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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Cimabue.

In die Zeit der Crisis, welche sich an diesem Denkmal verewigt,
fiel nun die Jugend des Florentiners Cimabue (1240? bis nach 1300).
Von einem durchgehenden Gegensatz gegen die Byzantiner ist gerade
bei ihm am wenigsten die Rede; noch in seinem letzten grossen Werk,a
dem Christus zwischen Maria und Johannes d. T. in der Halbkuppel
des Domchores von Pisa, fügte er sich fast ganz der gewohnten Auf-
fassung. Allein innerhalb dieser Schranken fängt Schönheit und Leben
sich zu regen an. Seine zwei grossen Madonnenbilder machten
Epoche in der christlichen Kunst. Das eine, jetzt in der Academieb
zu Florenz, erreicht zwar in der freien und geschickten Schiebung der
Hauptfiguren nicht einmal den Guido von Siena, aber es zeigt haupt-
sächlich in den Köpfen der Engel, dass der Meister von den Ursachen
und Elementen menschlicher Anmuth schon ein klares Bewusstsein
hatte. Das andere, in S. Maria novella (Cap. Ruccellai, am rechtenc
Querschiff) ist ungleich vorzüglicher und unbefangener; hier erwacht
bereits ein eigentlicher Natursinn, der sich mit conventioneller Be-
zeichnung eines abgeschlossenen Kreises von Dingen nie mehr zu-
frieden geben wird. -- Aber sein ganzes Können offenbarte C. erst
in den Fresken der Oberkirche S. Francesco zu Assisi. Leider sindd
dieselben sehr zerstört, so dass jedes einzelne Bild eine besondere
Anstrengung der Phantasie verlangt. Der erste und letzte genauere
Berichterstatter (Carl Witte, im Kunstblatt 1821, Nr. 40--46) muss
sie noch in besserm Zustande gesehen haben. Er unterscheidet: 1) Ano-
nyme Malereien byzantinischen Styles (welchem sie indess nach sei-
ner Schilderung schwerlich entsprechen) über der Galerie in beiden
Armen des Querschiffes. 2) Die oben erwähnten Arbeiten des Giunta
Pisano, Geschichten der Jungfrau und der Apostel im Chor und Quer-
schiff, nebst einer Kreuzigung im südlichen Arme des letztern. (Alles
kenntlich an dem durchgängig schwarz gewordenen Bleiweiss.) 3) Eine
ebenfalls sonst dem Giunta beigelegte, aber eher dem Cimabue gehö-
rende Kreuzigung im nördlichen Arme. 4) Von den Kreuzgewölben
des Langhauses enthält das dritte vom Portal an gerechnet noch die
oben (S. 130, a) erwähnte Malerei Cimabue's, deren decorative An-
ordnung (Rundbilder Christi, der Maria und zweier Heiligen, auf Engel
vom Victorientypus gestützt, mit Festons eingefasst, die aus Gefässen
hervorwachsen, welche von nackten Genien getragen werden) bereits

Cimabue.

