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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Das höhere Pathos.
halten; zugleich malerisch eine vorzügliche Composition. -- An ein-
fachern Aufgaben zeigt z. B. in der Sacristei von S. Miniato bei Florenza
Spinello seine herbe Grösse. Es sind die oft gemalten Geschichten des
heil. Benedict, hier auf ihren einfachsten Ausdruck zurückgeführt.
Macht und ruhige Autorität liessen sich kaum treffender darstellen,
als hier in Geberde und Gestalt des heiligen Abtes durchweg ge-
schieht; auch die Verführung und die Busse des jungen Mönches, die
Demüthigung des Gothenkönigs, die Gruppe der Mönche um den vom
Teufel in Besitz genommenen Stein gehören zu den geistvollsten Ge-
danken der florent. Schule. Vieles Andere ist dagegen flüchtig gedacht
und roh gegeben. (Überdiess beträchtlich übermalt.)

Je nach der Aufgabe erschöpfen diese Maler bisweilen das Mög-
liche in edler und geistvoller Äusserung der Seelenbewegung.
Ich glaube nicht, dass die Scene des Auferstandenen der seine Wund-
male zeigt, jemals wieder so vollkommen gedacht worden ist als in
der nur stückweise erhaltenen Gruppe des Buffalmaco (Camposanto).b
Statt des einen Thomas sind es mehrere Jünger, die den Auferstan-
denen wieder erkennen und seine Wunden verehrend, anbetend, voll
zärtlicher Theilnahme betrachten; zugleich bilden sie eine der schönst-
geordneten Gruppen der Schule. (Man vergleiche damit Guercino'sc
trefflich gemaltes und dabei so roh empfundenes Bild in der vatican.
Galerie.) Auch in der zunächst folgenden Himmelfahrt hat die stärkste
Übermalung die schönen alten Gedanken nicht gänzlich zerstören kön-
nen: noch sind die Apostel kenntlich getheilt zwischen Augenblendung,
Erstaunen, Betheurung und hingebender Anbetung. Wenn man aber
wissen will, mit wie wenigem sich ein grosser, für jene Zeit erschüt-
ternder Eindruck hervorbringen liess, so betrachte man in der Inco-d
ronata zu Neapel das "Sacrament der Busse"; fast entsetzt wendet
sich der Priester von der beichtenden Frau ab, während die Büsser
verhüllt und gebückt von dannen ziehen. Überhaupt ist die Incoronata
in dieser Beziehung durchgängig eines der wichtigsten Denkmäler.

Die Darstellung des Himmlischen, Heiligen, Übersinn-
lichen
hat noch ganz dieselbe Grundlage wie zur byzantinischen
Zeit; in symmetrischer Gruppirung und Haltung, ganz ernst und ruhig
ragt es in die irdischen Vorgänge herab, als etwas sich von selbst
Verstehendes, dem noch der volle, auch apokalyptische Glaube ent-

Das höhere Pathos.
halten; zugleich malerisch eine vorzügliche Composition. — An ein-
fachern Aufgaben zeigt z. B. in der Sacristei von S. Miniato bei Florenza
Spinello seine herbe Grösse. Es sind die oft gemalten Geschichten des
heil. Benedict, hier auf ihren einfachsten Ausdruck zurückgeführt.
Macht und ruhige Autorität liessen sich kaum treffender darstellen,
als hier in Geberde und Gestalt des heiligen Abtes durchweg ge-
schieht; auch die Verführung und die Busse des jungen Mönches, die
Demüthigung des Gothenkönigs, die Gruppe der Mönche um den vom
Teufel in Besitz genommenen Stein gehören zu den geistvollsten Ge-
danken der florent. Schule. Vieles Andere ist dagegen flüchtig gedacht
und roh gegeben. (Überdiess beträchtlich übermalt.)

