ten Übermaler wesentlich verändert). Die Hölle ist an beiden letztern Orten mit offenbarem Anschluss an Dante nach Schichten oder Bulgen eingetheilt, in welche die einzelnen Sünderclassen nach Verdienst ein- geordnet sind. Ich überlasse es einem Jeden, über Dante's Unter- nehmen, über diess eigenmächtige Einsperren der ganzen Vor- und Mitwelt in die verschiedenen Behälter seiner drei grossen Räume zu denken wie er will; nur möge man sich im Stillen fragen: wo hätte er dich wohl hingethan? Es ist nicht schwer, diejenigen verschiedenen Höllenbulgen im Gedicht nachzuweisen, wohin z. B. die meisten jetzigen Anbeter des Dichters selbst zu sitzen kämen. Aus dem Gedichte spricht nur zu oft der Geist der unerbittlichen, unauslöschlichen Zwie- tracht, welcher das Unglück Italiens verschuldet hat. Auch in dem symbolischen Inhalt überhaupt, so schwer und künstlich er verarbeitet ist, liegt, wie gesagt, nur der culturgeschichtliche, nicht der poetische Werth der Divina Commedia. Der letztere beruht wesentlich auf der hohen, plastischen Darstellungsweise der einzelnen Motive, auf dem gleichmässig grandiosen Styl, wodurch Dante der Vater der neuern abendländischen Poesie wurde.
Die Malerei konnte sich von dieser Seite seines Wesens nur einen Theil aneignen; das Schön-Episodische fiel in den Höllenbildern weg, und es blieb nur die Gruppirung nackter Körper nach Abthei- lungen als künstlerisch dankbares Element übrig. In dem Bilde des Camposanto ist denn auch die eine Gruppe der zusammengekauerten,a die aneinander nagen, von vorzüglicher Bedeutung. Das Bild in S. Maria novella dagegen, welches Vollständigkeit des Höllencyclusb bezweckt und desshalb nur kleine Figuren enthält, ist künstlerisch so viel als nichtig.
Das Weltgericht selber bleibt von Dante frei, wie sich von selbst versteht. Die Kunst des XIV. Jahrh. zeigt sich hier in ihrer Be- schränkung gross; sie verzichtete im Wesentlichen darauf, das Raum- lose räumlich, das Passive körperlich und dramatisch interessant zu machen; in regelmässigen Schichten von Köpfen drückte sie diesseits Jubel und Seligkeit, jenseits Jammer und Verdammniss collectiv aus; nur mässig aber bedeutend gewählt sind ihre Episoden; in dem Bilde des Camposanto ist z. B. ein Zug der echtesten Symbolik die Gruppec der von Teufelshänden gepackten Frauen, welche die Andern (nicht
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Symbolik. Weltgerichtsbilder.
ten Übermaler wesentlich verändert). Die Hölle ist an beiden letztern Orten mit offenbarem Anschluss an Dante nach Schichten oder Bulgen eingetheilt, in welche die einzelnen Sünderclassen nach Verdienst ein- geordnet sind. Ich überlasse es einem Jeden, über Dante’s Unter- nehmen, über diess eigenmächtige Einsperren der ganzen Vor- und Mitwelt in die verschiedenen Behälter seiner drei grossen Räume zu denken wie er will; nur möge man sich im Stillen fragen: wo hätte er dich wohl hingethan? Es ist nicht schwer, diejenigen verschiedenen Höllenbulgen im Gedicht nachzuweisen, wohin z. B. die meisten jetzigen Anbeter des Dichters selbst zu sitzen kämen. Aus dem Gedichte spricht nur zu oft der Geist der unerbittlichen, unauslöschlichen Zwie- tracht, welcher das Unglück Italiens verschuldet hat. Auch in dem symbolischen Inhalt überhaupt, so schwer und künstlich er verarbeitet ist, liegt, wie gesagt, nur der culturgeschichtliche, nicht der poetische Werth der Divina Commedia. Der letztere beruht wesentlich auf der hohen, plastischen Darstellungsweise der einzelnen Motive, auf dem gleichmässig grandiosen Styl, wodurch Dante der Vater der neuern abendländischen Poesie wurde.
