weit über jenen ersten Versuch des Jacobus (S. 744, d) hinausgeht. Das erste Kreuzgewölbe vom Portal an, mit den vier Kirchenvätern, die ihren Schreibern dictiren, schien mir (1848) so erneut, dass ich keinen alten Maler hätte dafür verantwortlich machen mögen; doch kam dem Obengenannten auch 1821 die Farbe hier "vorzüglich frisch er- halten" vor; der Tradition nach ebenfalls von Cimabue. Im mittlern Kreuzgewölbe über dem Altar sind von demselben die vier Evange- listen gemalt, jeder sitzend schreibend, gegen eine thurmreiche Stadt geneigt, noch ziemlich ungeschickt byzantinisirend. (So lauten meine allerdings nicht an Ort und Stelle gemachten Notizen von 1848; der Obengenannte will diese Figuren schon 1821 nicht mehr vor- gefunden haben.) 5) Die obern Wandbilder des ganzen Langhauses mit sechszehn Geschichten des alten und sechszehn des neuen Testa- mentes, ehemals die Hauptleistung Cimabue's. Aus dem jetzt fast vollendeten Ruin derselben schaut noch hie und da ein energisches, selbst grossartiges Motiv hervor, das uns ahnen lässt, wie der Mei- ster hier sich von den byzantinischen Compositionstypen fast völlig frei gemacht, wie er die Momente neu und lebendig entwickelt, die Gruppirung zur bedeutungsvollen Mitwirkung herbei gezogen habe; das Detail als solches ist noch nicht individuell belebt, die Köpfe noch aohne den Ausdruck des Augenblickes. 6) Die untern Wandbilder des Langhauses mit den Geschichten des heil. Franz, Werke verschie- dener Giottesken des XIV. Jahrh., mit einem byzantinischen Nach- klang; wahrscheinlich unter dem Einfluss von Giotto's Compositionen desselben Inhaltes (an den Sacristeischränken von S. Croce in Flo- renz, jetzt in der dortigen Academie) entstanden; von Rumohr dem Parri Spinello zugeschrieben.
Die Umgebung Cimabue's war in der Anerkennung des Neuen, bwelches er repräsentirte, getheilter Ansicht. Der unbekannte Ver- fertiger des Tribunenmosaiks von S. Miniato bei Florenz (1297?) zeigt sich als verstockten Byzantiner; das Erwachen des Natursinns be- schränkt sich auf die Thierfiguren, welche den grünen Wiesenboden cseines Bildes bevölkern. -- Dagegen verräth Gaddo Gaddis Lu- nette mit Mariä Krönung innen über dem Hauptportal des Domes trotz der vollen byzantinischen Prachttechnik den tiefen Eindruck, welchen Cimabue's Madonnen hervorgebracht hatten. -- Schon mehr gegen
Malerei des romanischen Styles. Cimabue.
weit über jenen ersten Versuch des Jacobus (S. 744, d) hinausgeht. Das erste Kreuzgewölbe vom Portal an, mit den vier Kirchenvätern, die ihren Schreibern dictiren, schien mir (1848) so erneut, dass ich keinen alten Maler hätte dafür verantwortlich machen mögen; doch kam dem Obengenannten auch 1821 die Farbe hier „vorzüglich frisch er- halten“ vor; der Tradition nach ebenfalls von Cimabue. Im mittlern Kreuzgewölbe über dem Altar sind von demselben die vier Evange- listen gemalt, jeder sitzend schreibend, gegen eine thurmreiche Stadt geneigt, noch ziemlich ungeschickt byzantinisirend. (So lauten meine allerdings nicht an Ort und Stelle gemachten Notizen von 1848; der Obengenannte will diese Figuren schon 1821 nicht mehr vor- gefunden haben.) 5) Die obern Wandbilder des ganzen Langhauses mit sechszehn Geschichten des alten und sechszehn des neuen Testa- mentes, ehemals die Hauptleistung Cimabue’s. Aus dem jetzt fast vollendeten Ruin derselben schaut noch hie und da ein energisches, selbst grossartiges Motiv hervor, das uns ahnen lässt, wie der Mei- ster hier sich von den byzantinischen Compositionstypen fast völlig frei gemacht, wie er die Momente neu und lebendig entwickelt, die Gruppirung zur bedeutungsvollen Mitwirkung herbei gezogen habe; das Detail als solches ist noch nicht individuell belebt, die Köpfe noch aohne den Ausdruck des Augenblickes. 6) Die untern Wandbilder des Langhauses mit den Geschichten des heil. Franz, Werke verschie- dener Giottesken des XIV. Jahrh., mit einem byzantinischen Nach- klang; wahrscheinlich unter dem Einfluss von Giotto’s Compositionen desselben Inhaltes (an den Sacristeischränken von S. Croce in Flo- renz, jetzt in der dortigen Academie) entstanden; von Rumohr dem Parri Spinello zugeschrieben.
