höher und geistiger gegriffen als bei Vielen der Grössten unter allen die nach ihm kamen.
Was hier an einem monumentalen Werke ersten Ranges gross erscheint, ist es nicht minder an den kleinen, fast skizzenhaften Ge-a schichten Christi in der Acad. von Florenz. (Sie stammen nebst den als Parallele behandelten Geschichten des heil. Franciscus von den Sacristeischränken von S. Croce her; von den ehemals 26 fehlen 6.) Auch hier wird man die prägnanteste Erzählung in den geistvollsten Zügen antreffen. (Zu vergleichen mit der Pforte des Andrea Pisano, S. 573, a.)
Mit der Intention, diese unsterblichen Gedanken zu finden, muss der Beschauer an Giotto's Schöpfungen herantreten. Die Schule hat sie von ihm ererbt und weiter verwerthet. Wo sie aber mit einer so glor- reichen Unmittelbarkeit zu uns reden wie z. B. in den eben genannten Werken und in dem Abendmahl des Refectoriums von S. Croce, da fühlen wir uns in Gegenwart des Meisters selbst.
Die Anwesenden, welche ausser den Handelnden die ein- zelnen Scenen beleben, sind keine müssigen Füllfiguren, wie sie die spätere Kunst oft aus rein malerischer Absicht, um das Auge zu vergnügen hinzugethan hat, sondern immer wesentliche Mittel der Ver- deutlichung, Reflexe, ohne welche die Handlung weniger sprechend wäre. Man sehe in der Cap. Peruzzi zu S. Croce die Auferstehungb eines Heiligen (von Giotto?); hier wird das Wunder erst wirklich durch das mit voller dramatischer Grösse gegebene Verhalten der entsetzten und erstaunten Zuschauer. Gegenüber, in der Geschichte des Täufers, erhält die Scene, wo sein Haupt gebracht wird, ihre ganze Gewalt erst durch die beiden Zuschauer, die sich voll innern Grauens aneinanderschliessen. -- Hundert anderer Beispiele zu ge- schweigen.
Bisweilen treten auch einzelne Figuren und Gruppen aus der Handlung heraus, indem sie nur dazu bestimmt sind, eine Örtlichkeit oder Existenz zu versinnlichen; im Grunde sind es reine Genrefigu- ren. So der Fischer in Giotto's Navicella (Vorhalle von S. Peter),c obschon man diesen auch als symbolisches Gegenbild zu dem rechts stehenden Christus auffassen kann; eine ganze Fischerscene bei An-d tonio Veneziano (Camposanto, Gesch. des heil. Ranieri) u. dgl. m.
Giotto’s Erzählungsweise. Die Assistenz.
höher und geistiger gegriffen als bei Vielen der Grössten unter allen die nach ihm kamen.
Was hier an einem monumentalen Werke ersten Ranges gross erscheint, ist es nicht minder an den kleinen, fast skizzenhaften Ge-a schichten Christi in der Acad. von Florenz. (Sie stammen nebst den als Parallele behandelten Geschichten des heil. Franciscus von den Sacristeischränken von S. Croce her; von den ehemals 26 fehlen 6.) Auch hier wird man die prägnanteste Erzählung in den geistvollsten Zügen antreffen. (Zu vergleichen mit der Pforte des Andrea Pisano, S. 573, a.)
Mit der Intention, diese unsterblichen Gedanken zu finden, muss der Beschauer an Giotto’s Schöpfungen herantreten. Die Schule hat sie von ihm ererbt und weiter verwerthet. Wo sie aber mit einer so glor- reichen Unmittelbarkeit zu uns reden wie z. B. in den eben genannten Werken und in dem Abendmahl des Refectoriums von S. Croce, da fühlen wir uns in Gegenwart des Meisters selbst.