Je nach der Aufgabe erschöpfen diese Maler bisweilen das Mög-
liche in edler und geistvoller Äusserung der Seelenbewegung.
Ich glaube nicht, dass die Scene des Auferstandenen der seine Wund-
male zeigt, jemals wieder so vollkommen gedacht worden ist als in
der nur stückweise erhaltenen Gruppe des Buffalmaco (Camposanto).b
Statt des einen Thomas sind es mehrere Jünger, die den Auferstan-
denen wieder erkennen und seine Wunden verehrend, anbetend, voll
zärtlicher Theilnahme betrachten; zugleich bilden sie eine der schönst-
geordneten Gruppen der Schule. (Man vergleiche damit Guercino’sc
trefflich gemaltes und dabei so roh empfundenes Bild in der vatican.
Galerie.) Auch in der zunächst folgenden Himmelfahrt hat die stärkste
Übermalung die schönen alten Gedanken nicht gänzlich zerstören kön-
nen: noch sind die Apostel kenntlich getheilt zwischen Augenblendung,
Erstaunen, Betheurung und hingebender Anbetung. Wenn man aber
wissen will, mit wie wenigem sich ein grosser, für jene Zeit erschüt-
ternder Eindruck hervorbringen liess, so betrachte man in der Inco-d
ronata zu Neapel das „Sacrament der Busse“; fast entsetzt wendet
sich der Priester von der beichtenden Frau ab, während die Büsser
verhüllt und gebückt von dannen ziehen. Überhaupt ist die Incoronata
in dieser Beziehung durchgängig eines der wichtigsten Denkmäler.

Die Darstellung des Himmlischen, Heiligen, Übersinn-
lichen
hat noch ganz dieselbe Grundlage wie zur byzantinischen
Zeit; in symmetrischer Gruppirung und Haltung, ganz ernst und ruhig
ragt es in die irdischen Vorgänge herab, als etwas sich von selbst
Verstehendes, dem noch der volle, auch apokalyptische Glaube ent-

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[765/0787] Das höhere Pathos. halten; zugleich malerisch eine vorzügliche Composition. — An ein- fachern Aufgaben zeigt z. B. in der Sacristei von S. Miniato bei Florenz Spinello seine herbe Grösse. Es sind die oft gemalten Geschichten des heil. Benedict, hier auf ihren einfachsten Ausdruck zurückgeführt. Macht und ruhige Autorität liessen sich kaum treffender darstellen, als hier in Geberde und Gestalt des heiligen Abtes durchweg ge- schieht; auch die Verführung und die Busse des jungen Mönches, die Demüthigung des Gothenkönigs, die Gruppe der Mönche um den vom Teufel in Besitz genommenen Stein gehören zu den geistvollsten Ge- danken der florent. Schule. Vieles Andere ist dagegen flüchtig gedacht und roh gegeben. (Überdiess beträchtlich übermalt.) a Je nach der Aufgabe erschöpfen diese Maler bisweilen das Mög- liche in edler und geistvoller Äusserung der Seelenbewegung. Ich glaube nicht, dass die Scene des Auferstandenen der seine Wund- male zeigt, jemals wieder so vollkommen gedacht worden ist als in der nur stückweise erhaltenen Gruppe des Buffalmaco (Camposanto). Statt des einen Thomas sind es mehrere Jünger, die den Auferstan- denen wieder erkennen und seine Wunden verehrend, anbetend, voll zärtlicher Theilnahme betrachten; zugleich bilden sie eine der schönst- geordneten Gruppen der Schule. (Man vergleiche damit Guercino’s trefflich gemaltes und dabei so roh empfundenes Bild in der vatican. Galerie.) Auch in der zunächst folgenden Himmelfahrt hat die stärkste Übermalung die schönen alten Gedanken nicht gänzlich zerstören kön- nen: noch sind die Apostel kenntlich getheilt zwischen Augenblendung, Erstaunen, Betheurung und hingebender Anbetung. Wenn man aber wissen will, mit wie wenigem sich ein grosser, für jene Zeit erschüt- ternder Eindruck hervorbringen liess, so betrachte man in der Inco- ronata zu Neapel das „Sacrament der Busse“; fast entsetzt wendet sich der Priester von der beichtenden Frau ab, während die Büsser verhüllt und gebückt von dannen ziehen. Überhaupt ist die Incoronata in dieser Beziehung durchgängig eines der wichtigsten Denkmäler. b c d Die Darstellung des Himmlischen, Heiligen, Übersinn- lichen hat noch ganz dieselbe Grundlage wie zur byzantinischen Zeit; in symmetrischer Gruppirung und Haltung, ganz ernst und ruhig ragt es in die irdischen Vorgänge herab, als etwas sich von selbst Verstehendes, dem noch der volle, auch apokalyptische Glaube ent-

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 765. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/787>, abgerufen am 18.12.2024.