Die Umgebung Cimabue’s war in der Anerkennung des Neuen, bwelches er repräsentirte, getheilter Ansicht. Der unbekannte Ver- fertiger des Tribunenmosaiks von S. Miniato bei Florenz (1297?) zeigt sich als verstockten Byzantiner; das Erwachen des Natursinns be- schränkt sich auf die Thierfiguren, welche den grünen Wiesenboden cseines Bildes bevölkern. — Dagegen verräth Gaddo Gaddis Lu- nette mit Mariä Krönung innen über dem Hauptportal des Domes trotz der vollen byzantinischen Prachttechnik den tiefen Eindruck, welchen Cimabue’s Madonnen hervorgebracht hatten. — Schon mehr gegen
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Malerei des romanischen Styles. Cimabue.
weit über jenen ersten Versuch des Jacobus (S. 744, d) hinausgeht. Das
erste Kreuzgewölbe vom Portal an, mit den vier Kirchenvätern, die
ihren Schreibern dictiren, schien mir (1848) so erneut, dass ich keinen
alten Maler hätte dafür verantwortlich machen mögen; doch kam
dem Obengenannten auch 1821 die Farbe hier „vorzüglich frisch er-
halten“ vor; der Tradition nach ebenfalls von Cimabue. Im mittlern
Kreuzgewölbe über dem Altar sind von demselben die vier Evange-
listen gemalt, jeder sitzend schreibend, gegen eine thurmreiche Stadt
geneigt, noch ziemlich ungeschickt byzantinisirend. (So lauten meine
allerdings nicht an Ort und Stelle gemachten Notizen von 1848;
der Obengenannte will diese Figuren schon 1821 nicht mehr vor-
gefunden haben.) 5) Die obern Wandbilder des ganzen Langhauses
mit sechszehn Geschichten des alten und sechszehn des neuen Testa-
mentes, ehemals die Hauptleistung Cimabue’s. Aus dem jetzt fast
vollendeten Ruin derselben schaut noch hie und da ein energisches,
selbst grossartiges Motiv hervor, das uns ahnen lässt, wie der Mei-
ster hier sich von den byzantinischen Compositionstypen fast völlig
frei gemacht, wie er die Momente neu und lebendig entwickelt, die
Gruppirung zur bedeutungsvollen Mitwirkung herbei gezogen habe;
das Detail als solches ist noch nicht individuell belebt, die Köpfe noch
ohne den Ausdruck des Augenblickes. 6) Die untern Wandbilder des
Langhauses mit den Geschichten des heil. Franz, Werke verschie-
dener Giottesken des XIV. Jahrh., mit einem byzantinischen Nach-
klang; wahrscheinlich unter dem Einfluss von Giotto’s Compositionen
desselben Inhaltes (an den Sacristeischränken von S. Croce in Flo-
renz, jetzt in der dortigen Academie) entstanden; von Rumohr dem
Parri Spinello zugeschrieben.
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Die Umgebung Cimabue’s war in der Anerkennung des Neuen,
welches er repräsentirte, getheilter Ansicht. Der unbekannte Ver-
fertiger des Tribunenmosaiks von S. Miniato bei Florenz (1297?) zeigt
sich als verstockten Byzantiner; das Erwachen des Natursinns be-
schränkt sich auf die Thierfiguren, welche den grünen Wiesenboden
seines Bildes bevölkern. — Dagegen verräth Gaddo Gaddis Lu-
nette mit Mariä Krönung innen über dem Hauptportal des Domes trotz
der vollen byzantinischen Prachttechnik den tiefen Eindruck, welchen
Cimabue’s Madonnen hervorgebracht hatten. — Schon mehr gegen
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 746. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/768>, abgerufen am 18.12.2024.
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