der Crypta unter der Capella Corsini im Lateran zu Rom; esa ist eine Pieta von Bernini. (? Sie fehlt im Verzeichniss seiner Werke bei Dominici.) Die delicate Behandlung des Marmors macht sich in einigen Künsteleien absichtlich bemerkbar, sonst ist an der Gruppe nur die durchaus malerische (und in diesem Sinne gute) Composition zu tadeln; im Übrigen ist es ein ziemlich reines Werk von schönem, innerlichem Ausdruck ohne alles falsche Pathos; im Gedankenwerth den besten Darstellungen dieses Gegenstandes aus der Schule der Caracci wohl gleichzustellen. Wie Bernini am gehörigen Ort seinen Styl zu bändigen und zu veredeln wusste, zeigt auch der Christus-b leichnam in der Crypta des Domes von Capua.
Allein diess waren Werke für geschlossene Räume mit beson- derer Bestimmung. Was sollte auf die Hochaltäre der Kirchen zu stehen kommen? Nicht Jeder war so naiv wie Algardi, der für den Hauptaltar von S. Paolo zu Bologna eine Enthauptung Johannis inc zwei colossalen Figuren arbeitete; statt des Martyriums sucht man vielmehr durchgängig eine Glorie an diese feierlichste Stelle der Kirche zu bringen. Die höchste Glorie, welche die Kunst ihren Ge- stalten hätte verleihen können, eine grossartige, echt ideale Bildung mit reinem und erhabenem Ausdruck -- diese zu schaffen war das Jahrhundert nicht mehr angethan; der Inhalt des Altarwerkes musste ein anderer sein. Vor Allem musste der pathetische und ekstatische Ausdruck, welchen man die ganze Kirche hindurch in allen Nischen- figuren und Nebenstatuen der Seitenaltäre auf hundert Weisen variirt hatte, in der Altarsculptur consequenter Weise seinen Höhepunkt er- reichen, indem man die Ekstase zu einer Verklärung zu steigern suchte. Hier beginnt die Nothwendigkeit der Zuthaten; die betreffende Haupt- figur, die man am liebsten ganz frei schweben liesse, schmachtet sehn- süchtig auf Wolken empor, welche dann weiter zur Anbringung von Engeln und Putten benützt werden. Als aber einmal die Marmorwolke als Ausdruck eines überirdischen Raumes und Daseins anerkannt war, wurde Alles möglich. Es ist ergötzlich, den Wolkenstudien der da- maligen Sculptoren nachzuforschen; in ihrem redlichen Naturalismus scheinen sie -- allerdings irriger Weise -- nach dem Qualm von bren- nendem feuchtem Maisstroh u. dgl. modellirt zu haben. Die Altäre italienischer Kirchen sind nun sehr reich an kostbaren Schwebegrup-
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Freistehende Altargruppen. Wolken.
der Crypta unter der Capella Corsini im Lateran zu Rom; esa ist eine Pietà von Bernini. (? Sie fehlt im Verzeichniss seiner Werke bei Dominici.) Die delicate Behandlung des Marmors macht sich in einigen Künsteleien absichtlich bemerkbar, sonst ist an der Gruppe nur die durchaus malerische (und in diesem Sinne gute) Composition zu tadeln; im Übrigen ist es ein ziemlich reines Werk von schönem, innerlichem Ausdruck ohne alles falsche Pathos; im Gedankenwerth den besten Darstellungen dieses Gegenstandes aus der Schule der Caracci wohl gleichzustellen. Wie Bernini am gehörigen Ort seinen Styl zu bändigen und zu veredeln wusste, zeigt auch der Christus-b leichnam in der Crypta des Domes von Capua.
