Buch und Attribut; der hohe Charakter des Darzustellenden drückt sich in der lebensvollen und würdigen Wendung der Gestalt und des Hauptes, in den bedeutenden Zügen, in der freien und doch so feier- lich wallenden Gewandung aus. Wie soll man z. B. den Johannes grösser fassen als diese Schule zu thun pflegt, -- ein hochbejahrter Greis, in tiefem Sinnen vor sich hinblickend, indem sein Adler scheu zu ihm emporsieht?
Ehe von den grössern Compositionen die Rede ist, muss zu- gestanden werden, dass die Motive des Einzelnen und des Ganzen in dieser Schule sich gerade so wiederholen wie in der antiken Kunst. (Man vergleiche z. B. die drei Leben der Maria in der Cap. Baroncellia zu S. Croce, im Chor der Sacristei ebenda, und in der Madonnen-b capelle des Domes von Prato.) Die Maler sind desshalb keine Pla-c giatoren und Einer von ihnen hat auch den Andern gewiss nicht dafür gehalten; es war gemeinsames Schulgut, das Jeder nach Kräften re- producirte, nicht knechtisch, sondern lebendig und mit freien Zuthaten. Kirchen und Klöster verlangten die ihnen bekannte und keine andere Erzählungsweise der Passion, des Lebens der Maria, der Geschichten des heil. Franciscus etc. Sie verlangten von dem Künstler noch nicht seine geniale Subjectivität, sondern die Sache; es kam auf das Deut- liche und Schöne, nicht auf das Eigenthümliche an. Daneben aber blieb, wie wir bald sehen werden, noch ein reiches und grosses Feld für freie Aufgaben im Sinne jenes Jahrhunderts offen.
Wie viel von jenem Gemeingut hat Giotto selber geschaffen? Die Frage wäre für Jemanden, der alle Werke der Schule nach ein- ander mit Musse untersuchen könnte, nicht unlösbar; wir haben darauf zu verzichten. So viel ist gewiss, dass ein Strom von Erfindung und Neuschöpfung von ihm ausgegangen sein muss. Vielleicht hat kein anderer Maler seine Kunst so gänzlich umgestaltet und neu orientirt hinterlassen als er.
Sein Jugendwerk, die Fresken in Madonna dell' Arena zud Padua, sind für ihn und die ganze neue Geschichtsdarstellung der Schule in besonderm Grade bezeichnend. Jeder Thatsache ist ihre bedeutendste Seite abgewonnen um auf diese die Darstellung zu bauen. Wir wählen nur einige irdische, zum Theil alltägliche Vorgänge; ihr Werth liegt in dem was sich von selbst zu verstehen scheint, bei
Raumdarstellung. Auffassung der Thatsachen.
Buch und Attribut; der hohe Charakter des Darzustellenden drückt sich in der lebensvollen und würdigen Wendung der Gestalt und des Hauptes, in den bedeutenden Zügen, in der freien und doch so feier- lich wallenden Gewandung aus. Wie soll man z. B. den Johannes grösser fassen als diese Schule zu thun pflegt, — ein hochbejahrter Greis, in tiefem Sinnen vor sich hinblickend, indem sein Adler scheu zu ihm emporsieht?
Ehe von den grössern Compositionen die Rede ist, muss zu- gestanden werden, dass die Motive des Einzelnen und des Ganzen in dieser Schule sich gerade so wiederholen wie in der antiken Kunst. (Man vergleiche z. B. die drei Leben der Maria in der Cap. Baroncellia zu S. Croce, im Chor der Sacristei ebenda, und in der Madonnen-b capelle des Domes von Prato.) Die Maler sind desshalb keine Pla-c giatoren und Einer von ihnen hat auch den Andern gewiss nicht dafür gehalten; es war gemeinsames Schulgut, das Jeder nach Kräften re- producirte, nicht knechtisch, sondern lebendig und mit freien Zuthaten. Kirchen und Klöster verlangten die ihnen bekannte und keine andere Erzählungsweise der Passion, des Lebens der Maria, der Geschichten des heil. Franciscus etc. Sie verlangten von dem Künstler noch nicht seine geniale Subjectivität, sondern die Sache; es kam auf das Deut- liche und Schöne, nicht auf das Eigenthümliche an. Daneben aber blieb, wie wir bald sehen werden, noch ein reiches und grosses Feld für freie Aufgaben im Sinne jenes Jahrhunderts offen.
