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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
unwillkürlich, sondern) als Genossinnen und Mitschuldige mit sich
reissen; oder die aufs Höchste gesteigerte Inbrunst des auf einer
Wolke am Rand einer Reihe knieenden Johannes d. T.; es ist rich-
tig und schön gedacht, dass der Vorläufer Christi an diesem höchsten
Akt seiner Macht gerade diesen Antheil habe. Von der himmlischen
Gruppe ist schon die Rede gewesen. -- In S. Maria novella kommt
aeine besondere Darstellung des Paradieses hinzu, welche durch die
süssere Schönheit ihrer Köpfe vor den mehr sinnlich energischen des
Bildes im Camposanto einen gewissen Vorzug hat. Der Unterschied
des seligen Daseins gegenüber dem gewaltigen Act des Gerichtes ist
dadurch ausgedrückt, dass die Köpfe nicht wie hier im Profil gegen
Christus, sondern in ganzer Ansicht gegen den Beschauer gerichtet
sind. Mit so leisen Mitteln muss diese Kunst wirken.

Die Teufel, wo sie vorkommen (ausser den genannten Bildern
bz. B. besonders reichlich in der Cap. d. Spagnuoli, wo Christus im
Limbus erscheint), sind reine Caricaturen und Satan selbst am Mei-
sten. Vor lauter Teufelhaftigkeit haben sie gar nichts Dämonisches.

Von den übrigen symbolischen Compositionen der Schule ist der
cTrionfo della morte weit die bedeutendste. Sie bedarf weiterer Er-
läuterungen gar nicht, weil hier der symbolische Gedanke rein im
Bilde aufgeht. Die Gegensätze sprechen in Gestalt von Gruppen sich
klar genug gegeneinander aus. Orcagna war auch als Künstler dem
ganzen reichen Gedanken völlig gewachsen.

Diess gilt von dem grossen symbolischen Fresco des Ambrogio
dLorenzetti im Pal. pubblico zu Siena, mit der Darstellung der Folgen
des guten und des tyrannischen Regimentes, lange nicht im gleichen
Masse; doch ist die buchmässige Allegorie wenigstens mit Zügen ech-
ter und schöner Symbolik gemischt. (Im Oct. 1853 war die betref-
fende Sala delle Balestre nicht zugänglich.)

e

Dagegen fehlte es den Malern der Capella d. Spagnuoli bei
S. Maria novella nicht an der Gestaltungskraft auch für das Bedeu-
tendste. Ausser jener grossen allegorischen Darstellung (linke Wand)
wo S. Thomas von Aquino in der Mitte aller Wissenschaften und
Künste thront, schufen sie an der rechten Wand ein symbolisches
Bild: die Bestimmung und Macht der Kirche auf Erden. (Das Ein-
zelne ist in den Handbüchern nachzusehen.) Ein überreiches, sorg-

Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
unwillkürlich, sondern) als Genossinnen und Mitschuldige mit sich
reissen; oder die aufs Höchste gesteigerte Inbrunst des auf einer
Wolke am Rand einer Reihe knieenden Johannes d. T.; es ist rich-
tig und schön gedacht, dass der Vorläufer Christi an diesem höchsten
Akt seiner Macht gerade diesen Antheil habe. Von der himmlischen
Gruppe ist schon die Rede gewesen. — In S. Maria novella kommt
aeine besondere Darstellung des Paradieses hinzu, welche durch die
süssere Schönheit ihrer Köpfe vor den mehr sinnlich energischen des
Bildes im Camposanto einen gewissen Vorzug hat. Der Unterschied
des seligen Daseins gegenüber dem gewaltigen Act des Gerichtes ist
dadurch ausgedrückt, dass die Köpfe nicht wie hier im Profil gegen
Christus, sondern in ganzer Ansicht gegen den Beschauer gerichtet
sind. Mit so leisen Mitteln muss diese Kunst wirken.

Die Teufel, wo sie vorkommen (ausser den genannten Bildern
bz. B. besonders reichlich in der Cap. d. Spagnuoli, wo Christus im
Limbus erscheint), sind reine Caricaturen und Satan selbst am Mei-
sten. Vor lauter Teufelhaftigkeit haben sie gar nichts Dämonisches.

