Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
gegenkömmt; bei der idealen Betrachtungsweise des Raumes findet es auch äusserlich von selbst seine Stelle. (Erst das XV. Jahrh. fing an, den Himmel durch Wolkenschichten räumlich zu erklären, und erst Coreggio giebt den Wolken jenen bestimmten cubischen Inhalt und Consistenzgrad, welcher sie zur ganz örtlich berechenbaren Unter- bringung von Engeln und Heiligen geeignet macht.) Es sind die seit der altchristlichen Zeit kunstüblichen Gedanken, die in jeder, selbst in verschrumpft byzantinischer Form imponiren, hier aber in schöner Verjüngung auftreten. Das was so lange Jahrhunderte blosse Andeu- tung gewesen war, gewinnt endlich eine erhabene Wirklichkeit, so- weit eine solche überhaupt im Sinne des Jahrhunderts lag.
Hier muss vorläufig von den Weltgerichtsbildern die Rede asein. Es hatten schon lange, auch im Orient solche existirt, ehe Or- cagna das seinige malte (Camposanto). Allein bei ihm erst ist der Richter nicht bloss eine Function, sondern ein persönlicher Charakter, dem die Wendung und die berühmte Geberde ein imposantes Leben verleihen. Der damalige Glaube wies bereits der Madonna eine für- bittende Theilnahme beim Weltgerichte an; der Maler gab ihr den- selben mandelförmigen Heiligenschein (Mandorla) wie Christus; ihre Unterordnung wird nur dadurch angedeutet, dass ihre Stellung der seinigen fast parallel folgt. Die Apostel sind keine blossen Anwesen- den mehr, sondern sie nehmen den stärksten innern Antheil; wir sehen sie trauernd, erschrocken auf den Richter hinblickend, niedergeschlagen in sich gekehrt, auch mit einander redend. Sogar einer der Engel- herolde kauert furchtsam auf einer Wolke, den Mund mit der Hand verdeckend. Höchst energisch vollziehen dann unten fünf Erzengel das Geschäft des Seelenscheidens; in den beiden, welche die Herüber- strebenden in die Hölle zurückdrängen, ist die herbste Wirkung beab- sichtigt und erreicht.
Auch blosse Glorien sind bei dieser Schule immer höchst beach- tenswerth. Die ererbte Symmetrie in der Haltung der Hauptfigur und der Engelschaaren wird mehr oder weniger beibehalten, aber mit gran- diosem Leben durchdrungen. Man kann nichts Eigenthümlicheres sehen, bals (Camposanto, Gesch. des Hiob) die Erscheinung Gottes in ovaler Glorie mit 6 Engeln über einer Landschaft mit grünem Meer, gelber Erde und rothem Himmel; Satan tritt auf einem Fels in Gottes Nähe.
Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
gegenkömmt; bei der idealen Betrachtungsweise des Raumes findet es auch äusserlich von selbst seine Stelle. (Erst das XV. Jahrh. fing an, den Himmel durch Wolkenschichten räumlich zu erklären, und erst Coreggio giebt den Wolken jenen bestimmten cubischen Inhalt und Consistenzgrad, welcher sie zur ganz örtlich berechenbaren Unter- bringung von Engeln und Heiligen geeignet macht.) Es sind die seit der altchristlichen Zeit kunstüblichen Gedanken, die in jeder, selbst in verschrumpft byzantinischer Form imponiren, hier aber in schöner Verjüngung auftreten. Das was so lange Jahrhunderte blosse Andeu- tung gewesen war, gewinnt endlich eine erhabene Wirklichkeit, so- weit eine solche überhaupt im Sinne des Jahrhunderts lag.