Allein diess waren Werke für geschlossene Räume mit beson- derer Bestimmung. Was sollte auf die Hochaltäre der Kirchen zu stehen kommen? Nicht Jeder war so naiv wie Algardi, der für den Hauptaltar von S. Paolo zu Bologna eine Enthauptung Johannis inc zwei colossalen Figuren arbeitete; statt des Martyriums sucht man vielmehr durchgängig eine Glorie an diese feierlichste Stelle der Kirche zu bringen. Die höchste Glorie, welche die Kunst ihren Ge- stalten hätte verleihen können, eine grossartige, echt ideale Bildung mit reinem und erhabenem Ausdruck — diese zu schaffen war das Jahrhundert nicht mehr angethan; der Inhalt des Altarwerkes musste ein anderer sein. Vor Allem musste der pathetische und ekstatische Ausdruck, welchen man die ganze Kirche hindurch in allen Nischen- figuren und Nebenstatuen der Seitenaltäre auf hundert Weisen variirt hatte, in der Altarsculptur consequenter Weise seinen Höhepunkt er- reichen, indem man die Ekstase zu einer Verklärung zu steigern suchte. Hier beginnt die Nothwendigkeit der Zuthaten; die betreffende Haupt- figur, die man am liebsten ganz frei schweben liesse, schmachtet sehn- süchtig auf Wolken empor, welche dann weiter zur Anbringung von Engeln und Putten benützt werden. Als aber einmal die Marmorwolke als Ausdruck eines überirdischen Raumes und Daseins anerkannt war, wurde Alles möglich. Es ist ergötzlich, den Wolkenstudien der da- maligen Sculptoren nachzuforschen; in ihrem redlichen Naturalismus scheinen sie — allerdings irriger Weise — nach dem Qualm von bren- nendem feuchtem Maisstroh u. dgl. modellirt zu haben. Die Altäre italienischer Kirchen sind nun sehr reich an kostbaren Schwebegrup-
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Freistehende Altargruppen. Wolken.
der Crypta unter der Capella Corsini im Lateran zu Rom; es
ist eine Pietà von Bernini. (? Sie fehlt im Verzeichniss seiner Werke
bei Dominici.) Die delicate Behandlung des Marmors macht sich in
einigen Künsteleien absichtlich bemerkbar, sonst ist an der Gruppe
nur die durchaus malerische (und in diesem Sinne gute) Composition
zu tadeln; im Übrigen ist es ein ziemlich reines Werk von schönem,
innerlichem Ausdruck ohne alles falsche Pathos; im Gedankenwerth
den besten Darstellungen dieses Gegenstandes aus der Schule der
Caracci wohl gleichzustellen. Wie Bernini am gehörigen Ort seinen
Styl zu bändigen und zu veredeln wusste, zeigt auch der Christus-
leichnam in der Crypta des Domes von Capua.
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derer Bestimmung. Was sollte auf die Hochaltäre der Kirchen zu
stehen kommen? Nicht Jeder war so naiv wie Algardi, der für den
Hauptaltar von S. Paolo zu Bologna eine Enthauptung Johannis in
zwei colossalen Figuren arbeitete; statt des Martyriums sucht man
vielmehr durchgängig eine Glorie an diese feierlichste Stelle der
Kirche zu bringen. Die höchste Glorie, welche die Kunst ihren Ge-
stalten hätte verleihen können, eine grossartige, echt ideale Bildung
mit reinem und erhabenem Ausdruck — diese zu schaffen war das
Jahrhundert nicht mehr angethan; der Inhalt des Altarwerkes musste
ein anderer sein. Vor Allem musste der pathetische und ekstatische
Ausdruck, welchen man die ganze Kirche hindurch in allen Nischen-
figuren und Nebenstatuen der Seitenaltäre auf hundert Weisen variirt
hatte, in der Altarsculptur consequenter Weise seinen Höhepunkt er-
reichen, indem man die Ekstase zu einer Verklärung zu steigern suchte.
Hier beginnt die Nothwendigkeit der Zuthaten; die betreffende Haupt-
figur, die man am liebsten ganz frei schweben liesse, schmachtet sehn-
süchtig auf Wolken empor, welche dann weiter zur Anbringung von
Engeln und Putten benützt werden. Als aber einmal die Marmorwolke
als Ausdruck eines überirdischen Raumes und Daseins anerkannt war,
wurde Alles möglich. Es ist ergötzlich, den Wolkenstudien der da-
maligen Sculptoren nachzuforschen; in ihrem redlichen Naturalismus
scheinen sie — allerdings irriger Weise — nach dem Qualm von bren-
nendem feuchtem Maisstroh u. dgl. modellirt zu haben. Die Altäre
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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 707. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/729>, abgerufen am 18.12.2024.
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