Den Vorrath im Ganzen betrachtet, wird man, wie gesagt, an- nehmen können, dass das Beste durchgängig griechischen Originalen nachgebildet sei, welche der Küntsler auswendig lernte und mehr oder weniger frei reproducirte. Von Durchzeichnen und Schabloniren war wohl keine Rede; wer das Einzelne so meisterlich keck hinzumalen wusste, bedurfte auch für die ganze Gestalt der eigentlichen Krücken nicht. Die Malereien von erweislich römischer Composition (z. B. die Scenen des pompejanischen Stadtlebens, im Durchgang vom ersten ina den zweiten der Säle rechts, und die beiden Isisfeste, zweiter Saal,b Fensterwand) stehen, auch wenn die geringe Ausführung bloss zu- fällig sein sollte, jedenfalls in der Erfindung tief unter dem Übrigen.
Nehmen wir die grössern Bilder mythologischen Inhaltes (be- sonders im genannten zweiten Saal rechts) als massgebend an, so er-c giebt sich für die Behandlung etwa Folgendes. Das Einzelne ist nir- gends bis zur völligen Wirklichkeit durchgeführt, das Wesentliche aber mit grosser Energie in Wenigem gegeben. Auch in den Köpfen ist neben bedeutenden Zügen viel nur Allgemeines, was indess auf die Rechnung des Ausführenden, auch wohl auf die seiner Technik kom- men mag. Die letztere ist bekanntlich, was das Chemische betrifft, noch ein Geheimniss; der Auftrag erscheint fast durchgängig sehr frei und furchtlos. Der Raum richtet sich durchgängig nicht nach der äussern Wirklichkeit, sondern nach dem höhern Bedürfniss der Composition; die Angabe des architektonischen oder landschaftlichen Hintergrundes er- hebt sich in der Regel nicht weit über eine blosse Andeutung (Iphi- geniens Opfer, daselbst); die perspectivische Vertiefung wird willkür- lich so gedacht, dass die entferntern Figuren wie auf einem erhöhten Plan erscheinen (Erkennung Achill's, daselbst). Das Licht fällt con- sequent von einer Seite herein. Die künstliche Gruppenbildung der neuern Malerei mit ihren Übergängen in den Formen und ihren Con- trasten in den Lichtmassen fehlt noch völlig; vorwiegend macht sich das Streben geltend, die Gestalten möglichst vollständig sprechen zu lassen und desshalb auseinander zu halten. Figurenreiche Gruppen aber, wo sie vorkommen, erscheinen hoch übereinander geschichtet (der Dichter, welcher den Schauspielern sein Drama einlernt, daselbst). Im Ganzen wird man in diesen und den übrigen grössern Composi- tionen immer grosse Ungleichheiten finden. Es giebt einige, in wel-
B. Cicerone. 46
Grössere Compositionen.
Den Vorrath im Ganzen betrachtet, wird man, wie gesagt, an- nehmen können, dass das Beste durchgängig griechischen Originalen nachgebildet sei, welche der Küntsler auswendig lernte und mehr oder weniger frei reproducirte. Von Durchzeichnen und Schabloniren war wohl keine Rede; wer das Einzelne so meisterlich keck hinzumalen wusste, bedurfte auch für die ganze Gestalt der eigentlichen Krücken nicht. Die Malereien von erweislich römischer Composition (z. B. die Scenen des pompejanischen Stadtlebens, im Durchgang vom ersten ina den zweiten der Säle rechts, und die beiden Isisfeste, zweiter Saal,b Fensterwand) stehen, auch wenn die geringe Ausführung bloss zu- fällig sein sollte, jedenfalls in der Erfindung tief unter dem Übrigen.
