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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Antike Malerei. Pompejanisches.
achen das Treffliche vorwiegt, so im I. Saal rechts: die Strafe der Dirce,
bzwei Göttinnen mit Eroten etc.; II. Saal, ausser den genannten: The-
seus als Retter der athenischen Kinder, der Musikunterricht des jungen
Satyrs, Medea, Bacchus und Ariadne, Perseus und Andromeda, Chi-
ron und Achill, Herakles mit dem Centauren, Achill und Briseis, Mars
und Venus etc. Allein neben dem Allerbesten, neben einzelnen Mo-
tiven, die nur von den Grössten geschaffen sein können, finden sich
auffallend schwache Füllgedanken. Man kann sich der Vermuthung
nicht erwehren, als habe man zusammengedrängte oder auch zerpflückte
Excerpte aus vorzüglichen Compositionen vor sich. -- In Pompeji sind
cvon grossen Bildern noch an Ort und Stelle: Diana und Actäon (in
dder Casa di Atteone), die Vorbereitung eines Heros zum Bade (Casa
di Meleagro u. a. m.)

Von diesem Urtheil macht allerdings eine glänzende Ausnahme
die sog. Alexanderschlacht, das schönste Mosaik des Alterthums.
(Gefunden in der Casa del fauno zu Pompeji, jetzt am Boden der
eHalle der Flora im Museum zu Neapel.) Es stellt eine Schlacht von
Griechen oder Römern gegen Kelten vor. Ich habe nichts gegen den
überquellenden Enthusiasmus, womit neuerlich dieses Werk besprochen
wird, nur möge man es dann wenigstens richtig deuten und nicht z. B.
den Mann auf dem Wagen beharrlich für den Barbarenkönig halten,
während doch die ganze Composition sich auf den gestürzten und vom
Feind durchbohrten Reiter in königlichem Prachtcostüm bezieht. --
Der grösste Werth dieses in seiner Art einzigen Gemäldes besteht
nicht in einer tadellosen Zeichnung oder in der Ausdrucksweise des
Einzelnen, sondern in der ergreifenden Darstellung eines bedeutenden
Momentes mit möglichst geringen Mitteln. Durch die Wendung des
Wagens und der Pferde und durch einige sprechende Stellungen und
Geberden ist auf der rechten Seite ein Bild der Rathlosigkeit und Be-
stürzung gegeben, welches nicht deutlicher und nur in äusserlichem
Sinne vollständiger sein könnte. In den Siegern, soweit die linke
Seite erhalten ist, drückt sich das unaufhaltsame Vordringen mit der
grössten Gewissheit aus. Ob das Ganze für die Ausführung in Mo-
saik componirt oder eher einem Wandgemälde nachgebildet ist, bleibt
zu entscheiden.

Antike Malerei. Pompejanisches.
achen das Treffliche vorwiegt, so im I. Saal rechts: die Strafe der Dirce,
bzwei Göttinnen mit Eroten etc.; II. Saal, ausser den genannten: The-
seus als Retter der athenischen Kinder, der Musikunterricht des jungen
Satyrs, Medea, Bacchus und Ariadne, Perseus und Andromeda, Chi-
ron und Achill, Herakles mit dem Centauren, Achill und Briseis, Mars
und Venus etc. Allein neben dem Allerbesten, neben einzelnen Mo-
tiven, die nur von den Grössten geschaffen sein können, finden sich
auffallend schwache Füllgedanken. Man kann sich der Vermuthung
nicht erwehren, als habe man zusammengedrängte oder auch zerpflückte
Excerpte aus vorzüglichen Compositionen vor sich. — In Pompeji sind
cvon grossen Bildern noch an Ort und Stelle: Diana und Actäon (in
dder Casa di Atteone), die Vorbereitung eines Heros zum Bade (Casa
di Meleagro u. a. m.)

