Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.Allegorien. S. Francesco zu Assisi. der Unterkirche von Assisi u. a. eine wirkliche Vermählungsceremonieades heil. Franciscus und einer Figur welche die Armuth darstellt ab- zuschildern; beim Dichter bleibt der Vorgang Symbol und der Leser wird darüber keinen Augenblick getäuscht; beim Maler wird es eben doch eine Trauung, und wenn er noch so viele Winke und Beziehun- gen ringsum aufhäuft, wenn auch Christus dem heil. Franz die Armuth zuführt und es dabei geschehen lässt, dass zwei Buben sie misshan- deln, wenn auch ihr Linnenkleid in Fetzen geht u. dgl. m. Die Ver- pflichtung zur Armuth als eine Vermählung mit ihr zu bezeichnen, ist eine Metapher, und auf eine solche darf man gar nie ein Kunstwerk bauen, weil sie als Metapher, d. h. "Übertragung auf eine neue fin- girte Wirklichkeit" im Bilde ein nothwendig falsches Resultat giebt. Wenn spätere Künstler z. B. die mit der Zeit an den Tag gekommene Wahrheit darstellen wollten, so kam dabei ein absurdes Bild zu Stande wie folgt: ein nackter geflügelter Greis mit Stundenglas und Hippe deckt ein verhülltes Weib auf! -- Sobald man eben die allegorischen Figuren in sinnliche Thätigkeit versetzen muss, ist ohne die Metapher beinahe gar nichts auszurichten und mit ihr nur Widersinniges. Auch die übrigen Allegorien des Mittelgewölbes der Unterkirche von Assisi sind an sich so barock als die des XVII. Jahrhunderts. Da verscheucht die Busse mit einer Geissel die profane Liebe und stürzt die Unrei- nigkeit über den Fels hinab. Die Keuschheit sitzt wohlverwahrt in einem Thurm; die Reinigkeit wascht nackte Leute und die Stärke reicht das Trockentuch dar. Der Gehorsam, von der zweiköpfigen Klugheit und der Demuth begleitet, legt einem Mönch ein Joch auf; einer der anwesenden Engel verjagt einen Centauren, womit der Ei- gensinn, d. h. die phantastische Caprice, gemeint ist. Ohne den tiefen Ernst Giotto's, der auch hier nur das Nothwendige und dieses so deutlich als möglich, -- ohne alle versüssende Coketterie -- ausdrückt, würden diese Scenen profan und langweilig wirken 1). Die Kunst empfand das Ungenügende aller Allegorik auch recht 1) In den ersten Abschnitten des Vasari wird noch mancher Allegorien aus jetzt nicht mehr vorhandenen Werken umständliche Erwähnung gethan. B. Cicerone. 49
Allegorien. S. Francesco zu Assisi. der Unterkirche von Assisi u. a. eine wirkliche Vermählungsceremonieades heil. Franciscus und einer Figur welche die Armuth darstellt ab- zuschildern; beim Dichter bleibt der Vorgang Symbol und der Leser wird darüber keinen Augenblick getäuscht; beim Maler wird es eben doch eine Trauung, und wenn er noch so viele Winke und Beziehun- gen ringsum aufhäuft, wenn auch Christus dem heil. Franz die Armuth zuführt und es dabei geschehen lässt, dass zwei Buben sie misshan- deln, wenn auch ihr Linnenkleid in Fetzen geht u. dgl. m. Die Ver- pflichtung zur Armuth als eine Vermählung mit ihr zu bezeichnen, ist eine Metapher, und auf eine solche darf man gar nie ein Kunstwerk bauen, weil sie als Metapher, d. h. „Übertragung auf eine neue fin- girte Wirklichkeit“ im Bilde ein nothwendig falsches Resultat giebt. Wenn spätere Künstler z. B. die mit der Zeit an den Tag gekommene Wahrheit darstellen wollten, so kam dabei ein absurdes Bild zu Stande wie folgt: ein nackter geflügelter Greis mit Stundenglas und Hippe deckt ein verhülltes Weib auf! — Sobald man eben die allegorischen Figuren in sinnliche Thätigkeit versetzen muss, ist ohne die Metapher beinahe gar nichts auszurichten und mit ihr nur