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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Symbolik. Ihre Unfreiheit.
fältig und schön durchgeführtes Werk, aber vollkommen aus der Buch-
phantasie, nicht aus der Künstlerphantasie entstanden, wesshalb es
denn auch eines Buches zur Erklärung bedarf. Wie anders deutlich
und ergreifend spricht der Trionfo della morte. Wie anders gross-
artig hätte sich auch das Bild der Kirche symbolisch geben lassen!
Freilich im Kloster von S. Maria novella hätte sich auch ein Orcagna
einem gegebenen dominicanischen Programm aus guten Gründen ohne
Widerrede gefügt.

Diese theologisirende Phantasie hat noch mehr als einmal der
Kunst den echten Gestaltungstrieb verleidet. Man sehe bei Pietro di
Puccio (Camposanto) Gott als Schöpfer und Herrn der Welt darge-a
stellt. Es ist eine riesige Figur die einen ungeheuern Schild mit den
concentrischen Himmelssphären vor den Leib hält; unten schauen die
Füsse hervor. Somit ist freilich jeder Gedanke an eine Immanenz
Gottes in der Welt beseitigt 1).

Oder die Glorie des heil. Thomas von Aquino, auf einem Altarb
links in S. Caterina zu Pisa, von einem gewissen Francesco Traini
(an sich ein geringes Bild). Hier sollte die geistige Einwirkung,
welche der Heilige von verschiedenen Seiten empfangen und auf die
Gläubigen ausgeübt, symbolisch dargestellt werden. Der Maler (oder
sein Rathgeber) machte diess auf die leichteste Weise mit goldenen
Strahlen ab. Von dem oben angebrachten Christus geht je ein Strahl
auf jeden der sechs Apostel und drei auf den in der Mitte thronen-
den S. Thomas; von jedem Apostel und von den weiter unten stehen-

1) Wie roh auch jene grosse Zeit noch bisweilen sein konnte, zeigt das Wie-
derauftauchen der absurdesten symbolischen Nothbehelfe des frühern Mittel-
alters. An der Oberschwelle der Seitenthür von SS. Annunziata in Arezzo*
sind die vier Evangelisten zwar als menschliche drapirte Halbfiguren, aber
mit den Köpfen ihrer Embleme dargestellt. (Noch Spinello wagte Dasselbe
zu malen, in einem jetzt untergegangenen Fresco.) -- Auch das allzu um-
ständliche Verhältniss des Evangelisten zur Feder ist schon ein frühmittel-
alterlicher Nothbehelf, den z. B. Bartolo von Siena wieder aufgriff (dortige**
Acad., erster Gang); Marcus spitzt seine Feder, Lucas besieht sie, Matthäus
taucht sie ein, nur Johannes schreibt. Wer hierin tiefere Bezüge findet, dem
darf man die Freude nicht verderben. Mit andern Eigenheiten ging auch
diese von Siena auf die Peruginer über und kommt bei Pinturicchio von
Neuem zum Vorschein.

Symbolik. Ihre Unfreiheit.
fältig und schön durchgeführtes Werk, aber vollkommen aus der Buch-
phantasie, nicht aus der Künstlerphantasie entstanden, wesshalb es
denn auch eines Buches zur Erklärung bedarf. Wie anders deutlich
und ergreifend spricht der Trionfo della morte. Wie anders gross-
artig hätte sich auch das Bild der Kirche symbolisch geben lassen!
Freilich im Kloster von S. Maria novella hätte sich auch ein Orcagna
einem gegebenen dominicanischen Programm aus guten Gründen ohne
Widerrede gefügt.

Diese theologisirende Phantasie hat noch mehr als einmal der
Kunst den echten Gestaltungstrieb verleidet. Man sehe bei Pietro di
Puccio (Camposanto) Gott als Schöpfer und Herrn der Welt darge-a
stellt. Es ist eine riesige Figur die einen ungeheuern Schild mit den
concentrischen Himmelssphären vor den Leib hält; unten schauen die
Füsse hervor. Somit ist freilich jeder Gedanke an eine Immanenz
Gottes in der Welt beseitigt 1).