Die Malerei konnte sich von dieser Seite seines Wesens nur einen Theil aneignen; das Schön-Episodische fiel in den Höllenbildern weg, und es blieb nur die Gruppirung nackter Körper nach Abthei- lungen als künstlerisch dankbares Element übrig. In dem Bilde des Camposanto ist denn auch die eine Gruppe der zusammengekauerten,a die aneinander nagen, von vorzüglicher Bedeutung. Das Bild in S. Maria novella dagegen, welches Vollständigkeit des Höllencyclusb bezweckt und desshalb nur kleine Figuren enthält, ist künstlerisch so viel als nichtig.
Das Weltgericht selber bleibt von Dante frei, wie sich von selbst versteht. Die Kunst des XIV. Jahrh. zeigt sich hier in ihrer Be- schränkung gross; sie verzichtete im Wesentlichen darauf, das Raum- lose räumlich, das Passive körperlich und dramatisch interessant zu machen; in regelmässigen Schichten von Köpfen drückte sie diesseits Jubel und Seligkeit, jenseits Jammer und Verdammniss collectiv aus; nur mässig aber bedeutend gewählt sind ihre Episoden; in dem Bilde des Camposanto ist z. B. ein Zug der echtesten Symbolik die Gruppec der von Teufelshänden gepackten Frauen, welche die Andern (nicht
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Symbolik. Weltgerichtsbilder.
ten Übermaler wesentlich verändert). Die Hölle ist an beiden letztern
Orten mit offenbarem Anschluss an Dante nach Schichten oder Bulgen
eingetheilt, in welche die einzelnen Sünderclassen nach Verdienst ein-
geordnet sind. Ich überlasse es einem Jeden, über Dante’s Unter-
nehmen, über diess eigenmächtige Einsperren der ganzen Vor- und
Mitwelt in die verschiedenen Behälter seiner drei grossen Räume zu
denken wie er will; nur möge man sich im Stillen fragen: wo hätte
er dich wohl hingethan? Es ist nicht schwer, diejenigen verschiedenen
Höllenbulgen im Gedicht nachzuweisen, wohin z. B. die meisten jetzigen
Anbeter des Dichters selbst zu sitzen kämen. Aus dem Gedichte
spricht nur zu oft der Geist der unerbittlichen, unauslöschlichen Zwie-
tracht, welcher das Unglück Italiens verschuldet hat. Auch in dem
symbolischen Inhalt überhaupt, so schwer und künstlich er verarbeitet
ist, liegt, wie gesagt, nur der culturgeschichtliche, nicht der poetische
Werth der Divina Commedia. Der letztere beruht wesentlich auf der
hohen, plastischen Darstellungsweise der einzelnen Motive, auf dem
gleichmässig grandiosen Styl, wodurch Dante der Vater der neuern
abendländischen Poesie wurde.
Die Malerei konnte sich von dieser Seite seines Wesens nur
einen Theil aneignen; das Schön-Episodische fiel in den Höllenbildern
weg, und es blieb nur die Gruppirung nackter Körper nach Abthei-
lungen als künstlerisch dankbares Element übrig. In dem Bilde des
Camposanto ist denn auch die eine Gruppe der zusammengekauerten,
die aneinander nagen, von vorzüglicher Bedeutung. Das Bild in
S. Maria novella dagegen, welches Vollständigkeit des Höllencyclus
bezweckt und desshalb nur kleine Figuren enthält, ist künstlerisch so
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Das Weltgericht selber bleibt von Dante frei, wie sich von selbst
versteht. Die Kunst des XIV. Jahrh. zeigt sich hier in ihrer Be-
schränkung gross; sie verzichtete im Wesentlichen darauf, das Raum-
lose räumlich, das Passive körperlich und dramatisch interessant zu
machen; in regelmässigen Schichten von Köpfen drückte sie diesseits
Jubel und Seligkeit, jenseits Jammer und Verdammniss collectiv aus;
nur mässig aber bedeutend gewählt sind ihre Episoden; in dem Bilde
des Camposanto ist z. B. ein Zug der echtesten Symbolik die Gruppe
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 771. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/793>, abgerufen am 18.12.2024.
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