Nehmen wir die grössern Bilder mythologischen Inhaltes (be- sonders im genannten zweiten Saal rechts) als massgebend an, so er-c giebt sich für die Behandlung etwa Folgendes. Das Einzelne ist nir- gends bis zur völligen Wirklichkeit durchgeführt, das Wesentliche aber mit grosser Energie in Wenigem gegeben. Auch in den Köpfen ist neben bedeutenden Zügen viel nur Allgemeines, was indess auf die Rechnung des Ausführenden, auch wohl auf die seiner Technik kom- men mag. Die letztere ist bekanntlich, was das Chemische betrifft, noch ein Geheimniss; der Auftrag erscheint fast durchgängig sehr frei und furchtlos. Der Raum richtet sich durchgängig nicht nach der äussern Wirklichkeit, sondern nach dem höhern Bedürfniss der Composition; die Angabe des architektonischen oder landschaftlichen Hintergrundes er- hebt sich in der Regel nicht weit über eine blosse Andeutung (Iphi- geniens Opfer, daselbst); die perspectivische Vertiefung wird willkür- lich so gedacht, dass die entferntern Figuren wie auf einem erhöhten Plan erscheinen (Erkennung Achill’s, daselbst). Das Licht fällt con- sequent von einer Seite herein. Die künstliche Gruppenbildung der neuern Malerei mit ihren Übergängen in den Formen und ihren Con- trasten in den Lichtmassen fehlt noch völlig; vorwiegend macht sich das Streben geltend, die Gestalten möglichst vollständig sprechen zu lassen und desshalb auseinander zu halten. Figurenreiche Gruppen aber, wo sie vorkommen, erscheinen hoch übereinander geschichtet (der Dichter, welcher den Schauspielern sein Drama einlernt, daselbst). Im Ganzen wird man in diesen und den übrigen grössern Composi- tionen immer grosse Ungleichheiten finden. Es giebt einige, in wel-
B. Cicerone. 46
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0743"n="721"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Grössere Compositionen.</hi></fw><lb/><p>Den Vorrath im Ganzen betrachtet, wird man, wie gesagt, an-<lb/>
nehmen können, dass das Beste durchgängig griechischen Originalen<lb/>
nachgebildet sei, welche der Küntsler auswendig lernte und mehr oder<lb/>
weniger frei reproducirte. Von Durchzeichnen und Schabloniren war<lb/>
wohl keine Rede; wer das Einzelne so meisterlich keck hinzumalen<lb/>
wusste, bedurfte auch für die ganze Gestalt der eigentlichen Krücken<lb/>
nicht. Die Malereien von erweislich römischer Composition (z. B. die<lb/>
Scenen des pompejanischen Stadtlebens, im Durchgang vom ersten in<noteplace="right">a</note><lb/>
den zweiten der Säle rechts, und die beiden Isisfeste, zweiter Saal,<noteplace="right">b</note><lb/>
Fensterwand) stehen, auch wenn die geringe Ausführung bloss zu-<lb/>
fällig sein sollte, jedenfalls in der Erfindung tief unter dem Übrigen.</p><lb/><p>Nehmen wir die grössern Bilder <hirendition="#g">mythologischen</hi> Inhaltes (be-<lb/>
sonders im genannten zweiten Saal rechts) als massgebend an, so er-<noteplace="right">c</note><lb/>
giebt sich für die Behandlung etwa Folgendes. Das Einzelne ist nir-<lb/>
gends bis zur völligen Wirklichkeit durchgeführt, das Wesentliche<lb/>
aber mit grosser Energie in Wenigem gegeben. Auch in den Köpfen<lb/>
ist neben bedeutenden Zügen viel nur Allgemeines, was indess auf die<lb/>
Rechnung des Ausführenden, auch wohl auf die seiner Technik kom-<lb/>
men mag. Die letztere ist bekanntlich, was das Chemische betrifft, noch<lb/>
ein Geheimniss; der Auftrag erscheint fast durchgängig sehr frei und<lb/>
furchtlos. Der Raum richtet sich durchgängig nicht nach der äussern<lb/>
Wirklichkeit, sondern nach dem höhern Bedürfniss der Composition; die<lb/>
Angabe des architektonischen oder landschaftlichen Hintergrundes er-<lb/>
hebt sich in der Regel nicht weit über eine blosse Andeutung (Iphi-<lb/>
geniens Opfer, daselbst); die perspectivische Vertiefung wird willkür-<lb/>
lich so gedacht, dass die entferntern Figuren wie auf einem erhöhten<lb/>
Plan erscheinen (Erkennung Achill’s, daselbst). Das Licht fällt con-<lb/>
sequent von einer Seite herein. Die künstliche Gruppenbildung der<lb/>
neuern Malerei mit ihren Übergängen in den Formen und ihren Con-<lb/>
trasten in den Lichtmassen fehlt noch völlig; vorwiegend macht sich<lb/>
das Streben geltend, die Gestalten möglichst vollständig sprechen zu<lb/>
lassen und desshalb auseinander zu halten. Figurenreiche Gruppen<lb/>
aber, wo sie vorkommen, erscheinen hoch übereinander geschichtet<lb/>
(der Dichter, welcher den Schauspielern sein Drama einlernt, daselbst).<lb/>
Im Ganzen wird man in diesen und den übrigen grössern Composi-<lb/>
tionen immer grosse Ungleichheiten finden. Es giebt einige, in wel-<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#i">B. Cicerone.</hi> 46</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[721/0743]
Grössere Compositionen.