Widersinniges. Auch die übrigen Allegorien des Mittelgewölbes der Unterkirche von Assisi sind an sich so barock als die des XVII. Jahrhunderts. Da verscheucht die Busse mit einer Geissel die profane Liebe und stürzt die Unrei- nigkeit über den Fels hinab. Die Keuschheit sitzt wohlverwahrt in einem Thurm; die Reinigkeit wascht nackte Leute und die Stärke reicht das Trockentuch dar. Der Gehorsam, von der zweiköpfigen Klugheit und der Demuth begleitet, legt einem Mönch ein Joch auf; einer der anwesenden Engel verjagt einen Centauren, womit der Ei- gensinn, d. h. die phantastische Caprice, gemeint ist. Ohne den tiefen Ernst Giotto’s, der auch hier nur das Nothwendige und dieses so deutlich als möglich, — ohne alle versüssende Coketterie — ausdrückt, würden diese Scenen profan und langweilig wirken 1). Die Kunst empfand das Ungenügende aller Allegorik auch recht 1) In den ersten Abschnitten des Vasari wird noch mancher Allegorien aus jetzt nicht mehr vorhandenen Werken umständliche Erwähnung gethan. B. Cicerone. 49
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Allegorien. S. Francesco zu Assisi.
der Unterkirche von Assisi u. a. eine wirkliche Vermählungsceremonie
des heil. Franciscus und einer Figur welche die Armuth darstellt ab-
zuschildern; beim Dichter bleibt der Vorgang Symbol und der Leser
wird darüber keinen Augenblick getäuscht; beim Maler wird es eben
doch eine Trauung, und wenn er noch so viele Winke und Beziehun-
gen ringsum aufhäuft, wenn auch Christus dem heil. Franz die Armuth
zuführt und es dabei geschehen lässt, dass zwei Buben sie misshan-
deln, wenn auch ihr Linnenkleid in Fetzen geht u. dgl. m. Die Ver-
pflichtung zur Armuth als eine Vermählung mit ihr zu bezeichnen, ist
eine Metapher, und auf eine solche darf man gar nie ein Kunstwerk
bauen, weil sie als Metapher, d. h. „Übertragung auf eine neue fin-
girte Wirklichkeit“ im Bilde ein nothwendig falsches Resultat giebt.
Wenn spätere Künstler z. B. die mit der Zeit an den Tag gekommene
Wahrheit darstellen wollten, so kam dabei ein absurdes Bild zu Stande
wie folgt: ein nackter geflügelter Greis mit Stundenglas und Hippe
deckt ein verhülltes Weib auf! — Sobald man eben die allegorischen
Figuren in sinnliche Thätigkeit versetzen muss, ist ohne die Metapher
beinahe gar nichts auszurichten und mit ihr nur Widersinniges. Auch
die übrigen Allegorien des Mittelgewölbes der Unterkirche von Assisi
sind an sich so barock als die des XVII. Jahrhunderts. Da verscheucht
die Busse mit einer Geissel die profane Liebe und stürzt die Unrei-
nigkeit über den Fels hinab. Die Keuschheit sitzt wohlverwahrt in
einem Thurm; die Reinigkeit wascht nackte Leute und die Stärke
reicht das Trockentuch dar. Der Gehorsam, von der zweiköpfigen
Klugheit und der Demuth begleitet, legt einem Mönch ein Joch auf;
einer der anwesenden Engel verjagt einen Centauren, womit der Ei-
gensinn, d. h. die phantastische Caprice, gemeint ist. Ohne den tiefen
Ernst Giotto’s, der auch hier nur das Nothwendige und dieses so
deutlich als möglich, — ohne alle versüssende Coketterie — ausdrückt,
würden diese Scenen profan und langweilig wirken 1).
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Die Kunst empfand das Ungenügende aller Allegorik auch recht
wohl. Als Ergänzung schuf sie z. B. jene meist dem Alterthum ent-
nommenen Repräsentanten der allgemeinen Begriffe, und gesellte sie
1) In den ersten Abschnitten des Vasari wird noch mancher Allegorien aus jetzt
nicht mehr vorhandenen Werken umständliche Erwähnung gethan.
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