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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Genre. Kleinere mythologische Bilder.

Sonst möchten im Allgemeinen die meist kleinen Genrescenen
den Vorzug vor den heroischen und grössern haben. Pompeji hat
einige kostbare Prachtstücke geliefert, wie die beiden feinen Mosaiken
mit dem Künstlernamen Dioscorides, die beliebten Theaterproben dar-a
stellend (I. Saal links). Man wird denselben indess einige flüchtige
Malereien vorziehen müssen. Weniges möchte an stillem Zauber der
Gruppe von drei sich unterhaltenden Frauen (mit einer Säule und Ge-
büsch im Hintergrunde) gleichkommen (II. Saal rechts); auf dieserb
Bahn war Rafael, als er die zweite Reihe der Geschichten der Psy-
che entwarf. Von zaghafter Dilettantenhand scheinen einige rothbraune
Zeichnungen auf Marmorplatten (ebenda) herzurühren; darunter ver-
räth hauptsächlich das Genrebild der knöchelspielenden Mädchen ein
herrliches Original. Gegenüber wird man ein kleines, unscheinbares
Bildchen nur mit Mühe finden; es ist die so schön gedachte Scene:
"Wer kauft Liebesgötter?" -- Die schmausenden und ruhenden Lie-
bespaare (ebenda) weisen ebenfalls auf einen schönen griechischen
Gedanken zurück.

Auch mehrere unter den kleinern mythologischen Bildern, welche
die Mittelfelder an den Wänden gewöhnlicher pompejanischer Häuser
bildeten (und zum Theil noch an Ort und Stelle bilden) möchten bis-
weilen als harmonisches Ganzes einen besondern und abgeschlossenen
Werth haben. So das beste der Narcissbilder, auch das kleine mitc
Bacchus und Ariadne (I. Saal rechts); mehrere bacchische Scenen
(II. Saal rechts); Venus als Fischerin (mehrmals) u. s. w. Das ver-
dorbene Bildchen "Hylas und die Nymphen" (Fensterwand des II. Saales
rechts) zeigt ein sehr glückliches Motiv. Einen Faun, der eine Nym-
phe bewältigt und auf den Rücken gelegt hat und sie küsst, nebst
einigen andern vorzüglichen Scenen, die nicht anstössiger sind als
Manches, was hier ausgestellt ist, wird man in den Abbildungen auf-
suchen müssen, wenn sie nicht etwa doch in unsichtbarem Dunkel
oben an irgend einer Wand hängen.

Den unmittelbarsten und ungestörtesten Eindruck griechischen
Geistes machen aber (nach meinem Gefühl) überhaupt nicht die voll-
ständigen Gemälde, sondern jene zahlreichen decorativ angewandten
einzelnen Figuren und Gruppen, welche theils auf einfarbigem
Grunde stehen, theils zur Belebung der gemalten Architektur (Seite

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Genre. Kleinere mythologische Bilder.

Sonst möchten im Allgemeinen die meist kleinen Genrescenen
den Vorzug vor den heroischen und grössern haben. Pompeji hat
einige kostbare Prachtstücke geliefert, wie die beiden feinen Mosaiken
mit dem Künstlernamen Dioscorides, die beliebten Theaterproben dar-a
stellend (I. Saal links). Man wird denselben indess einige flüchtige
Malereien vorziehen müssen. Weniges möchte an stillem Zauber der
Gruppe von drei sich unterhaltenden Frauen (mit einer Säule und Ge-
büsch im Hintergrunde) gleichkommen (II. Saal rechts); auf dieserb
Bahn war Rafael, als er die zweite Reihe der Geschichten der Psy-
che entwarf. Von zaghafter Dilettantenhand scheinen einige rothbraune
Zeichnungen auf Marmorplatten (ebenda) herzurühren; darunter ver-
räth hauptsächlich das Genrebild der knöchelspielenden Mädchen ein
herrliches Original. Gegenüber wird man ein kleines, unscheinbares
Bildchen nur mit Mühe finden; es ist die so schön gedachte Scene:
„Wer kauft Liebesgötter?“ — Die schmausenden und ruhenden Lie-
bespaare (ebenda) weisen ebenfalls auf einen schönen griechischen
Gedanken zurück.