Von diesem Urtheil macht allerdings eine glänzende Ausnahme
die sog. Alexanderschlacht, das schönste Mosaik des Alterthums.
(Gefunden in der Casa del fauno zu Pompeji, jetzt am Boden der
eHalle der Flora im Museum zu Neapel.) Es stellt eine Schlacht von
Griechen oder Römern gegen Kelten vor. Ich habe nichts gegen den
überquellenden Enthusiasmus, womit neuerlich dieses Werk besprochen
wird, nur möge man es dann wenigstens richtig deuten und nicht z. B.
den Mann auf dem Wagen beharrlich für den Barbarenkönig halten,
während doch die ganze Composition sich auf den gestürzten und vom
Feind durchbohrten Reiter in königlichem Prachtcostüm bezieht. —
Der grösste Werth dieses in seiner Art einzigen Gemäldes besteht
nicht in einer tadellosen Zeichnung oder in der Ausdrucksweise des
Einzelnen, sondern in der ergreifenden Darstellung eines bedeutenden
Momentes mit möglichst geringen Mitteln. Durch die Wendung des
Wagens und der Pferde und durch einige sprechende Stellungen und
Geberden ist auf der rechten Seite ein Bild der Rathlosigkeit und Be-
stürzung gegeben, welches nicht deutlicher und nur in äusserlichem
Sinne vollständiger sein könnte. In den Siegern, soweit die linke
Seite erhalten ist, drückt sich das unaufhaltsame Vordringen mit der
grössten Gewissheit aus. Ob das Ganze für die Ausführung in Mo-
saik componirt oder eher einem Wandgemälde nachgebildet ist, bleibt
zu entscheiden.

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[722/0744] Antike Malerei. Pompejanisches. chen das Treffliche vorwiegt, so im I. Saal rechts: die Strafe der Dirce, zwei Göttinnen mit Eroten etc.; II. Saal, ausser den genannten: The- seus als Retter der athenischen Kinder, der Musikunterricht des jungen Satyrs, Medea, Bacchus und Ariadne, Perseus und Andromeda, Chi- ron und Achill, Herakles mit dem Centauren, Achill und Briseis, Mars und Venus etc. Allein neben dem Allerbesten, neben einzelnen Mo- tiven, die nur von den Grössten geschaffen sein können, finden sich auffallend schwache Füllgedanken. Man kann sich der Vermuthung nicht erwehren, als habe man zusammengedrängte oder auch zerpflückte Excerpte aus vorzüglichen Compositionen vor sich. — In Pompeji sind von grossen Bildern noch an Ort und Stelle: Diana und Actäon (in der Casa di Atteone), die Vorbereitung eines Heros zum Bade (Casa di Meleagro u. a. m.) a b c d Von diesem Urtheil macht allerdings eine glänzende Ausnahme die sog. Alexanderschlacht, das schönste Mosaik des Alterthums. (Gefunden in der Casa del fauno zu Pompeji, jetzt am Boden der Halle der Flora im Museum zu Neapel.) Es stellt eine Schlacht von Griechen oder Römern gegen Kelten vor. Ich habe nichts gegen den überquellenden Enthusiasmus, womit neuerlich dieses Werk besprochen wird, nur möge man es dann wenigstens richtig deuten und nicht z. B. den Mann auf dem Wagen beharrlich für den Barbarenkönig halten, während doch die ganze Composition sich auf den gestürzten und vom Feind durchbohrten Reiter in königlichem Prachtcostüm bezieht. — Der grösste Werth dieses in seiner Art einzigen Gemäldes besteht nicht in einer tadellosen Zeichnung oder in der Ausdrucksweise des Einzelnen, sondern in der ergreifenden Darstellung eines bedeutenden Momentes mit möglichst geringen Mitteln. Durch die Wendung des Wagens und der Pferde und durch einige sprechende Stellungen und Geberden ist auf der rechten Seite ein Bild der Rathlosigkeit und Be- stürzung gegeben, welches nicht deutlicher und nur in äusserlichem Sinne vollständiger sein könnte. In den Siegern, soweit die linke Seite erhalten ist, drückt sich das unaufhaltsame Vordringen mit der grössten Gewissheit aus. Ob das Ganze für die Ausführung in Mo- saik componirt oder eher einem Wandgemälde nachgebildet ist, bleibt zu entscheiden. e

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 722. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/744>, abgerufen am 11.06.2024.