in
aeiner Abtheilung des oben genannten Gewölbes der Unterkirche von
Assisi die Glorie des heil. Franciscus malte: der Heilige als Verklär-
ter, im goldgewebten Diaconengewand, mit einer Kreuzfahne, um-
schwebt von Engelchören. Diess ist echte, deutlich sprechende Sym-
bolik. Die S. 772, e erwähnte Glorie des heil. Thomas von Aquino
dagegen musste mit Allegorien vermischt werden, weil der Triumph
des gelehrten Heiligen über alle einzelnen Wissenschaften und Kün-
ste zur Anschauung kommen sollte.


Die Schule Giotto’s ergeht sich nur in Fresco und nur in der
bewegten Handlung mit voller Freiheit und Grösse. Ihre Altarwerke,
welche fast durchaus nur ruhige Andachtsbilder sind, geben einen
sehr beschränkten Begriff von ihrem Wesen, sind aber für die Beur-
theilung ihres technischen Vermögens (und Wollens) von Wich-
tigkeit.

Die kunstgeschichtlich bedeutendsten derselben wurden bereits
oben genannt. Ausserdem enthält fast jede ältere Kirche Toscana’s
irgend ein Stück, und dann bilden die aus vielen Kirchen und Klö-
bstern vereinigten in der Academie zu Florenz eine ganze grosse Samm-
lung (hauptsächlich in der Sala delle Esposizioni) 1). Wer Zeit und
Lust hat, mag sie allmählig nach Manieren und einzelnen Meistern
sondern; hier nur einige allgemeine Bemerkungen.

1) *Ausserdem eine Anzahl in der mediceischen Capelle bei S. Croce, am Ende
des Ganges vor der Sacristei.
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[774/0796] Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. den Heiden Plato und Aristoteles geht je ein Strahl auf den Kopf des Thomas; von dem Buch des Thomas (der Summa) gehen viele Strahlen auf die unten versammelten Geistlichen; mitten auf der Erde liegt ein widerlegter Ketzer. Das Wesentliche in dieser ganzen Darstellung liess sich schon mit dem blossen Lineal hervorbringen. An einem Traini und seiner Eigenthümlichkeit ging nun nicht eben viel verloren, aber bei Andern darf man es wohl bedauern, dass die Theologie ihnen Gedankengänge vorschrieb, während sie aus eigenen Kräften die gegebenen Grundideen höher verherrlicht haben würden. Glücklicher Weise war Giotto selbst freier gewesen, als er in einer Abtheilung des oben genannten Gewölbes der Unterkirche von Assisi die Glorie des heil. Franciscus malte: der Heilige als Verklär- ter, im goldgewebten Diaconengewand, mit einer Kreuzfahne, um- schwebt von Engelchören. Diess ist echte, deutlich sprechende Sym- bolik. Die S. 772, e erwähnte Glorie des heil. Thomas von Aquino dagegen musste mit Allegorien vermischt werden, weil der Triumph des gelehrten Heiligen über alle einzelnen Wissenschaften und Kün- ste zur Anschauung kommen sollte. a Die Schule Giotto’s ergeht sich nur in Fresco und nur in der bewegten Handlung mit voller Freiheit und Grösse. Ihre Altarwerke, welche fast durchaus nur ruhige Andachtsbilder sind, geben einen sehr beschränkten Begriff von ihrem Wesen, sind aber für die Beur- theilung ihres technischen Vermögens (und Wollens) von Wich- tigkeit. Die kunstgeschichtlich bedeutendsten derselben wurden bereits oben genannt. Ausserdem enthält fast jede ältere Kirche Toscana’s irgend ein Stück, und dann bilden die aus vielen Kirchen und Klö- stern vereinigten in der Academie zu Florenz eine ganze grosse Samm- lung (hauptsächlich in der Sala delle Esposizioni) 1). Wer Zeit und Lust hat, mag sie allmählig nach Manieren und einzelnen Meistern sondern; hier nur einige allgemeine Bemerkungen. b 1) Ausserdem eine Anzahl in der mediceischen Capelle bei S. Croce, am Ende des Ganges vor der Sacristei.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 774. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/796>, abgerufen am 17.06.2024.