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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Malerei des romanischen Styles. Giunta. Florentiner.
von derjenigen Guido's abhängig, sondern ein Rückschritt ins Rohe
und Starre.

Von einem Zeitgenossen Guido's, von Giunta Pisano, ist bei-
nahe unnütz zu sprechen, da die ihm zugeschriebenen Fresken in der
aOberkirche von Assisi leider so viel als erloschen sind. Es war
darunter jene phantastische Scene des Simon Magus, der von den
Dämonen in der Luft herumgezerrt wird; einzelne byzantinische Minia-
turen enthalten Ähnliches, hier aber war, alten Abbildungen zufolge,
den Dämonen zum erstenmal Leidenschaft und rechte momentane Ge-
walt gegeben. (1848 sah ich von diesem Fresco nur noch einen mat-
bten Schimmer.) Die 5 Halbfiguren von Heiligen in der Academie zu
cPisa tragen Giunta's Namen kaum mit Recht; der Crucifixus in S. Ra-
nieri ebenda ist kaum sichtbar. Eine kenntliche Parallele zu dem
Streben des grossen Bildhauers Niccolo Pisano (S. 563) bieten die
erhaltenen pisanischen Malereien nicht dar.

In Florenz war die Ausschmückung des Baptisteriums die
Hauptaufgabe für die erste Hälfte des XIII. Jahrh. und noch für Jahr-
dzehnde weiter. Die Chornische, seit 1225 von einem Mönch Jaco-
bus
mosaicirt, enthält eine vorzüglich bedeutende Neuerung; kniende
Figuren auf korinthischen Capitälen sind als Träger des Mittelbildes
angewandt, einer der frühsten rein künstlerischen Gedanken, denn
wenn diese Träger auch einen symbolischen Sinn haben mögen, so
functioniren sie doch hauptsächlich der bessern Raumvertheilung zu
Liebe, von der die byzantinische Kunst, im ausschliesslichen Dienst
der Tendenz, gar keine Notiz genommen hatte; sie sind die Urväter
eder Trag- und Füllfiguren der Sistina. Im Kuppelraum selbst ist der
grosse Christus von dem Florentiner Andrea Tafi (1213--1294)
innerhalb der byzant. Umrisse eine sehr bedeutende, neu und würdig
belebte Gestalt. Die concentrischen Streifen mit biblischen Geschich-
ten und Engelchören, welche den Rest der Kuppel einnehmen, ver-
rathen vier bis fünf verschiedene Hände; einiges ist rein byzantinisch
und darf wohl am ehesten dem Griechen Apollonius zugeschrieben
werden, welcher aus Venedig herübergekommen war; anderes ist rein
romanisch und erinnert an das Bapt. von Parma; wieder anderes ist
von gemischtem Styl. Ausserdem lernt hier die Mosaikmalerei der
Architektur dienen an Friesen, Balustraden u. a. Bautheilen.

Malerei des romanischen Styles. Giunta. Florentiner.
von derjenigen Guido’s abhängig, sondern ein Rückschritt ins Rohe
und Starre.

Von einem Zeitgenossen Guido’s, von Giunta Pisano, ist bei-
nahe unnütz zu sprechen, da die ihm zugeschriebenen Fresken in der
aOberkirche von Assisi leider so viel als erloschen sind. Es war
darunter jene phantastische Scene des Simon Magus, der von den
Dämonen in der Luft herumgezerrt wird; einzelne byzantinische Minia-
turen enthalten Ähnliches, hier aber war, alten Abbildungen zufolge,
den Dämonen zum erstenmal Leidenschaft und rechte momentane Ge-
walt gegeben. (1848 sah ich von diesem Fresco nur noch einen mat-
bten Schimmer.) Die 5 Halbfiguren von Heiligen in der Academie zu
cPisa tragen Giunta’s Namen kaum mit Recht; der Crucifixus in S. Ra-
nieri ebenda ist kaum sichtbar. Eine kenntliche Parallele zu dem
Streben des grossen Bildhauers Niccolò Pisano (S. 563) bieten die
erhaltenen pisanischen Malereien nicht dar.