Wie viel von jenem Gemeingut hat Giotto selber geschaffen? Die Frage wäre für Jemanden, der alle Werke der Schule nach ein- ander mit Musse untersuchen könnte, nicht unlösbar; wir haben darauf zu verzichten. So viel ist gewiss, dass ein Strom von Erfindung und Neuschöpfung von ihm ausgegangen sein muss. Vielleicht hat kein anderer Maler seine Kunst so gänzlich umgestaltet und neu orientirt hinterlassen als er.
Sein Jugendwerk, die Fresken in Madonna dell’ Arena zud Padua, sind für ihn und die ganze neue Geschichtsdarstellung der Schule in besonderm Grade bezeichnend. Jeder Thatsache ist ihre bedeutendste Seite abgewonnen um auf diese die Darstellung zu bauen. Wir wählen nur einige irdische, zum Theil alltägliche Vorgänge; ihr Werth liegt in dem was sich von selbst zu verstehen scheint, bei
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Raumdarstellung. Auffassung der Thatsachen.
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sich in der lebensvollen und würdigen Wendung der Gestalt und des
Hauptes, in den bedeutenden Zügen, in der freien und doch so feier-
lich wallenden Gewandung aus. Wie soll man z. B. den Johannes
grösser fassen als diese Schule zu thun pflegt, — ein hochbejahrter
Greis, in tiefem Sinnen vor sich hinblickend, indem sein Adler scheu
zu ihm emporsieht?
Ehe von den grössern Compositionen die Rede ist, muss zu-
gestanden werden, dass die Motive des Einzelnen und des Ganzen in
dieser Schule sich gerade so wiederholen wie in der antiken Kunst.
(Man vergleiche z. B. die drei Leben der Maria in der Cap. Baroncelli
zu S. Croce, im Chor der Sacristei ebenda, und in der Madonnen-
capelle des Domes von Prato.) Die Maler sind desshalb keine Pla-
giatoren und Einer von ihnen hat auch den Andern gewiss nicht dafür
gehalten; es war gemeinsames Schulgut, das Jeder nach Kräften re-
producirte, nicht knechtisch, sondern lebendig und mit freien Zuthaten.
Kirchen und Klöster verlangten die ihnen bekannte und keine andere
Erzählungsweise der Passion, des Lebens der Maria, der Geschichten
des heil. Franciscus etc. Sie verlangten von dem Künstler noch nicht
seine geniale Subjectivität, sondern die Sache; es kam auf das Deut-
liche und Schöne, nicht auf das Eigenthümliche an. Daneben aber
blieb, wie wir bald sehen werden, noch ein reiches und grosses Feld
für freie Aufgaben im Sinne jenes Jahrhunderts offen.
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Die Frage wäre für Jemanden, der alle Werke der Schule nach ein-
ander mit Musse untersuchen könnte, nicht unlösbar; wir haben
darauf zu verzichten. So viel ist gewiss, dass ein Strom von Erfindung
und Neuschöpfung von ihm ausgegangen sein muss. Vielleicht hat kein
anderer Maler seine Kunst so gänzlich umgestaltet und neu orientirt
hinterlassen als er.
Sein Jugendwerk, die Fresken in Madonna dell’ Arena zu
Padua, sind für ihn und die ganze neue Geschichtsdarstellung der
Schule in besonderm Grade bezeichnend. Jeder Thatsache ist ihre
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 761. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/783>, abgerufen am 18.12.2024.
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