Die Anwesenden, welche ausser den Handelnden die ein- zelnen Scenen beleben, sind keine müssigen Füllfiguren, wie sie die spätere Kunst oft aus rein malerischer Absicht, um das Auge zu vergnügen hinzugethan hat, sondern immer wesentliche Mittel der Ver- deutlichung, Reflexe, ohne welche die Handlung weniger sprechend wäre. Man sehe in der Cap. Peruzzi zu S. Croce die Auferstehungb eines Heiligen (von Giotto?); hier wird das Wunder erst wirklich durch das mit voller dramatischer Grösse gegebene Verhalten der entsetzten und erstaunten Zuschauer. Gegenüber, in der Geschichte des Täufers, erhält die Scene, wo sein Haupt gebracht wird, ihre ganze Gewalt erst durch die beiden Zuschauer, die sich voll innern Grauens aneinanderschliessen. — Hundert anderer Beispiele zu ge- schweigen.
Bisweilen treten auch einzelne Figuren und Gruppen aus der Handlung heraus, indem sie nur dazu bestimmt sind, eine Örtlichkeit oder Existenz zu versinnlichen; im Grunde sind es reine Genrefigu- ren. So der Fischer in Giotto’s Navicella (Vorhalle von S. Peter),c obschon man diesen auch als symbolisches Gegenbild zu dem rechts stehenden Christus auffassen kann; eine ganze Fischerscene bei An-d tonio Veneziano (Camposanto, Gesch. des heil. Ranieri) u. dgl. m.
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Giotto’s Erzählungsweise. Die Assistenz.
höher und geistiger gegriffen als bei Vielen der Grössten unter allen
die nach ihm kamen.
Was hier an einem monumentalen Werke ersten Ranges gross
erscheint, ist es nicht minder an den kleinen, fast skizzenhaften Ge-
schichten Christi in der Acad. von Florenz. (Sie stammen nebst den
als Parallele behandelten Geschichten des heil. Franciscus von den
Sacristeischränken von S. Croce her; von den ehemals 26 fehlen 6.)
Auch hier wird man die prägnanteste Erzählung in den geistvollsten
Zügen antreffen. (Zu vergleichen mit der Pforte des Andrea Pisano,
S. 573, a.)
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Mit der Intention, diese unsterblichen Gedanken zu finden, muss
der Beschauer an Giotto’s Schöpfungen herantreten. Die Schule hat sie
von ihm ererbt und weiter verwerthet. Wo sie aber mit einer so glor-
reichen Unmittelbarkeit zu uns reden wie z. B. in den eben genannten
Werken und in dem Abendmahl des Refectoriums von S. Croce, da
fühlen wir uns in Gegenwart des Meisters selbst.
Die Anwesenden, welche ausser den Handelnden die ein-
zelnen Scenen beleben, sind keine müssigen Füllfiguren, wie sie die
spätere Kunst oft aus rein malerischer Absicht, um das Auge zu
vergnügen hinzugethan hat, sondern immer wesentliche Mittel der Ver-
deutlichung, Reflexe, ohne welche die Handlung weniger sprechend
wäre. Man sehe in der Cap. Peruzzi zu S. Croce die Auferstehung
eines Heiligen (von Giotto?); hier wird das Wunder erst wirklich
durch das mit voller dramatischer Grösse gegebene Verhalten der
entsetzten und erstaunten Zuschauer. Gegenüber, in der Geschichte
des Täufers, erhält die Scene, wo sein Haupt gebracht wird, ihre
ganze Gewalt erst durch die beiden Zuschauer, die sich voll innern
Grauens aneinanderschliessen. — Hundert anderer Beispiele zu ge-
schweigen.
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Bisweilen treten auch einzelne Figuren und Gruppen aus der
Handlung heraus, indem sie nur dazu bestimmt sind, eine Örtlichkeit
oder Existenz zu versinnlichen; im Grunde sind es reine Genrefigu-
ren. So der Fischer in Giotto’s Navicella (Vorhalle von S. Peter),
obschon man diesen auch als symbolisches Gegenbild zu dem rechts
stehenden Christus auffassen kann; eine ganze Fischerscene bei An-
tonio Veneziano (Camposanto, Gesch. des heil. Ranieri) u. dgl. m.
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 763. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/785>, abgerufen am 18.12.2024.
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