Hier muss vorläufig von den Weltgerichtsbildern die Rede asein. Es hatten schon lange, auch im Orient solche existirt, ehe Or- cagna das seinige malte (Camposanto). Allein bei ihm erst ist der Richter nicht bloss eine Function, sondern ein persönlicher Charakter, dem die Wendung und die berühmte Geberde ein imposantes Leben verleihen. Der damalige Glaube wies bereits der Madonna eine für- bittende Theilnahme beim Weltgerichte an; der Maler gab ihr den- selben mandelförmigen Heiligenschein (Mandorla) wie Christus; ihre Unterordnung wird nur dadurch angedeutet, dass ihre Stellung der seinigen fast parallel folgt. Die Apostel sind keine blossen Anwesen- den mehr, sondern sie nehmen den stärksten innern Antheil; wir sehen sie trauernd, erschrocken auf den Richter hinblickend, niedergeschlagen in sich gekehrt, auch mit einander redend. Sogar einer der Engel- herolde kauert furchtsam auf einer Wolke, den Mund mit der Hand verdeckend. Höchst energisch vollziehen dann unten fünf Erzengel das Geschäft des Seelenscheidens; in den beiden, welche die Herüber- strebenden in die Hölle zurückdrängen, ist die herbste Wirkung beab- sichtigt und erreicht.
Auch blosse Glorien sind bei dieser Schule immer höchst beach- tenswerth. Die ererbte Symmetrie in der Haltung der Hauptfigur und der Engelschaaren wird mehr oder weniger beibehalten, aber mit gran- diosem Leben durchdrungen. Man kann nichts Eigenthümlicheres sehen, bals (Camposanto, Gesch. des Hiob) die Erscheinung Gottes in ovaler Glorie mit 6 Engeln über einer Landschaft mit grünem Meer, gelber Erde und rothem Himmel; Satan tritt auf einem Fels in Gottes Nähe.
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Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
gegenkömmt; bei der idealen Betrachtungsweise des Raumes findet es
auch äusserlich von selbst seine Stelle. (Erst das XV. Jahrh. fing
an, den Himmel durch Wolkenschichten räumlich zu erklären, und
erst Coreggio giebt den Wolken jenen bestimmten cubischen Inhalt
und Consistenzgrad, welcher sie zur ganz örtlich berechenbaren Unter-
bringung von Engeln und Heiligen geeignet macht.) Es sind die seit
der altchristlichen Zeit kunstüblichen Gedanken, die in jeder, selbst in
verschrumpft byzantinischer Form imponiren, hier aber in schöner
Verjüngung auftreten. Das was so lange Jahrhunderte blosse Andeu-
tung gewesen war, gewinnt endlich eine erhabene Wirklichkeit, so-
weit eine solche überhaupt im Sinne des Jahrhunderts lag.
Hier muss vorläufig von den Weltgerichtsbildern die Rede
sein. Es hatten schon lange, auch im Orient solche existirt, ehe Or-
cagna das seinige malte (Camposanto). Allein bei ihm erst ist der
Richter nicht bloss eine Function, sondern ein persönlicher Charakter,
dem die Wendung und die berühmte Geberde ein imposantes Leben
verleihen. Der damalige Glaube wies bereits der Madonna eine für-
bittende Theilnahme beim Weltgerichte an; der Maler gab ihr den-
selben mandelförmigen Heiligenschein (Mandorla) wie Christus; ihre
Unterordnung wird nur dadurch angedeutet, dass ihre Stellung der
seinigen fast parallel folgt. Die Apostel sind keine blossen Anwesen-
den mehr, sondern sie nehmen den stärksten innern Antheil; wir sehen
sie trauernd, erschrocken auf den Richter hinblickend, niedergeschlagen
in sich gekehrt, auch mit einander redend. Sogar einer der Engel-
herolde kauert furchtsam auf einer Wolke, den Mund mit der Hand
verdeckend. Höchst energisch vollziehen dann unten fünf Erzengel
das Geschäft des Seelenscheidens; in den beiden, welche die Herüber-
strebenden in die Hölle zurückdrängen, ist die herbste Wirkung beab-
sichtigt und erreicht.
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Auch blosse Glorien sind bei dieser Schule immer höchst beach-
tenswerth. Die ererbte Symmetrie in der Haltung der Hauptfigur und
der Engelschaaren wird mehr oder weniger beibehalten, aber mit gran-
diosem Leben durchdrungen. Man kann nichts Eigenthümlicheres sehen,
als (Camposanto, Gesch. des Hiob) die Erscheinung Gottes in ovaler
Glorie mit 6 Engeln über einer Landschaft mit grünem Meer, gelber
Erde und rothem Himmel; Satan tritt auf einem Fels in Gottes Nähe.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 766. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/788>, abgerufen am 18.12.2024.
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