Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
rahmung des ganzen Gemäldes zusammenstimmten; auch z. B. die aPflanzen und Bäume in gerader Reihe (Cap. d. Spagn.; Trionfo della bmorte im Camposanto); die Felsen abgestuft zu Erzweckung ver- schiedener Pläne, und schroff geschärft zur Trennung verschiedener Ereignisse. (In dem letztgenannten Bilde. Merkwürdig contrastirt da- selbst der unverkürzte, raumlos dargestellte Teppich unter der Gruppe im Garten mit dem schon naturwahr dargestellten Fussboden unter der Reitergruppe.) -- Aber noch in einem andern Sinn ist das Raum- gefühl ein ideales. Der Raum ist nämlich bei Giotto dazu vorhanden, um möglichst mit reichem Leben ausgefüllt zu werden, nicht um selber malerisch mitzuwirken; er gilt durchaus nur als Schauplatz. Wie schon bei Giovanni Pisano, so wird eben hier jeder Vorgang in einer möglichst grossen Anzahl von Figuren entwickelt oder gespiegelt, neben welchen die Nebensachen schon räumlich nicht aufkommen kön- nen. Die Schule hat so viel vom Besten vorräthig, dass sie mit ihrem Reichthum nicht wohin weiss und des Untergeordneten nicht zu be- dürfen glaubt. Endlich lebt sie in einem innigen Verhältniss zur Ar- chitektur, die ihr dafür eine ganz andere Freiheit, zumal grössere Flächen gewährt als im Norden. Bei der Verzierung der Gewölbe- rippen, bei ihrer Einrahmung mit Ornamenten und Halbfiguren arbeiten Maler und Baumeister so zusammen, dass sie Eine Person scheinen. -- In den Gewölbemalereien ist, beiläufig gesagt, noch von keiner cArt illusionärer Verkürzung die Rede. (Incoronata in Neapel; Giotto füllt die zusammenlaufenden Winkel seiner acht Dreieckfelder hier jedesmal mit einem schwebenden Engel aus, dessen Goldgewand herr- lich zu dem dunkelblauen Grunde stimmt.)
Auf diesen Voraussetzungen beruht nun die ganz neue Auffas- sung der Charaktere und der Thatsachen, welche das grosse Verdienst der Schule ausmacht. In der Intention ist sie nicht heiliger, erhabener als die Byzantiner auch waren, die ja gern in ihren Mu- miengestalten das Übersinnliche und Ewige ausgesprochen hätten. Allein sie bringt diese Intention dem Beschauer unendlich näher, in- dem sie dieselbe mit einem durchaus neugeschaffenen, lebendigen Aus- druck bekleidet. Schon ihren Einzelgestalten, etwa den Evangelisten din den vier Kappen eines Gewölbes (z. B. Madonnencapelle im Dom von Prato etc. etc.) genügt jetzt nicht mehr symmetrische Stellung,
Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
rahmung des ganzen Gemäldes zusammenstimmten; auch z. B. die aPflanzen und Bäume in gerader Reihe (Cap. d. Spagn.; Trionfo della bmorte im Camposanto); die Felsen abgestuft zu Erzweckung ver- schiedener Pläne, und schroff geschärft zur Trennung verschiedener Ereignisse. (In dem letztgenannten Bilde. Merkwürdig contrastirt da- selbst der unverkürzte, raumlos dargestellte Teppich unter der Gruppe im Garten mit dem schon naturwahr dargestellten Fussboden unter der Reitergruppe.) — Aber noch in einem andern Sinn ist das Raum- gefühl ein ideales. Der Raum ist nämlich bei Giotto dazu vorhanden, um möglichst mit reichem Leben ausgefüllt zu werden, nicht um selber malerisch mitzuwirken; er gilt durchaus nur als Schauplatz. Wie schon bei Giovanni Pisano, so wird eben hier jeder Vorgang in einer möglichst grossen Anzahl von Figuren entwickelt oder gespiegelt, neben welchen die Nebensachen schon räumlich nicht aufkommen kön- nen. Die Schule hat so viel vom Besten vorräthig, dass sie mit ihrem Reichthum nicht wohin weiss und des Untergeordneten nicht zu be- dürfen glaubt. Endlich lebt sie in einem innigen Verhältniss zur Ar- chitektur, die ihr dafür eine ganz andere Freiheit, zumal grössere Flächen gewährt als im Norden. Bei der Verzierung der Gewölbe- rippen, bei ihrer Einrahmung mit Ornamenten und Halbfiguren arbeiten Maler und Baumeister so zusammen, dass sie Eine Person scheinen. — In den Gewölbemalereien ist, beiläufig gesagt, noch von keiner cArt illusionärer Verkürzung die Rede. (Incoronata in Neapel; Giotto füllt die zusammenlaufenden Winkel seiner acht Dreieckfelder hier jedesmal mit einem schwebenden Engel aus, dessen Goldgewand herr- lich zu dem dunkelblauen Grunde stimmt.)
