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Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855.

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Barocksculptur. Allegorien.
Bösen. Aus Neigung zum Begreiflichen bildete man sie als häss-
liche Weiber, und zwar, wie sich bei den Berninesken von selbst
versteht, in Affect und Bewegung, im Niederstürzen, Fliehen u. s. w.
aAuf dem figurenreichen Hochaltar der Salute in Venedig (von Justus
de Curt) sieht man neben der Madonna u. a. eine fliehende "Zwie-
tracht", von einem Engel mit einer Fackel verfolgt, das hässlichste
alte Weib in bauschig flatterndem Gewand. Nicht umsonst hatte schon
der alte Giotto (Padua, Fresken der Arena) die Laster in männlicher
Gestalt dargestellt. -- Und dann kann überhaupt nur ein reiner Styl
wahrhaft grossartige Allegorien des Bösen schaffen.

Allein auch die ruhigern, einzeln stehenden Allegorien unterliegen
zunächst der manierirten Bildung alles Idealen. Unter zahllosen Bei-
bspielen heben wir die Statuen im Chor von S. M. Maddalena de Pazzi
in Florenz hervor, weil sie mit besonderm Luxus gearbeitet sind:
Montani's Religion und Unschuld, und Spinazzi's Reue und Glaube;
der letztere eine von den beliebten verschleierten Figuren in der Art
der oben (S. 696, a) genannten. Während sich aber hier wenigstens die
Bedeutung der einzelnen Figuren, wenn auch mit Mühe, errathen
lässt, tritt in vielen andern Fällen ein absurder vermeintlicher Tiefsinn
dazwischen, der mit weit hergeholten pedantischen Anspielungen im
Geschmack der damaligen Erudition die Allegorien vollends unkennt-
lich macht und sich damit zu brüsten scheint, dass eben nicht der
Erste Beste erkenne, wovon die Rede sei. Man suche z. B. aus den
cacht lächerlich manierirten Statuen klug zu werden, mit welchen Mi-
chele Ongaro die kostbare Capelle Vendramin in S. Pietro di Castello
zu Venedig verziert hat! (Ende d. l. Querschiffes.) Mit allen Attri-
buten wird man die Bezüge des XVII. Jahrh. erst recht nicht errathen.
-- Ein anderer Missbrauch, der alle Theilnahme für diese allegorischen
Gebilde von vorn herein stört, ist die oben (S. 385 u. f.) gerügte Ver-
schwendung
derselben für decorative Zwecke, zumal in einer
ganz ungehörigen Stärke des Reliefs, welche beinahe der Freisculptur
gleich kömmt. Denselben Schwindel, welchen man im Namen der
Bogenfüllungstugenden empfindet, fühlt man dann auch für die eigentli-
chen Statuen, die auf den Gesimsen von Altartabernakeln stehen, oder
vollends für jene Fides, Caritas u. s. w., welche nebst Putten und
Engeln auf den gebrochenen Giebelschnecken der Altäre in Pozzo's

Barocksculptur. Allegorien.
Bösen. Aus Neigung zum Begreiflichen bildete man sie als häss-
liche Weiber, und zwar, wie sich bei den Berninesken von selbst
versteht, in Affect und Bewegung, im Niederstürzen, Fliehen u. s. w.
aAuf dem figurenreichen Hochaltar der Salute in Venedig (von Justus
de Curt) sieht man neben der Madonna u. a. eine fliehende „Zwie-
tracht“, von einem Engel mit einer Fackel verfolgt, das hässlichste
alte Weib in bauschig flatterndem Gewand. Nicht umsonst hatte schon
der alte Giotto (Padua, Fresken der Arena) die Laster in männlicher
Gestalt dargestellt. — Und dann kann überhaupt nur ein reiner Styl
wahrhaft grossartige Allegorien des Bösen schaffen.