Auch mehrere unter den kleinern mythologischen Bildern, welche
die Mittelfelder an den Wänden gewöhnlicher pompejanischer Häuser
bildeten (und zum Theil noch an Ort und Stelle bilden) möchten bis-
weilen als harmonisches Ganzes einen besondern und abgeschlossenen
Werth haben. So das beste der Narcissbilder, auch das kleine mitc
Bacchus und Ariadne (I. Saal rechts); mehrere bacchische Scenen
(II. Saal rechts); Venus als Fischerin (mehrmals) u. s. w. Das ver-
dorbene Bildchen „Hylas und die Nymphen“ (Fensterwand des II. Saales
rechts) zeigt ein sehr glückliches Motiv. Einen Faun, der eine Nym-
phe bewältigt und auf den Rücken gelegt hat und sie küsst, nebst
einigen andern vorzüglichen Scenen, die nicht anstössiger sind als
Manches, was hier ausgestellt ist, wird man in den Abbildungen auf-
suchen müssen, wenn sie nicht etwa doch in unsichtbarem Dunkel
oben an irgend einer Wand hängen.

Den unmittelbarsten und ungestörtesten Eindruck griechischen
Geistes machen aber (nach meinem Gefühl) überhaupt nicht die voll-
ständigen Gemälde, sondern jene zahlreichen decorativ angewandten
einzelnen Figuren und Gruppen, welche theils auf einfarbigem
Grunde stehen, theils zur Belebung der gemalten Architektur (Seite

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[723/0745] Genre. Kleinere mythologische Bilder. Sonst möchten im Allgemeinen die meist kleinen Genrescenen den Vorzug vor den heroischen und grössern haben. Pompeji hat einige kostbare Prachtstücke geliefert, wie die beiden feinen Mosaiken mit dem Künstlernamen Dioscorides, die beliebten Theaterproben dar- stellend (I. Saal links). Man wird denselben indess einige flüchtige Malereien vorziehen müssen. Weniges möchte an stillem Zauber der Gruppe von drei sich unterhaltenden Frauen (mit einer Säule und Ge- büsch im Hintergrunde) gleichkommen (II. Saal rechts); auf dieser Bahn war Rafael, als er die zweite Reihe der Geschichten der Psy- che entwarf. Von zaghafter Dilettantenhand scheinen einige rothbraune Zeichnungen auf Marmorplatten (ebenda) herzurühren; darunter ver- räth hauptsächlich das Genrebild der knöchelspielenden Mädchen ein herrliches Original. Gegenüber wird man ein kleines, unscheinbares Bildchen nur mit Mühe finden; es ist die so schön gedachte Scene: „Wer kauft Liebesgötter?“ — Die schmausenden und ruhenden Lie- bespaare (ebenda) weisen ebenfalls auf einen schönen griechischen Gedanken zurück. a b Auch mehrere unter den kleinern mythologischen Bildern, welche die Mittelfelder an den Wänden gewöhnlicher pompejanischer Häuser bildeten (und zum Theil noch an Ort und Stelle bilden) möchten bis- weilen als harmonisches Ganzes einen besondern und abgeschlossenen Werth haben. So das beste der Narcissbilder, auch das kleine mit Bacchus und Ariadne (I. Saal rechts); mehrere bacchische Scenen (II. Saal rechts); Venus als Fischerin (mehrmals) u. s. w. Das ver- dorbene Bildchen „Hylas und die Nymphen“ (Fensterwand des II. Saales rechts) zeigt ein sehr glückliches Motiv. Einen Faun, der eine Nym- phe bewältigt und auf den Rücken gelegt hat und sie küsst, nebst einigen andern vorzüglichen Scenen, die nicht anstössiger sind als Manches, was hier ausgestellt ist, wird man in den Abbildungen auf- suchen müssen, wenn sie nicht etwa doch in unsichtbarem Dunkel oben an irgend einer Wand hängen. c Den unmittelbarsten und ungestörtesten Eindruck griechischen Geistes machen aber (nach meinem Gefühl) überhaupt nicht die voll- ständigen Gemälde, sondern jene zahlreichen decorativ angewandten einzelnen Figuren und Gruppen, welche theils auf einfarbigem Grunde stehen, theils zur Belebung der gemalten Architektur (Seite 46*

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 723. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/745>, abgerufen am 11.06.2024.