Den Vorrath im Ganzen betrachtet, wird man, wie gesagt, an-
nehmen können, dass das Beste durchgängig griechischen Originalen
nachgebildet sei, welche der Küntsler auswendig lernte und mehr oder
weniger frei reproducirte. Von Durchzeichnen und Schabloniren war
wohl keine Rede; wer das Einzelne so meisterlich keck hinzumalen
wusste, bedurfte auch für die ganze Gestalt der eigentlichen Krücken
nicht. Die Malereien von erweislich römischer Composition (z. B. die
Scenen des pompejanischen Stadtlebens, im Durchgang vom ersten in
den zweiten der Säle rechts, und die beiden Isisfeste, zweiter Saal,
Fensterwand) stehen, auch wenn die geringe Ausführung bloss zu-
fällig sein sollte, jedenfalls in der Erfindung tief unter dem Übrigen.
a
b
Nehmen wir die grössern Bilder mythologischen Inhaltes (be-
sonders im genannten zweiten Saal rechts) als massgebend an, so er-
giebt sich für die Behandlung etwa Folgendes. Das Einzelne ist nir-
gends bis zur völligen Wirklichkeit durchgeführt, das Wesentliche
aber mit grosser Energie in Wenigem gegeben. Auch in den Köpfen
ist neben bedeutenden Zügen viel nur Allgemeines, was indess auf die
Rechnung des Ausführenden, auch wohl auf die seiner Technik kom-
men mag. Die letztere ist bekanntlich, was das Chemische betrifft, noch
ein Geheimniss; der Auftrag erscheint fast durchgängig sehr frei und
furchtlos. Der Raum richtet sich durchgängig nicht nach der äussern
Wirklichkeit, sondern nach dem höhern Bedürfniss der Composition; die
Angabe des architektonischen oder landschaftlichen Hintergrundes er-
hebt sich in der Regel nicht weit über eine blosse Andeutung (Iphi-
geniens Opfer, daselbst); die perspectivische Vertiefung wird willkür-
lich so gedacht, dass die entferntern Figuren wie auf einem erhöhten
Plan erscheinen (Erkennung Achill’s, daselbst). Das Licht fällt con-
sequent von einer Seite herein. Die künstliche Gruppenbildung der
neuern Malerei mit ihren Übergängen in den Formen und ihren Con-
trasten in den Lichtmassen fehlt noch völlig; vorwiegend macht sich
das Streben geltend, die Gestalten möglichst vollständig sprechen zu
lassen und desshalb auseinander zu halten. Figurenreiche Gruppen
aber, wo sie vorkommen, erscheinen hoch übereinander geschichtet
(der Dichter, welcher den Schauspielern sein Drama einlernt, daselbst).
Im Ganzen wird man in diesen und den übrigen grössern Composi-
tionen immer grosse Ungleichheiten finden. Es giebt einige, in wel-
c
B. Cicerone. 46
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 721. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/743>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.