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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des romanischen Styles. Rom. Neapel.
aganz hedeutend. Das Letztere ist eine der grössten vorgiottesken
Leistungen, vorzüglich was die Gruppe im blauen, goldgestirnten
Mittelrund betrifft; während Christus die Maria krönt, hebt sie, an-
betend und zugleich bescheiden abwehrend, die Hände auf. Zu der
schönen, schwungvollen Formenbildung kommt dann noch, hauptsäch-
lich in den an Cimabue erinnernden Engeln, ein wahrhaft holder Aus-
druck, und in der Anordnung des Ganzen jene seit Cimabue wieder
völlig erweckte hohe decorative Fülle und Freiheit. -- Auch an den
boben (S. 166, b und c) genannten beiden Grabmälern von dem Cos-
maten Johannes sind die bescheidenen Mosaiken ebenfalls würdig
und anmuthig in gleichem Grade. -- Die erzählenden Mosaiken der
calten Fassade von S. Maria maggiore (bequem sichtbar in der obern
Loggia der neuern), gegen 1300 von Philippus Rusuti verfertigt,
sind zwar nicht sehr geistreich erfunden, aber wiederum merkwürdig
durch die freie, hier an Pompejanisches erinnernde Vertheilung in
eine bauliche Decoration.

Während in diesen römischen Arbeiten der Byzantinismus schon
nahezu überwunden erscheint, herrscht er aber in Neapel noch
dweiter. Das schöne Mosaik einer Madonna mit zwei Heiligen in
S. Restituta (eine der Cap. links) zeigt diesen Styl (um 1300) in einer
ähnlichen edeln Weise belebt wie etwa bei Cimabue. -- Von einem
Zeitgenossen des letztern, Tommaso degli Stefani (1230--1310),
ewar eine Capelle des Domes (Cap. Minutoli, am rechten Querschiff)
ausgemalt; alte und neue Übermalungen haben jedoch dem Werke
seinen Charakter völlig genommen.


Diejenige erste grosse Blüthe der italienischen Malerei, welche
mit der germanischen Gesammtkunst parallel geht und welche wir
auch in diesem Gebiete als germanischen Styl bezeichnen, hat
vor der Malerei des Nordens schon einen beträchtlichen äussern Vor-
theil voraus; sie ist nicht eine blosse Dienerin der Architektur, son-
dern besitzt ein unabhängiges Leben und erhält Wandflächen zur

Malerei des romanischen Styles. Rom. Neapel.
aganz hedeutend. Das Letztere ist eine der grössten vorgiottesken
Leistungen, vorzüglich was die Gruppe im blauen, goldgestirnten
Mittelrund betrifft; während Christus die Maria krönt, hebt sie, an-
betend und zugleich bescheiden abwehrend, die Hände auf. Zu der
schönen, schwungvollen Formenbildung kommt dann noch, hauptsäch-
lich in den an Cimabue erinnernden Engeln, ein wahrhaft holder Aus-
druck, und in der Anordnung des Ganzen jene seit Cimabue wieder
völlig erweckte hohe decorative Fülle und Freiheit. — Auch an den
boben (S. 166, b und c) genannten beiden Grabmälern von dem Cos-
maten Johannes sind die bescheidenen Mosaiken ebenfalls würdig
und anmuthig in gleichem Grade. — Die erzählenden Mosaiken der
calten Fassade von S. Maria maggiore (bequem sichtbar in der obern
Loggia der neuern), gegen 1300 von Philippus Rusuti verfertigt,
sind zwar nicht sehr geistreich erfunden, aber wiederum merkwürdig
durch die freie, hier an Pompejanisches erinnernde Vertheilung in
eine bauliche Decoration.

Während in diesen römischen Arbeiten der Byzantinismus schon
nahezu überwunden erscheint, herrscht er aber in Neapel noch
dweiter. Das schöne Mosaik einer Madonna mit zwei Heiligen in
S. Restituta (eine der Cap. links) zeigt diesen Styl (um 1300) in einer
ähnlichen edeln Weise belebt wie etwa bei Cimabue. — Von einem
Zeitgenossen des letztern, Tommaso degli Stefani (1230—1310),
ewar eine Capelle des Domes (Cap. Minutoli, am rechten Querschiff)
ausgemalt; alte und neue Übermalungen haben jedoch dem Werke
seinen Charakter völlig genommen.


Diejenige erste grosse Blüthe der italienischen Malerei, welche
mit der germanischen Gesammtkunst parallel geht und welche wir
auch in diesem Gebiete als germanischen Styl bezeichnen, hat
vor der Malerei des Nordens schon einen beträchtlichen äussern Vor-
theil voraus; sie ist nicht eine blosse Dienerin der Architektur, son-
dern besitzt ein unabhängiges Leben und erhält Wandflächen zur

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[748/0770] Malerei des romanischen Styles. Rom. Neapel. ganz hedeutend. Das Letztere ist eine der grössten vorgiottesken Leistungen, vorzüglich was die Gruppe im blauen, goldgestirnten Mittelrund betrifft; während Christus die Maria krönt, hebt sie, an- betend und zugleich bescheiden abwehrend, die Hände auf. Zu der schönen, schwungvollen Formenbildung kommt dann noch, hauptsäch- lich in den an Cimabue erinnernden Engeln, ein wahrhaft holder Aus- druck, und in der Anordnung des Ganzen jene seit Cimabue wieder völlig erweckte hohe decorative Fülle und Freiheit. — Auch an den oben (S. 166, b und c) genannten beiden Grabmälern von dem Cos- maten Johannes sind die bescheidenen Mosaiken ebenfalls würdig und anmuthig in gleichem Grade. — Die erzählenden Mosaiken der alten Fassade von S. Maria maggiore (bequem sichtbar in der obern Loggia der neuern), gegen 1300 von Philippus Rusuti verfertigt, sind zwar nicht sehr geistreich erfunden, aber wiederum merkwürdig durch die freie, hier an Pompejanisches erinnernde Vertheilung in eine bauliche Decoration. a b c Während in diesen römischen Arbeiten der Byzantinismus schon nahezu überwunden erscheint, herrscht er aber in Neapel noch weiter. Das schöne Mosaik einer Madonna mit zwei Heiligen in S. Restituta (eine der Cap. links) zeigt diesen Styl (um 1300) in einer ähnlichen edeln Weise belebt wie etwa bei Cimabue. — Von einem Zeitgenossen des letztern, Tommaso degli Stefani (1230—1310), war eine Capelle des Domes (Cap. Minutoli, am rechten Querschiff) ausgemalt; alte und neue Übermalungen haben jedoch dem Werke seinen Charakter völlig genommen. d e Diejenige erste grosse Blüthe der italienischen Malerei, welche mit der germanischen Gesammtkunst parallel geht und welche wir auch in diesem Gebiete als germanischen Styl bezeichnen, hat vor der Malerei des Nordens schon einen beträchtlichen äussern Vor- theil voraus; sie ist nicht eine blosse Dienerin der Architektur, son- dern besitzt ein unabhängiges Leben und erhält Wandflächen zur

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 748. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/770>, abgerufen am 17.06.2024.