Oder die Glorie des heil. Thomas von Aquino, auf einem Altarb
links in S. Caterina zu Pisa, von einem gewissen Francesco Traini
(an sich ein geringes Bild). Hier sollte die geistige Einwirkung,
welche der Heilige von verschiedenen Seiten empfangen und auf die
Gläubigen ausgeübt, symbolisch dargestellt werden. Der Maler (oder
sein Rathgeber) machte diess auf die leichteste Weise mit goldenen
Strahlen ab. Von dem oben angebrachten Christus geht je ein Strahl
auf jeden der sechs Apostel und drei auf den in der Mitte thronen-
den S. Thomas; von jedem Apostel und von den weiter unten stehen-

1) Wie roh auch jene grosse Zeit noch bisweilen sein konnte, zeigt das Wie-
derauftauchen der absurdesten symbolischen Nothbehelfe des frühern Mittel-
alters. An der Oberschwelle der Seitenthür von SS. Annunziata in Arezzo*
sind die vier Evangelisten zwar als menschliche drapirte Halbfiguren, aber
mit den Köpfen ihrer Embleme dargestellt. (Noch Spinello wagte Dasselbe
zu malen, in einem jetzt untergegangenen Fresco.) — Auch das allzu um-
ständliche Verhältniss des Evangelisten zur Feder ist schon ein frühmittel-
alterlicher Nothbehelf, den z. B. Bartolo von Siena wieder aufgriff (dortige**
Acad., erster Gang); Marcus spitzt seine Feder, Lucas besieht sie, Matthäus
taucht sie ein, nur Johannes schreibt. Wer hierin tiefere Bezüge findet, dem
darf man die Freude nicht verderben. Mit andern Eigenheiten ging auch
diese von Siena auf die Peruginer über und kommt bei Pinturicchio von
Neuem zum Vorschein.
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[773/0795] Symbolik. Ihre Unfreiheit. fältig und schön durchgeführtes Werk, aber vollkommen aus der Buch- phantasie, nicht aus der Künstlerphantasie entstanden, wesshalb es denn auch eines Buches zur Erklärung bedarf. Wie anders deutlich und ergreifend spricht der Trionfo della morte. Wie anders gross- artig hätte sich auch das Bild der Kirche symbolisch geben lassen! Freilich im Kloster von S. Maria novella hätte sich auch ein Orcagna einem gegebenen dominicanischen Programm aus guten Gründen ohne Widerrede gefügt. Diese theologisirende Phantasie hat noch mehr als einmal der Kunst den echten Gestaltungstrieb verleidet. Man sehe bei Pietro di Puccio (Camposanto) Gott als Schöpfer und Herrn der Welt darge- stellt. Es ist eine riesige Figur die einen ungeheuern Schild mit den concentrischen Himmelssphären vor den Leib hält; unten schauen die Füsse hervor. Somit ist freilich jeder Gedanke an eine Immanenz Gottes in der Welt beseitigt 1). a Oder die Glorie des heil. Thomas von Aquino, auf einem Altar links in S. Caterina zu Pisa, von einem gewissen Francesco Traini (an sich ein geringes Bild). Hier sollte die geistige Einwirkung, welche der Heilige von verschiedenen Seiten empfangen und auf die Gläubigen ausgeübt, symbolisch dargestellt werden. Der Maler (oder sein Rathgeber) machte diess auf die leichteste Weise mit goldenen Strahlen ab. Von dem oben angebrachten Christus geht je ein Strahl auf jeden der sechs Apostel und drei auf den in der Mitte thronen- den S. Thomas; von jedem Apostel und von den weiter unten stehen- b 1) Wie roh auch jene grosse Zeit noch bisweilen sein konnte, zeigt das Wie- derauftauchen der absurdesten symbolischen Nothbehelfe des frühern Mittel- alters. An der Oberschwelle der Seitenthür von SS. Annunziata in Arezzo sind die vier Evangelisten zwar als menschliche drapirte Halbfiguren, aber mit den Köpfen ihrer Embleme dargestellt. (Noch Spinello wagte Dasselbe zu malen, in einem jetzt untergegangenen Fresco.) — Auch das allzu um- ständliche Verhältniss des Evangelisten zur Feder ist schon ein frühmittel- alterlicher Nothbehelf, den z. B. Bartolo von Siena wieder aufgriff (dortige Acad., erster Gang); Marcus spitzt seine Feder, Lucas besieht sie, Matthäus taucht sie ein, nur Johannes schreibt. Wer hierin tiefere Bezüge findet, dem darf man die Freude nicht verderben. Mit andern Eigenheiten ging auch diese von Siena auf die Peruginer über und kommt bei Pinturicchio von Neuem zum Vorschein.

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 773. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/795>, abgerufen am 17.06.2024.