In die Zeit der Crisis, welche sich an diesem Denkmal verewigt,
fiel nun die Jugend des Florentiners Cimabue (1240? bis nach 1300).
Von einem durchgehenden Gegensatz gegen die Byzantiner ist gerade
bei ihm am wenigsten die Rede; noch in seinem letzten grossen Werk,a
dem Christus zwischen Maria und Johannes d. T. in der Halbkuppel
des Domchores von Pisa, fügte er sich fast ganz der gewohnten Auf-
fassung. Allein innerhalb dieser Schranken fängt Schönheit und Leben
sich zu regen an. Seine zwei grossen Madonnenbilder machten
Epoche in der christlichen Kunst. Das eine, jetzt in der Academieb
zu Florenz, erreicht zwar in der freien und geschickten Schiebung der
Hauptfiguren nicht einmal den Guido von Siena, aber es zeigt haupt-
sächlich in den Köpfen der Engel, dass der Meister von den Ursachen
und Elementen menschlicher Anmuth schon ein klares Bewusstsein
hatte. Das andere, in S. Maria novella (Cap. Ruccellai, am rechtenc
Querschiff) ist ungleich vorzüglicher und unbefangener; hier erwacht
bereits ein eigentlicher Natursinn, der sich mit conventioneller Be-
zeichnung eines abgeschlossenen Kreises von Dingen nie mehr zu-
frieden geben wird. — Aber sein ganzes Können offenbarte C. erst
in den Fresken der Oberkirche S. Francesco zu Assisi. Leider sindd
dieselben sehr zerstört, so dass jedes einzelne Bild eine besondere
Anstrengung der Phantasie verlangt. Der erste und letzte genauere
Berichterstatter (Carl Witte, im Kunstblatt 1821, Nr. 40—46) muss
sie noch in besserm Zustande gesehen haben. Er unterscheidet: 1) Ano-
nyme Malereien byzantinischen Styles (welchem sie indess nach sei-
ner Schilderung schwerlich entsprechen) über der Galerie in beiden
Armen des Querschiffes. 2) Die oben erwähnten Arbeiten des Giunta
Pisano, Geschichten der Jungfrau und der Apostel im Chor und Quer-
schiff, nebst einer Kreuzigung im südlichen Arme des letztern. (Alles
kenntlich an dem durchgängig schwarz gewordenen Bleiweiss.) 3) Eine
ebenfalls sonst dem Giunta beigelegte, aber eher dem Cimabue gehö-
rende Kreuzigung im nördlichen Arme. 4) Von den Kreuzgewölben
des Langhauses enthält das dritte vom Portal an gerechnet noch die
oben (S. 130, a) erwähnte Malerei Cimabue’s, deren decorative An-
ordnung (Rundbilder Christi, der Maria und zweier Heiligen, auf Engel
vom Victorientypus gestützt, mit Festons eingefasst, die aus Gefässen
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[745/0767] Cimabue. In die Zeit der Crisis, welche sich an diesem Denkmal verewigt, fiel nun die Jugend des Florentiners Cimabue (1240? bis nach 1300). Von einem durchgehenden Gegensatz gegen die Byzantiner ist gerade bei ihm am wenigsten die Rede; noch in seinem letzten grossen Werk, dem Christus zwischen Maria und Johannes d. T. in der Halbkuppel des Domchores von Pisa, fügte er sich fast ganz der gewohnten Auf- fassung. Allein innerhalb dieser Schranken fängt Schönheit und Leben sich zu regen an. Seine zwei grossen Madonnenbilder machten Epoche in der christlichen Kunst. Das eine, jetzt in der Academie zu Florenz, erreicht zwar in der freien und geschickten Schiebung der Hauptfiguren nicht einmal den Guido von Siena, aber es zeigt haupt- sächlich in den Köpfen der Engel, dass der Meister von den Ursachen und Elementen menschlicher Anmuth schon ein klares Bewusstsein hatte. Das andere, in S. Maria novella (Cap. Ruccellai, am rechten Querschiff) ist ungleich vorzüglicher und unbefangener; hier erwacht bereits ein eigentlicher Natursinn, der sich mit conventioneller Be- zeichnung eines abgeschlossenen Kreises von Dingen nie mehr zu- frieden geben wird. — Aber sein ganzes Können offenbarte C. erst in den Fresken der Oberkirche S. Francesco zu Assisi. Leider sind dieselben sehr zerstört, so dass jedes einzelne Bild eine besondere Anstrengung der Phantasie verlangt. Der erste und letzte genauere Berichterstatter (Carl Witte, im Kunstblatt 1821, Nr. 40—46) muss sie noch in besserm Zustande gesehen haben. Er unterscheidet: 1) Ano- nyme Malereien byzantinischen Styles (welchem sie indess nach sei- ner Schilderung schwerlich entsprechen) über der Galerie in beiden Armen des Querschiffes. 2) Die oben erwähnten Arbeiten des Giunta Pisano, Geschichten der Jungfrau und der Apostel im Chor und Quer- schiff, nebst einer Kreuzigung im südlichen Arme des letztern. (Alles kenntlich an dem durchgängig schwarz gewordenen Bleiweiss.) 3) Eine ebenfalls sonst dem Giunta beigelegte, aber eher dem Cimabue gehö- rende Kreuzigung im nördlichen Arme. 4) Von den Kreuzgewölben des Langhauses enthält das dritte vom Portal an gerechnet noch die oben (S. 130, a) erwähnte Malerei Cimabue’s, deren decorative An- ordnung (Rundbilder Christi, der Maria und zweier Heiligen, auf Engel vom Victorientypus gestützt, mit Festons eingefasst, die aus Gefässen hervorwachsen, welche von nackten Genien getragen werden) bereits a b c d

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 745. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/767>, abgerufen am 17.06.2024.