Allein auch die ruhigern, einzeln stehenden Allegorien unterliegen
zunächst der manierirten Bildung alles Idealen. Unter zahllosen Bei-
bspielen heben wir die Statuen im Chor von S. M. Maddalena de Pazzi
in Florenz hervor, weil sie mit besonderm Luxus gearbeitet sind:
Montani’s Religion und Unschuld, und Spinazzi’s Reue und Glaube;
der letztere eine von den beliebten verschleierten Figuren in der Art
der oben (S. 696, a) genannten. Während sich aber hier wenigstens die
Bedeutung der einzelnen Figuren, wenn auch mit Mühe, errathen
lässt, tritt in vielen andern Fällen ein absurder vermeintlicher Tiefsinn
dazwischen, der mit weit hergeholten pedantischen Anspielungen im
Geschmack der damaligen Erudition die Allegorien vollends unkennt-
lich macht und sich damit zu brüsten scheint, dass eben nicht der
Erste Beste erkenne, wovon die Rede sei. Man suche z. B. aus den
cacht lächerlich manierirten Statuen klug zu werden, mit welchen Mi-
chele Ongaro die kostbare Capelle Vendramin in S. Pietro di Castello
zu Venedig verziert hat! (Ende d. l. Querschiffes.) Mit allen Attri-
buten wird man die Bezüge des XVII. Jahrh. erst recht nicht errathen.
— Ein anderer Missbrauch, der alle Theilnahme für diese allegorischen
Gebilde von vorn herein stört, ist die oben (S. 385 u. f.) gerügte Ver-
schwendung
derselben für decorative Zwecke, zumal in einer
ganz ungehörigen Stärke des Reliefs, welche beinahe der Freisculptur
gleich kömmt. Denselben Schwindel, welchen man im Namen der
Bogenfüllungstugenden empfindet, fühlt man dann auch für die eigentli-
chen Statuen, die auf den Gesimsen von Altartabernakeln stehen, oder
vollends für jene Fides, Caritas u. s. w., welche nebst Putten und
Engeln auf den gebrochenen Giebelschnecken der Altäre in Pozzo’s

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[704/0726] Barocksculptur. Allegorien. Bösen. Aus Neigung zum Begreiflichen bildete man sie als häss- liche Weiber, und zwar, wie sich bei den Berninesken von selbst versteht, in Affect und Bewegung, im Niederstürzen, Fliehen u. s. w. Auf dem figurenreichen Hochaltar der Salute in Venedig (von Justus de Curt) sieht man neben der Madonna u. a. eine fliehende „Zwie- tracht“, von einem Engel mit einer Fackel verfolgt, das hässlichste alte Weib in bauschig flatterndem Gewand. Nicht umsonst hatte schon der alte Giotto (Padua, Fresken der Arena) die Laster in männlicher Gestalt dargestellt. — Und dann kann überhaupt nur ein reiner Styl wahrhaft grossartige Allegorien des Bösen schaffen. a Allein auch die ruhigern, einzeln stehenden Allegorien unterliegen zunächst der manierirten Bildung alles Idealen. Unter zahllosen Bei- spielen heben wir die Statuen im Chor von S. M. Maddalena de Pazzi in Florenz hervor, weil sie mit besonderm Luxus gearbeitet sind: Montani’s Religion und Unschuld, und Spinazzi’s Reue und Glaube; der letztere eine von den beliebten verschleierten Figuren in der Art der oben (S. 696, a) genannten. Während sich aber hier wenigstens die Bedeutung der einzelnen Figuren, wenn auch mit Mühe, errathen lässt, tritt in vielen andern Fällen ein absurder vermeintlicher Tiefsinn dazwischen, der mit weit hergeholten pedantischen Anspielungen im Geschmack der damaligen Erudition die Allegorien vollends unkennt- lich macht und sich damit zu brüsten scheint, dass eben nicht der Erste Beste erkenne, wovon die Rede sei. Man suche z. B. aus den acht lächerlich manierirten Statuen klug zu werden, mit welchen Mi- chele Ongaro die kostbare Capelle Vendramin in S. Pietro di Castello zu Venedig verziert hat! (Ende d. l. Querschiffes.) Mit allen Attri- buten wird man die Bezüge des XVII. Jahrh. erst recht nicht errathen. — Ein anderer Missbrauch, der alle Theilnahme für diese allegorischen Gebilde von vorn herein stört, ist die oben (S. 385 u. f.) gerügte Ver- schwendung derselben für decorative Zwecke, zumal in einer ganz ungehörigen Stärke des Reliefs, welche beinahe der Freisculptur gleich kömmt. Denselben Schwindel, welchen man im Namen der Bogenfüllungstugenden empfindet, fühlt man dann auch für die eigentli- chen Statuen, die auf den Gesimsen von Altartabernakeln stehen, oder vollends für jene Fides, Caritas u. s. w., welche nebst Putten und Engeln auf den gebrochenen Giebelschnecken der Altäre in Pozzo’s b c

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Zitationshilfe: Burckhardt, Jacob: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens. Basel, 1855, S. 704. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/burckhardt_cicerone_1855/726>, abgerufen am 11.06.2024.