Von den übrigen symbolischen Compositionen der Schule ist der
cTrionfo della morte weit die bedeutendste. Sie bedarf weiterer Er-
läuterungen gar nicht, weil hier der symbolische Gedanke rein im
Bilde aufgeht. Die Gegensätze sprechen in Gestalt von Gruppen sich
klar genug gegeneinander aus. Orcagna war auch als Künstler dem
ganzen reichen Gedanken völlig gewachsen.

Diess gilt von dem grossen symbolischen Fresco des Ambrogio
dLorenzetti im Pal. pubblico zu Siena, mit der Darstellung der Folgen
des guten und des tyrannischen Regimentes, lange nicht im gleichen
Masse; doch ist die buchmässige Allegorie wenigstens mit Zügen ech-
ter und schöner Symbolik gemischt. (Im Oct. 1853 war die betref-
fende Sala delle Balestre nicht zugänglich.)

e

Dagegen fehlte es den Malern der Capella d. Spagnuoli bei
S. Maria novella nicht an der Gestaltungskraft auch für das Bedeu-
tendste. Ausser jener grossen allegorischen Darstellung (linke Wand)
wo S. Thomas von Aquino in der Mitte aller Wissenschaften und
Künste thront, schufen sie an der rechten Wand ein symbolisches
Bild: die Bestimmung und Macht der Kirche auf Erden. (Das Ein-
zelne ist in den Handbüchern nachzusehen.) Ein überreiches, sorg-

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[772/0794] Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule. unwillkürlich, sondern) als Genossinnen und Mitschuldige mit sich reissen; oder die aufs Höchste gesteigerte Inbrunst des auf einer Wolke am Rand einer Reihe knieenden Johannes d. T.; es ist rich- tig und schön gedacht, dass der Vorläufer Christi an diesem höchsten Akt seiner Macht gerade diesen Antheil habe. Von der himmlischen Gruppe ist schon die Rede gewesen. — In S. Maria novella kommt eine besondere Darstellung des Paradieses hinzu, welche durch die süssere Schönheit ihrer Köpfe vor den mehr sinnlich energischen des Bildes im Camposanto einen gewissen Vorzug hat. Der Unterschied des seligen Daseins gegenüber dem gewaltigen Act des Gerichtes ist dadurch ausgedrückt, dass die Köpfe nicht wie hier im Profil gegen Christus, sondern in ganzer Ansicht gegen den Beschauer gerichtet sind. Mit so leisen Mitteln muss diese Kunst wirken. a Die Teufel, wo sie vorkommen (ausser den genannten Bildern z. B. besonders reichlich in der Cap. d. Spagnuoli, wo Christus im Limbus erscheint), sind reine Caricaturen und Satan selbst am Mei- sten. Vor lauter Teufelhaftigkeit haben sie gar nichts Dämonisches. b Von den übrigen symbolischen Compositionen der Schule ist der Trionfo della morte weit die bedeutendste. Sie bedarf weiterer Er- läuterungen gar nicht, weil hier der symbolische Gedanke rein im Bilde aufgeht. Die Gegensätze sprechen in Gestalt von Gruppen sich klar genug gegeneinander aus. Orcagna war auch als Künstler dem ganzen reichen Gedanken völlig gewachsen. c Diess gilt von dem grossen symbolischen Fresco des Ambrogio Lorenzetti im Pal. pubblico zu Siena, mit der Darstellung der Folgen des guten und des tyrannischen Regimentes, lange nicht im gleichen Masse; doch ist die buchmässige Allegorie wenigstens mit Zügen ech- ter und schöner Symbolik gemischt. (Im Oct. 1853 war die betref- fende Sala delle Balestre nicht zugänglich.) d Dagegen fehlte es den Malern der Capella d. Spagnuoli bei S. Maria novella nicht an der Gestaltungskraft auch für das Bedeu- tendste. Ausser jener grossen allegorischen Darstellung (linke Wand) wo S. Thomas von Aquino in der Mitte aller Wissenschaften und Künste thront, schufen sie an der rechten Wand ein symbolisches Bild: die Bestimmung und Macht der Kirche auf Erden. (Das Ein- zelne ist in den Handbüchern nachzusehen.) Ein überreiches, sorg-

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 772. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/794>, abgerufen am 17.06.2024.