In Florenz war die Ausschmückung des Baptisteriums die
Hauptaufgabe für die erste Hälfte des XIII. Jahrh. und noch für Jahr-
dzehnde weiter. Die Chornische, seit 1225 von einem Mönch Jaco-
bus
mosaicirt, enthält eine vorzüglich bedeutende Neuerung; kniende
Figuren auf korinthischen Capitälen sind als Träger des Mittelbildes
angewandt, einer der frühsten rein künstlerischen Gedanken, denn
wenn diese Träger auch einen symbolischen Sinn haben mögen, so
functioniren sie doch hauptsächlich der bessern Raumvertheilung zu
Liebe, von der die byzantinische Kunst, im ausschliesslichen Dienst
der Tendenz, gar keine Notiz genommen hatte; sie sind die Urväter
eder Trag- und Füllfiguren der Sistina. Im Kuppelraum selbst ist der
grosse Christus von dem Florentiner Andrea Tafi (1213—1294)
innerhalb der byzant. Umrisse eine sehr bedeutende, neu und würdig
belebte Gestalt. Die concentrischen Streifen mit biblischen Geschich-
ten und Engelchören, welche den Rest der Kuppel einnehmen, ver-
rathen vier bis fünf verschiedene Hände; einiges ist rein byzantinisch
und darf wohl am ehesten dem Griechen Apollonius zugeschrieben
werden, welcher aus Venedig herübergekommen war; anderes ist rein
romanisch und erinnert an das Bapt. von Parma; wieder anderes ist
von gemischtem Styl. Ausserdem lernt hier die Mosaikmalerei der
Architektur dienen an Friesen, Balustraden u. a. Bautheilen.

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[744/0766] Malerei des romanischen Styles. Giunta. Florentiner. von derjenigen Guido’s abhängig, sondern ein Rückschritt ins Rohe und Starre. Von einem Zeitgenossen Guido’s, von Giunta Pisano, ist bei- nahe unnütz zu sprechen, da die ihm zugeschriebenen Fresken in der Oberkirche von Assisi leider so viel als erloschen sind. Es war darunter jene phantastische Scene des Simon Magus, der von den Dämonen in der Luft herumgezerrt wird; einzelne byzantinische Minia- turen enthalten Ähnliches, hier aber war, alten Abbildungen zufolge, den Dämonen zum erstenmal Leidenschaft und rechte momentane Ge- walt gegeben. (1848 sah ich von diesem Fresco nur noch einen mat- ten Schimmer.) Die 5 Halbfiguren von Heiligen in der Academie zu Pisa tragen Giunta’s Namen kaum mit Recht; der Crucifixus in S. Ra- nieri ebenda ist kaum sichtbar. Eine kenntliche Parallele zu dem Streben des grossen Bildhauers Niccolò Pisano (S. 563) bieten die erhaltenen pisanischen Malereien nicht dar. a b c In Florenz war die Ausschmückung des Baptisteriums die Hauptaufgabe für die erste Hälfte des XIII. Jahrh. und noch für Jahr- zehnde weiter. Die Chornische, seit 1225 von einem Mönch Jaco- bus mosaicirt, enthält eine vorzüglich bedeutende Neuerung; kniende Figuren auf korinthischen Capitälen sind als Träger des Mittelbildes angewandt, einer der frühsten rein künstlerischen Gedanken, denn wenn diese Träger auch einen symbolischen Sinn haben mögen, so functioniren sie doch hauptsächlich der bessern Raumvertheilung zu Liebe, von der die byzantinische Kunst, im ausschliesslichen Dienst der Tendenz, gar keine Notiz genommen hatte; sie sind die Urväter der Trag- und Füllfiguren der Sistina. Im Kuppelraum selbst ist der grosse Christus von dem Florentiner Andrea Tafi (1213—1294) innerhalb der byzant. Umrisse eine sehr bedeutende, neu und würdig belebte Gestalt. Die concentrischen Streifen mit biblischen Geschich- ten und Engelchören, welche den Rest der Kuppel einnehmen, ver- rathen vier bis fünf verschiedene Hände; einiges ist rein byzantinisch und darf wohl am ehesten dem Griechen Apollonius zugeschrieben werden, welcher aus Venedig herübergekommen war; anderes ist rein romanisch und erinnert an das Bapt. von Parma; wieder anderes ist von gemischtem Styl. Ausserdem lernt hier die Mosaikmalerei der Architektur dienen an Friesen, Balustraden u. a. Bautheilen. d e

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 744. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/766>, abgerufen am 17.06.2024.