Auf diesen Voraussetzungen beruht nun die ganz neue Auffas- sung der Charaktere und der Thatsachen, welche das grosse Verdienst der Schule ausmacht. In der Intention ist sie nicht heiliger, erhabener als die Byzantiner auch waren, die ja gern in ihren Mu- miengestalten das Übersinnliche und Ewige ausgesprochen hätten. Allein sie bringt diese Intention dem Beschauer unendlich näher, in- dem sie dieselbe mit einem durchaus neugeschaffenen, lebendigen Aus- druck bekleidet. Schon ihren Einzelgestalten, etwa den Evangelisten din den vier Kappen eines Gewölbes (z. B. Madonnencapelle im Dom von Prato etc. etc.) genügt jetzt nicht mehr symmetrische Stellung,
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Malerei des germanischen Styles. Giotto und Schule.
rahmung des ganzen Gemäldes zusammenstimmten; auch z. B. die
Pflanzen und Bäume in gerader Reihe (Cap. d. Spagn.; Trionfo della
morte im Camposanto); die Felsen abgestuft zu Erzweckung ver-
schiedener Pläne, und schroff geschärft zur Trennung verschiedener
Ereignisse. (In dem letztgenannten Bilde. Merkwürdig contrastirt da-
selbst der unverkürzte, raumlos dargestellte Teppich unter der Gruppe
im Garten mit dem schon naturwahr dargestellten Fussboden unter
der Reitergruppe.) — Aber noch in einem andern Sinn ist das Raum-
gefühl ein ideales. Der Raum ist nämlich bei Giotto dazu vorhanden,
um möglichst mit reichem Leben ausgefüllt zu werden, nicht um selber
malerisch mitzuwirken; er gilt durchaus nur als Schauplatz. Wie
schon bei Giovanni Pisano, so wird eben hier jeder Vorgang in
einer möglichst grossen Anzahl von Figuren entwickelt oder gespiegelt,
neben welchen die Nebensachen schon räumlich nicht aufkommen kön-
nen. Die Schule hat so viel vom Besten vorräthig, dass sie mit ihrem
Reichthum nicht wohin weiss und des Untergeordneten nicht zu be-
dürfen glaubt. Endlich lebt sie in einem innigen Verhältniss zur Ar-
chitektur, die ihr dafür eine ganz andere Freiheit, zumal grössere
Flächen gewährt als im Norden. Bei der Verzierung der Gewölbe-
rippen, bei ihrer Einrahmung mit Ornamenten und Halbfiguren arbeiten
Maler und Baumeister so zusammen, dass sie Eine Person scheinen.
— In den Gewölbemalereien ist, beiläufig gesagt, noch von keiner
Art illusionärer Verkürzung die Rede. (Incoronata in Neapel; Giotto
füllt die zusammenlaufenden Winkel seiner acht Dreieckfelder hier
jedesmal mit einem schwebenden Engel aus, dessen Goldgewand herr-
lich zu dem dunkelblauen Grunde stimmt.)
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Auf diesen Voraussetzungen beruht nun die ganz neue Auffas-
sung der Charaktere und der Thatsachen, welche das grosse
Verdienst der Schule ausmacht. In der Intention ist sie nicht heiliger,
erhabener als die Byzantiner auch waren, die ja gern in ihren Mu-
miengestalten das Übersinnliche und Ewige ausgesprochen hätten.
Allein sie bringt diese Intention dem Beschauer unendlich näher, in-
dem sie dieselbe mit einem durchaus neugeschaffenen, lebendigen Aus-
druck bekleidet. Schon ihren Einzelgestalten, etwa den Evangelisten
in den vier Kappen eines Gewölbes (z. B. Madonnencapelle im Dom
von Prato etc. etc.) genügt jetzt nicht mehr symmetrische Stellung,
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 760. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/782>, abgerufen am 18.12.2024.
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